
Montag nach Ostern. Kollegin Sandra sieht aus wie nach einer Woche Hardcore-Festival. Augenringe, müde Stimme, leerer Blick.
„Wie war dein Osterwochenende?“, frage ich.
„Vier Termine“, antwortet sie. „Osterbrunch bei meinen Eltern, Mittag bei seinen Eltern, Kaffee bei der Oma, abends noch bei Freunden.“
„Klingt anstrengend.“
„War es auch. Aber muss ja.“
Muss ja. Die drei Worte, die deutsche Feiertage perfekt zusammenfassen.
Der Feiertags-Kalender als Stressfaktor
Januar: Noch müde vom Weihnachtswahnsinn. Februar: Valentinstag-Druck (seit wann ist das deutsch?). März: Ostervorbereitungen beginnen. April: Oster-Marathon. Mai: Drei Feiertage + alle Geburtstage, die man seit Winter aufgeschoben hat. Juni: Pfingsten (keiner weiß warum, alle machen mit). Juli/August: Urlaubsstress. September: Oktoberfest-Saison. Oktober: Halloween (auch das ist jetzt deutsch). November: Weihnachtsmarkt-Auftakt. Dezember: Weihnachts-Apokalypse.
Kein Wunder, dass wir erschöpft sind.
Familienbesuche: Liebe mit Verfallsdatum
„Ihr kommt doch zu Weihnachten?“
Das ist keine Frage. Das ist eine Feststellung. Mit implizierter Drohung.
Resultat: Deutsche Autobahns am 23. Dezember. Millionen Menschen fahren quer durchs Land, um drei Stunden mit Familie zu verbringen, die sie das ganze Jahr über vermeiden.
„Aber es ist doch Familie!“
Ja. Und? Familie kann auch anstrengend sein. Darf man nur nicht sagen.
Onkel Hans erzählt wieder seine Kriegsgeschichten. Tante Gerda kommentiert dein Gewicht. Oma fragt, wann endlich Enkelkinder kommen.
Drei Stunden fühlen sich an wie drei Wochen.
Der Geschenke-Teufelskreis
Weihnachten: 23 Geschenke kaufen. Budget pro Person mental festgelegt, weil man letztes Jahr gemerkt hat, wer mehr/weniger ausgegeben hat.
Ostern: „Nur was Kleines!“ Trotzdem 15 Euro pro Nest.
Geburtstage: Facebook erinnert dich täglich an Menschen, die du seit Jahren nicht gesehen hast. Aber ignorieren geht nicht – sieht man ja, wer gratuliert hat.
Endresultat: 800 Euro pro Jahr für Geschenke für Leute, die dir genauso viel für dich kaufen.
Net effect: Zero. Stress: Maximum.
Weihnachtsmärkte: Touristenattraktion statt Tradition
Früher: Dorfgemeinschaft trifft sich, verkauft selbstgemachte Sachen, trinkt heißen Wein.
Heute: Mega-Event mit Franchise-Ständen. Bratwurst für 6 Euro, Glühwein für 5 Euro (plus 2 Euro Pfand für den Plastikbecher).
„Aber die Atmosphäre!“
Welche Atmosphäre? Touristenmassen, überteuerte Preise, Plastik-Souvenirs aus China?
Trotzdem gehen wir hin. Jedes Jahr. „Gehört halt dazu.“
Oster-Brunch: Wenn Entspannung zum Event wird
„Machst du wieder Oster-Brunch?“
Nein, eigentlich nicht. Will nur ausschlafen und Netflix schauen.
„Aber letztes Jahr war so schön!“
Letztes Jahr war stressig. Drei Stunden kochen für zwei Stunden essen.
„Dann mache ich eben…“
Nein! Jetzt fühle ich mich schlecht und mache doch wieder Oster-Brunch.
Deutsche Höflichkeit macht uns zu Sklaven unserer eigenen Traditionen.
Pfingsten: Der verwaisenste Feiertag
„Was macht ihr an Pfingsten?“
„Äh… irgendwas mit… Heiligem Geist?“
„Achso. Fahrt ihr weg?“
„Nee, zu voll überall.“
„Dann entspannt ihr euch wenigstens.“
„Müssen noch den Garten machen. Und bei Oma vorbei. Und…“
Selbst am sinnlosesten Feiertag schaffen wir es, Stress zu produzieren.
Social Media macht alles schlimmer
Instagram am 25. Dezember: 500 perfekte Weihnachts-Posts.
Perfekte Tische, perfekte Familien, perfekte Geschenke.
Deine Realität: Oma meckert übers Essen, Bruder hat sein Geschenk vergessen, du hast drei Kilo zugenommen.
Trotzdem postest du das eine Foto, wo alle lächeln.
„Besinnliche Weihnachten mit der Familie! ❤️“
Lüge. Aber schöne Lüge.
Urlaubstage für Feiertage „verschwenden“
27 Urlaubstage pro Jahr. Klingt viel.
Minus Weihnachten (3 Tage). Minus Ostern (2 Tage). Minus Brückentage (4 Tage). Minus Familiengeburtstage (3 Tage).
Bleiben 15 Tage für echten Urlaub.
„Warum fahrt ihr nicht mal richtig weg?“
Weil wir unsere freien Tage für Pflichttermine verbrauchen.
Regionale Ungerechtigkeiten
Bayern: 13 Feiertage. Berlin: 9 Feiertage.
Gleiche Arbeitsverträge, unterschiedliche Freizeit.
„Dann zieh halt nach Bayern!“
Danke für den Tipp. Sehr hilfreich.
Kinder verstehen das System noch nicht
„Warum müssen wir zu Oma?“ „Weil Weihnachten ist.“ „Aber ich will zuhause bleiben.“ „Das geht nicht.“ „Warum?“ „Das macht man so.“
Beste Erklärung ever. Kinder merken: Erwachsene machen komische Sachen ohne logische Gründe.
Corona war ein Reality-Check
2020: „Weihnachten fällt aus!“
Panik. Aber auch… Erleichterung?
Niemand musste irgendwo hinfahren. Kein Geschenke-Stress. Keine überfüllten Weihnachtsmärkte.
„War eigentlich ganz entspannt“, haben viele gesagt. Aber nur geflüstert.
Alternative Feiertags-Modelle
Opt-Out statt Opt-In „Wir machen dieses Jahr nicht mit.“ Radikal, aber befreiend.
Rotation Jedes Jahr andere Familie besuchen. Fair, aber logistisch kompliziert.
Neue Traditionen Pizza statt Gänsebraten. Netflix statt Gottesdienst. Urlaub statt Verwandtenbesuch.
Klingt gut. Umsetzung schwierig.
Warum ändern wir nichts?
German guilt.
„Aber die Tradition!“ „Aber die Familie!“ „Aber das macht man doch!“
Plus: Fear of missing out. Was wenn’s ohne uns doch schön wird?
(Spoiler: Wird es nicht.)
Feiertags-Burnout ist real
Symptome:
- Panik bei Terminkalender-Öffnung
- Automatische „Ja“-Reflexe bei Einladungen
- Erschöpfung nach jedem Wochenende
- Vorfreude auf Montag
Therapie: Grenzen setzen. „Nein“ lernen. Prioritäten definieren.
Easier said than done.
Internationale Perspektive
Skandinavien: Weniger Feiertage, mehr Entspannung. Südeuropa: Mehr Feiertage, weniger Stress dabei. Deutschland: Maximum an Stress bei moderater Anzahl Feiertage.
We’re special.
Kommerz hat Feiertage gekapert
Valentinstag: Erfunden von Blumenhändlern. Halloween: Importiert von Süßigkeiten-Industrie. Black Friday: Shopping als Feiertag.
Wir fallen drauf rein. Jedes Jahr.
Was wirklich helfen würde
- Ehrlichkeit „Ich hab keine Lust“ ist ein valider Grund.
- Planung Nicht alle Feiertage gleichzeitig.
- Grenzen „Das schaffe ich nicht“ sagen lernen.
- Neue Traditionen Die zu dir passen, nicht zu anderen.
- Weniger ist mehr Quality time statt quantity time.
Mein persönlicher Feiertags-Streik
Letztes Weihnachten: Abgesagt. Alle Termine.
Stattdessen: Buch gelesen, spazieren gegangen, selbst gekocht.
Reaktionen: „Aber das ist doch einsam!“
War es nicht. War friedlich.
Was Feiertage sein könnten
Auszeit vom Alltag. Zeit für Menschen, die man mag. Entspannung statt Verpflichtung. Freude statt Pflicht.
Klingt utopisch? Ist es auch.
Aber man darf träumen.
Schöne Feiertage – wann immer ihr die nächsten habt. Und denkt dran: Ihr müsst nicht überall hin.














