
Walter Krause, 67, Rentner aus Gelsenkirchen, hat ein Geheimnis. In seinem Arbeitszimmer stehen vier Schuhkartons voller selbstgeschriebener Gedichte. Angefangen hat alles 1983, als seine erste Tochter geboren wurde: „Ein kleiner Mensch, so zart und fein, wird unser größtes Glück sein.“ Klingt nicht nach Goethe, kam aber von Herzen. Seine Frau Helga weiß nichts davon. „Die würde mich auslachen“, denkt Walter und schreibt trotzdem weiter. Über Jahreszeiten, über seine Arbeit im Bergwerk, über das Leben. „Ist halt mein Hobby“, sagt er zu sich selbst.
Kneipendichterin Marlene macht den „Dorfkrug“ berühmt
Im „Dorfkrug“ in einem niedersächsischen 800-Seelen-Nest hängt ein handgeschriebenes Schild: „Hier dichtet Marlene!“ Marlene Hoffmann, 54, Kellnerin seit 20 Jahren, reimt spontan über alles was passiert. Stammgast Heinrich bestellt sein drittes Bier: „Der Heinrich trinkt schon wieder Bier, wir hoffen er kommt gut nach Hause hier!“ Die Kneipe lacht, Heinrich zahlt eine Runde. Mittlerweile kommen Leute aus der ganzen Umgebung, nur um Marlenes Spontan-Reime zu hören. „Bin berühmter als der Bürgermeister“, lacht sie.
Emil und sein Garten-Tagebuch in Versen
Emil Schäfer aus einem Vorort von Stuttgart führt seit 15 Jahren ein besonderes Gartentagebuch. Jeder Tag wird in vier Zeilen zusammengefasst: „Die Tomaten werden langsam rot, die Schnecken fressen sich zu Tod, der Nachbar mäht schon wieder laut, ich gieß mein kleines Gartenparadies…“ Seine Frau Ingrid findet die Zettel manchmal beim Aufräumen und schmunzelt. „Der Emil wird noch zum Dichter“, sagt sie liebevoll. Emil hört das gern, schreibt aber trotzdem weiter heimlich.
Busfahrer Klaus und seine Reime für schwierige Fahrgäste
Klaus Meier fährt seit 25 Jahren Bus in Hamburg. Bei besonders nervigen Fahrgästen denkt er sich stumme Reime aus: „Der Mann da hinten meckert laut, hat wohl schlechte Laune heute…“ Hilft gegen Stress und hält ihn ruhig. Einmal hat er laut vor sich hingemurmelt, Fahrgäste haben gelacht statt geschimpft. Seitdem reimt Klaus öfter hörbar. „Bus-Poetry“ nennt es ein Student und macht ein Video. Klaus wird über Nacht berühmt, bleibt aber bescheiden: „Mach ich halt so.“
Oma Käthe und ihre Enkelkind-Chroniken
Käthe Zimmermann, 78, aus dem Münsterland hat für jedes ihrer elf Enkel ein eigenes Gedichte-Heft. Bei jedem Besuch, jedem Geburtstag, jeder wichtigen Begebenheit schreibt sie ein kleines Gedicht rein. „Der kleine Max hat heute Zähne bekommen, wir alle haben uns sehr gefreut…“ „Die Emma kann jetzt Fahrrad fahren, wir sind so stolz auf unsere Kleine…“ Die Enkel finden Oma Käthe „etwas komisch“, aber die Hefte sind ihnen heilig. „Später mal“, sagt sie, „wenn ich nicht mehr da bin, haben sie was von mir.“
Poetry Slam im Altenheim überrascht alle
Altenheim „Abendsonne“ in Hannover: Sozialarbeiterin Jana, 28, hat eine verrückte Idee. „Wir machen Poetry Slam mit den Bewohnern!“ Die meisten sind skeptisch. Aber nach vier Wochen Vorbereitung stehen acht Rentner vor 40 Besuchern und tragen eigene Texte vor. Heinrich, 81, rappt über seine Kriegserlebnisse. Gisela, 76, dichtet über moderne Jugend. Publikum ist begeistert, Angehörige weinen vor Rührung. „Wer hätte das gedacht“, staunt Heimleiterin Müller. Jetzt gibt’s jeden Monat Poetry-Abend.
Mechatroniker Dennis entdeckt seine poetische Seite
Dennis Köhler, 29, arbeitet bei BMW in München. Nach Feierabend geht er nicht zum Fußball oder ins Fitness, sondern in die Stadtbibliothek. Dort schreibt er Gedichte über seinen Arbeitsalltag, über Maschinen, die leben, über Schrauben, die sprechen. Kollegen wissen nichts davon. „Würden mich für verrückt halten“, denkt Dennis. Bei einem Literaturwettbewerb gewinnt er den dritten Platz mit „Ode an den Schraubenschlüssel“. Steht heimlich im Betriebsblatt, keiner merkt dass er’s ist.
Grundschullehrerin Sabine und ihre Schüler-Poeten
Sabine Weber unterrichtet die dritte Klasse in Würzburg. Jeden Freitag ist „Gedichte-Stunde“ – nicht aus dem Buch, sondern selbstgemacht. Die Kinder dichten über alles: „Meine Mama schnarcht so laut wie ein Traktor auf der Wiese…“ „Unser Hund ist faul und dick und schläft den ganzen Tag…“ Grammatik ist egal, Hauptsache Spaß. Eltern sind begeistert beim Schulfest, wenn die Kinder ihre Verse vortragen. Auch die coolsten Jungs sind stolz auf ihre Reime.
Liebeskummer-Lyrik von Studentin Sarah
Sarah, 22, studiert BWL in Köln. Nach der Trennung von ihrem Freund fängt sie an zu dichten – über Herzschmerz, über Hoffnung, über das Erwachsenwerden. Postet ihre Gedichte auf Instagram, bekommt hunderte Likes und Nachrichten: „Geht mir genauso!“ „Hab geweint!“ „Bitte mehr!“ Mittlerweile hat sie 15.000 Follower und einen Verlag im Rücken. „Hätte nie gedacht, dass aus Liebeskummer ein Beruf wird“, lacht sie.
Friedhofsgärtner Georg und seine stillen Verse
Georg Huber arbeitet seit 30 Jahren als Friedhofsgärtner in Regensburg. Bei seiner Arbeit zwischen den Gräbern kommen ihm oft Gedichte in den Sinn – über das Leben, über den Tod, über die Menschen, die hier beerdigt sind. Er schreibt sie auf kleine Zettel und versteckt sie zwischen den Blumen. Manchmal findet sie jemand, manchmal nicht. „Ist für die Verstorbenen“, sagt er, „und für die, die sie besuchen.“ Einmal hat eine trauernde Witwe einen Zettel gefunden und sich bei der Friedhofsverwaltung bedankt. Georg hat nie gesagt, dass er es war.
Schichtarbeiter Frank dichtet in der Nachtschicht
Frank Becker, 45, arbeitet nachts in einer Chemiefabrik bei Ludwigshafen. Zwischen den Kontrolgängen um 2 Uhr morgens ist Zeit zum Nachdenken. Er schreibt seine Gedanken in Reimform auf: „Die Nacht ist lang, die Welt ist still, ich denke an das was ich noch will…“ Seine Frau findet die Zettel morgens auf dem Küchentisch und freut sich. „Der Frank wird philosophisch“, sagt sie stolz. Nachbarn halten ihn für verrückt – wer dichtet schon in der Chemiefabrik?
Rentner-Poesiezirkel im Gemeindezentrum
Jeden zweiten Mittwoch treffen sich acht Rentner im Gemeindezentrum von Bad Hersfeld. „Schreibkreis 60+“ nennen sie sich, aber eigentlich geht’s nur ums Dichten. Thema heute: „Früher war’s anders“. Acht verschiedene Sichtweisen auf die gute alte Zeit, manche wehmütig, manche kritisch, alle ehrlich. Anschließend Kaffee und Diskussion. „Tut gut, die Gedanken zu ordnen“, sagt Hildegard, 73. „Und anderen zuzuhören“, ergänzt Werner, 69.
Teenager Max rappt seine Probleme weg
Max Schulze, 16, aus einem Plattenbau in Dresden hat Probleme zuhause, Stress in der Schule, unsichere Zukunft. Statt Frust oder Gewalt wählt er Worte. Schreibt Rap-Texte über sein Leben, über seine Träume, über seine Ängste. Übt heimlich im Keller, bis die Nachbarn klopfen. Bei der Schultalentshow überrascht er alle mit seinem selbstgeschriebenen Song „Plattenbau-Blues“. Steht ovation, sogar die Lehrer sind begeistert. Max hat seinen Weg gefunden.
Bäckerin Petra und ihre Rezept-Gedichte
Petra Lindner führt eine kleine Bäckerei in Hessen. Auf jede Brotsorte klebt sie ein selbstgeschriebenes Gedicht: „Das Vollkornbrot ist kernig und gesund, macht satt und glücklich zu jeder Stund’…“ Kunden finden’s erst komisch, dann charmant. „Zur Bäckerin mit den Gedichten“ sagen sie und kommen extra wegen der Zettelchen. Petra ist glücklich – ihre Leidenschaft fürs Backen und fürs Reimen vereint. „Brot und Worte nähren beide“, steht über ihrer Ladentür.
Krankenhaus-Clown Werner schreibt Mutmach-Verse
Werner Schmidt, 52, arbeitet als Klinik-Clown in einem Kinderkrankenhaus. Für jedes Kind, das er besucht, denkt er sich ein kleines Gedicht aus: „Die Lisa ist so tapfer und so stark, bald geht sie wieder fröhlich in den Park…“ Schreibt die Verse auf bunte Karten und lässt sie da. Ärzte und Pfleger finden die Gedichte später, manche Eltern rahmen sie ein. „Worte heilen manchmal besser als Medizin“, sagt Werner bescheiden.
Dorfchronistin Gisela reimt Geschichte
Gisela Hofmann, 68, schreibt die Chronik ihres 600-Seelen-Dorfes in Thüringen – aber nicht in Prosa, sondern in Gedichtform. „1874 kam die Eisenbahn ins Tal, die Bauern freuten sich alle mal…“ Dorfrat findet’s erst albern, dann genial. Bei der 1000-Jahr-Feier trägt Gisela ihre Dorf-Saga vor, alle sind gerührt. „Geschichte in Reimen bleibt besser im Gedächtnis“, erklärt sie. Hat recht – Kinder können die Verse alle auswendig.
Fernfahrer Holger und seine Autobahn-Poesie
Holger Kranz fährt seit 20 Jahren Lkw quer durch Europa. An Rastplätzen schreibt er seine Eindrücke auf: „Die Autobahn zieht sich durchs Land, wie ein graues Seidenband…“ Seine Frau sammelt die Zettel zuhause in einem Ordner. „Reisetagebuch in Versen“ nennt sie es. Holger ist verlegen: „Ist halt Quatsch!“ Aber er macht weiter, weil die Worte ihm die langen Fahrten versüßen.
Hausmeister Rudi dichtet Beschwerden
Rudolf Kramer ist Hausmeister in einer Wohnsiedlung in Dortmund. Statt sich über Beschwerden zu ärgern, reimt er sie um: „Frau Müller meckert über Lärm, ich hör ihr zu und bleib ihr Freund…“ Mieter sind verblüfft über seine Gelassenheit. Einige fangen an, auch zu reimen: „Herr Kramer ist so nett und klug, wir haben wirklich Glück genug!“ Die Hausgemeinschaft wird entspannter, alle verstehen sich besser.
Deutsche dichten überall – in Kneipen und Krankenhäusern, in Schrebergärten und Fabrikhallen, in Altenheimen und Klassenzimmern. Nicht für die Ewigkeit, nicht für Literaturpreise. Sondern fürs Leben, für den Moment, für die Seele. Unsere wahren Gedichte stehen nicht in Büchern – sie kleben am Kühlschrank, liegen in Schreibtischschubladen und leben in Herzen weiter.