
Vorige Woche hab ich ein Gedicht geschrieben. Über meinen Kaffee. Klingt bescheuert, war aber irgendwie… gut?
Früher dachte ich, Gedichte müssen sich reimen und über die große Liebe oder den Tod gehen. Rilke und so. Dabei kann Poetry auch über Whatsapp-Nachrichten gehen oder darüber, warum der Kühlschrank nachts Geräusche macht.
Problem ist nur: Wie macht man das, ohne dass es klingt wie eine 14-jährige auf Tumblr?
Warum die meisten modernen Gedichte schrecklich sind
Instagram-Poetry: Drei Zeilen, die sich reimen. „Du bist schön / Ich muss gehen / Auf Wiedersehen.“ Das ist nicht Poetry, das ist ein schlechter Songtext.
Herzschmerz-Kitsch: „Mein Herz ist gebrochen wie Glas / Im Regen der Tränen / Allein auf der Straß.“ Autsch. Tut beim Lesen weh.
Pseudo-Philosophisch: „Die Existenz tanzt im Kosmos der Seele.“ Was soll das heißen? Nichts. Klingt nur deep.
Zu persönlich: Gedichte über den Ex, die Familie, die Therapie. Interesting für dich, awkward für alle anderen.
Was funktioniert (manchmal)
Den Alltag poetisch sehen
Nicht die großen Themen. Die kleinen Momente.
Der Typ im Zug, der heimlich Videos guckt. Die Art, wie Licht durch schmutzige Fenster fällt. Das Geräusch von Schlüsseln in fremden Taschen.
Das ist überall. Du musst nur hinschauen.
Konkret werden statt abstract
Nicht: „Die Liebe ist wie ein Ozean.“ Sondern: „Du lässt die Zahnpastatube offen / und ich ärgere mich / dann putze ich trotzdem meine Zähne / mit deiner Zahnpasta.“
Konkret ist ehrlich. Abstract ist meist leer.
Moderne Sprache verwenden
Poetry muss nicht wie aus dem 19. Jahrhundert klingen. Du kannst schreiben über Netflix, Spotify, das WLAN das nicht geht.
Das ist dein Leben. Warum nicht darüber schreiben?
Verschiedene Ansätze die ich probiert hab
Listen-Gedichte: „Dinge die ich heute gemacht habe: Kaffee getrunken (drei Tassen) Mit der Katze geredet (sie hat nicht geantwortet) Emails gelöscht ohne sie zu lesen An dich gedacht (öfter als sinnvoll)“
Beobachtungen: „Die Frau am Nebentisch tippt seit einer Stunde dieselbe Nachricht löscht sie wieder tippt neu ich weiß nicht wen sie anschreibt aber es ist kompliziert“
Innere Monologe: „Ich sollte Sport machen denke ich während ich Chips esse und eine Serie gucke über Leute die Sport machen das zählt ja auch irgendwie oder?“
Reimen oder nicht reimen?
Pro Reim: Klingt nach echtem Gedicht. Bleibt im Kopf. Macht Spaß.
Contra Reim: Wirkt schnell kitschig. Du denkst mehr an den Reim als an den Inhalt.
Mein Ansatz: Manchmal reimen, wenn es passt. Nicht forcieren. Halbreime sind okay. Assonanzen auch.
„Ich warte auf den Bus / der nie kommt / und denke an uns / der auch nie kam.“
Nicht perfekt gereimt, aber funktioniert.
Was verschiedene Leute über Poetry denken
Die Literaturprofessorin: „Das ist keine richtige Lyrik. Wo ist das Metrum? Die Metaphorik?“
Der Instagram-Poet: „Poetry muss accessible sein! Jeder kann Gedichte schreiben!“
Meine Mutter: „Warum schreibst du nicht mal was Schönes? Über Blumen oder so?“
Mein Kumpel: „Gedichte sind schwul.“ (Er ist 30 und sagt immer noch „schwul“ zu Sachen.)
Ich: Alle haben bisschen recht. Und alle liegen bisschen daneben.
Inspiration finden ohne zu klauen
Bei anderen Dichtern gucken: Nicht kopieren. Aber schauen, wie sie es machen. Sarah Kay, Rupi Kaur, Jan Wagner. Alle sehr unterschiedlich.
Im Alltag sammeln: Gesprächsfetzen, komische Schilder, Gedanken beim Duschen. Alles ist Material.
Emotionen tracken: Nicht die großen Gefühle. Die kleinen. Irritation, wenn der Fahrstuhl zu langsam ist. Freude über freies WLAN.
Gedichte für verschiedene Situationen
Für dich selbst: Völlig egal was andere denken. Experimentieren, weird werden.
Für Freunde: Bisschen vorsichtig. Nicht zu persönlich, nicht zu schwermütig.
Für Social Media: Kurz, prägnant, relatable. Aber bitte nicht „roses are red“-Niveau.
Für Lesungen: Laut lesen üben. Manche Gedichte funktionieren nur auf Papier, andere nur gesprochen.
Technische Sachen die helfen
Zeilenwechsel: Wo du die Zeile brichst, verändert den Rhythmus. Experimentier damit.
Wiederholungen: Nicht langweilig. Hypnotisch. Wie ein Mantra.
Pausen: Leerräume im Gedicht. Lassen den Leser atmen, nachdenken.
Länge: Muss nicht lange sein. Manchmal sind drei Zeilen genug.
Häufige Anfängerfehler
Zu viele Adjektive: „Der wunderschöne, strahlende Sonnenuntergang…“ Less is more.
Forced Metaphors: Nicht alles muss symbolic sein. Manchmal ist ein Baum einfach ein Baum.
Zu melodramatisch: „Mein Herz zerreißt!“ Okay, aber warum? Was ist passiert?
Ungenaue Bilder: „Wie ein Vogel fliegen…“ Welcher Vogel? Taube? Adler? Pinguin? Details matter.
Was Poetry heute leisten kann
Nicht die Welt retten. Aber kleine Momente festhalten. Gefühle in Worte fassen, für die es sonst keine Sprache gibt.
Verbindung schaffen. „Oh, das kenne ich auch.“ Validation dass deine weird thoughts normal sind.
Schönheit finden in ugly things. Den kaputten Automaten am Bahnhof. Die Art wie Menschen in der U-Bahn sitzen.
International vs. Deutsch
Amerikanische Poetry: Sehr personal, emotional direct. Trauma-Processing in verses.
Deutsche Tradition: Intellektuell, sprachspielerisch. Manchmal bisschen cold.
Moderne deutsche Poetry: Mischung aus beidem. Personal aber nicht kitschig. Intelligent aber accessible.
Der Mut-Faktor
Das Schwierigste: Anderen zeigen was du geschrieben hast.
Poetry ist vulnerable. Du gibst preis, wie du die Welt siehst. Wie du denkst. Wie du fühlst.
Kann backfiren. Kann aber auch beautiful sein.
Was ich gelernt hab
Schreib für dich erst. Andere später.
Nicht jeden Gedanken in ein Gedicht packen. Manche bleiben besser Gedanken.
Perfekt ist langweilig. Raw ist interessant.
Lese andere Dichter. Aber bleib du selbst.
Üben, üben, üben. Wie bei allem anderen auch.
Fazit (oder so)
Gedichte schreiben ist wie Musik machen. Erstmal klingt es scheiße. Dann besser. Irgendwann sogar gut.
Must nicht Shakespeare sein. Must nur honest sein.
Die Welt braucht mehr Poetry. Auch deine.
PS: Das Gedicht über meinen Kaffee war übrigens trash. Aber der nächste Versuch war besser.