
Ein Gedicht schreiben. Klingt erstmal nach Deutsch-Leistungskurs und verstaubten Klassikern. Oder nach diesen Leuten, die mit Moleskin-Notizbuch im Café sitzen und sehr nachdenklich gucken.
Aber manchmal kommst du nicht drum herum. Geburtstag, Hochzeit, oder einfach weil dir was durch den Kopf geht und normale Worte nicht reichen. Dann stehst du da und denkst: Fuck, wie macht man das?
Hab selbst lange gedacht, Gedichte sind nur was für Künstler oder Deutsch-Studenten. Bis ich gemerkt hab: Eigentlich schreibt jeder mal Gedichte. Songtexte sind auch Gedichte. WhatsApp-Nachrichten können Gedichte sein. Kommt nur drauf an, wie du’s machst.
Das Problem mit Gedicht-Klischees
„Rosen sind rot, Veilchen sind blau“ – stopp. Einfach stopp. Das war schon vor 100 Jahren nicht originell.
„Mond schein Herz mein“ – diese Zwangs-Reime tun weh. Hör auf damit.
„Du bist die Sonne meines Lebens“ – klingt nach Grußkarte vom Tankstellen-Shop.
Echte Gedichte müssen nicht reimen. Sie müssen nicht schön klingen. Sie müssen nur echt sein.
Verschiedene Arten von Gedichten (ohne Fachchinesisch)
Listen-Gedichte: Einfach Sachen aufzählen, die dir gefallen oder nerven.
Beispiel: „Montag morgen Kaffee kalt Chef schlecht gelaunt Wieder spät dran Aber du lächelst Und alles ist okay“
Moment-Gedichte: Einen Augenblick festhalten.
„Regen an der Scheibe Du schläfst neben mir Deine Hand auf meiner So sieht Glück aus“
Gefühls-Gedichte: Einfach rausschreiben, was abgeht.
„Wut im Bauch Alles zu viel Will schreien Oder weinen Oder beides“
Erinnerungs-Gedichte: An was Bestimmtes denken.
„Omas Küche Riecht nach Apfelkuchen Und Geborgenheit Würde alles geben Für noch einen Tag dort“
Reime – Ja oder Nein?
Kurze Antwort: Egal. Mach was sich richtig anfühlt.
Reime können cool sein, wenn sie natürlich kommen. Aber erzwing sie nicht. Lieber ein ehrliches Gedicht ohne Reim als ein scheiß Gedicht mit perfekten Reimen.
Gute Reime: „Du singst unter der Dusche Immer viel zu laut Aber ich mag es Weil es nach Zuhause klingt“
Schlechte Reime: „Du bist so schön und klug Für mich bist du genug“
Merkst du den Unterschied? Das eine ist echt, das andere ist Kindergarten.
Wie fängst du an?
Schritt 1: Vergiss alles, was du über Gedichte weißt Keine Sorge wegen Metrum, Versmaß oder sonst was. Das ist für Profis. Du willst nur deine Gedanken sortieren.
Schritt 2: Nimm ein Gefühl oder einen Moment Nicht „Liebe“ oder „Trauer“ – das ist zu groß. Nimm was Konkretes. „Das Gefühl, wenn ich dich lachen höre“ oder „Sonntag morgen im Bett bleiben“.
Schritt 3: Schreib einfach los Keine Zensur. Keine Perfektion. Einfach runter mit den Worten.
Schritt 4: Lies es laut vor Wenn du stolperst beim Lesen, ist was falsch. Gedichte sollen fließen, nicht stolpern.
Fehler, die jeder macht
Zu kompliziert denken: „Ich muss deep und philosophical sein“ – nein, musst du nicht. „Kaffee macht mich glücklich“ ist auch ein Statement.
Alles reimen wollen: Wie gesagt – lass es, wenn es nicht natürlich kommt.
Zu viele Adjektive: „Die wunderschöne, strahlende, perfekte Sonne“ – weniger ist mehr. „Die Sonne“ reicht oft.
Fremde Gefühle kopieren: Schreib über DEINE Erfahrungen. Nicht über das, was du denkst, dass Gedichte handeln sollen.
Inspiration finden (ohne kitschig zu werden)
Guck um dich: Was siehst du gerade? Der Kaffeefleck auf dem Tisch kann ein Gedicht werden.
Höre zu: Was hörst du? Straßenlärm, Musik, jemand der telefoniert – alles kann Material sein.
Erinnerungen: Was war heute anders? Was hat dich geärgert? Gefreut? Überrascht?
Andere Menschen: Wie geht es jemandem, der dir wichtig ist? Schreib darüber.
Praktische Übungen
Die 5-Minuten-Regel: Stell dir einen Timer auf 5 Minuten. Schreib über das erste, was dir einfällt. Ohne stoppen, ohne nachdenken.
Ein-Wort-Gedichte: Nimm ein Wort – „Zuhause“, „Müde“, „Hunger“ – und schreib alles auf, was dir dazu einfällt.
Listen-Gedichte: „Dinge, die mich glücklich machen“ oder „Warum Montage scheiße sind“.
Gegenstände: Nimm irgendeinen Gegenstand und schreib darüber. Klingt blöd, funktioniert aber.
Verschiedene Anlässe
Für jemand anderen: Denk daran, was diese Person besonders macht. Nicht allgemein („du bist toll“), sondern konkret („wie du über schlechte Witze lachst“).
Für dich selbst: Ehrlich sein ist wichtiger als schön sein. Schreib auf, was wirklich abgeht.
Für besondere Momente: Hochzeit, Geburtstag, Abschied – nimm eine Erinnerung, die nur du mit dieser Person hast.
Format und Länge
Kurze Gedichte (2-4 Zeilen): Oft am besten. Sagen viel mit wenig Worten.
„Du Ich Wir Das reicht“
Mittlere Gedichte (1-2 Strophen): Platz für eine Idee oder ein Gefühl.
Lange Gedichte: Nur wenn du wirklich viel zu sagen hast. Meistens sind sie zu lang.
Überarbeiten (oder auch nicht)
Manche Gedichte sind beim ersten Versuch fertig. Andere brauchst du mehrere Anläufe.
Fragen beim Überarbeiten:
- Ist das ehrlich?
- Würde ich das wirklich sagen?
- Verstehe ich selbst, was ich geschrieben hab?
- Klingt es nach mir?
Was mit fertigen Gedichten machen?
Für dich behalten: Völlig okay. Nicht alles muss geteilt werden.
Verschenken: Handgeschrieben ist besser als getippt. Wirkt persönlicher.
Posten: Warum nicht? Aber sei bereit für Reaktionen. Oder deren Ausbleiben.
Wegwerfen: Auch okay. Manchmal ist der Prozess wichtiger als das Ergebnis.
Realitäts-Check
Du wirst kein Goethe. Musst du auch nicht. Du musst nur ehrlich sein.
Die meisten Gedichte sind scheiße. Das ist normal. Auch von berühmten Dichtern. Der Unterschied: Die schlechten kennst du nicht, weil sie nicht veröffentlicht wurden.
Gedichte schreiben ist wie Sport. Am Anfang bist du schlecht. Mit Übung wirst du besser. Aber auch schlechte Gedichte können wertvoll sein – für dich.
Und falls doch mal ein gutes dabei ist: Freude dich. Das ist ein gutes Gefühl.
Bottom line: Gedichte sind für alle da. Nicht nur für Leute mit Beret und melancholischem Blick. Also probier’s einfach aus. Was hast du zu verlieren? Außer ein paar Minuten und vielleicht etwas Stolz.