
Paula Plappermaul, ein Mädchen, das ununterbrochen redet, wird plötzlich still und entdeckt die faszinierende Welt der leisen Geräusche.
Paula war bekannt im ganzen Haus, ach was, in der ganzen Straße, wahrscheinlich sogar im ganzen Städtchen, als Paula Plappermaul.
Ihr Mundwerk stand niemals still. Niemals!
Schon morgens, kaum dass die Sonne durchs Fenster blinzelte, sprudelte es aus ihr heraus.
„Guten Morgen, Mama! Weißt du, was ich geträumt habe? Von einem lila Eichhörnchen, das auf einem fliegenden Teppich saß und mir zugewunken hat! Und dann…“
Papa bekam beim Frühstück die neuesten Nachrichten aus dem Land der Kuscheltiere.
„Teddy hat gesagt, Bärbel Bär hat seine Honigkekse versteckt! Das ist gemein, oder? Findest du nicht auch? Soll ich Teddy helfen zu suchen? Aber Bärbel ist auch lieb, vielleicht hat sie die Kekse nur…“
Selbst der Goldfisch im Glas, Blubb, bekam täglich einen ausführlichen Bericht über Wolkenformen, vorbeifliegende Vögel und die Farbe von Paulas Socken.
Manchmal hielten sich Mama und Papa scherzhaft die Ohren zu, aber sie liebten ihre Paula genau so, wie sie war – mit ihrem endlosen Redefluss, der wie ein fröhlicher Bach durchs Haus plätscherte.
Doch eines Morgens war alles anders.
Paula kam die Treppe heruntergeschlichen, setzte sich an den Frühstückstisch und… schwieg.
Kein Wort über Träume, keine Neuigkeiten von Teddy, kein Kommentar zum Wetter.
Sie nahm ihr Brötchen, bestrich es sorgfältig mit Marmelade und biss hinein. Still.
Mama und Papa wechselten einen verwunderten Blick.
„Guten Morgen, mein Schatz“, sagte Mama vorsichtig. „Gut geschlafen?“
Paula nickte. Lächelte ein kleines bisschen. Aber sagte nichts.
„Ist… ist alles in Ordnung?“, fragte Papa und beugte sich näher zu ihr. „Hast du Halsschmerzen?“
Paula schüttelte den Kopf. Sie tippte sich an den Hals und machte eine Geste, die wohl „Alles bestens“ bedeuten sollte.
Das Frühstück verlief in einer ungewohnten Stille, die fast schon laut war. Nur das Klappern des Bestecks und Papas nervöses Räuspern waren zu hören.
„Vielleicht ist sie einfach noch müde“, flüsterte Mama.
Aber auch im Laufe des Vormittags blieb Paula still.
Sie spielte im Garten, beobachtete eine Ameisenstraße, die geschäftig unter dem Rosenbusch entlangzog. Sie schaute den Bienen zu, wie sie von Blüte zu Blüte summten.
Normalerweise hätte sie das alles laut kommentiert: „Schaut mal, die Ameisen tragen Krümel! Wohin gehen die wohl? Haben die auch ein Haus? Und die Biene! Die hat ja gelbe Hosen an! Kitzelt das nicht?“
Heute aber: Nichts. Nur ein konzentrierter Blick und ein leises Lächeln.
Mama versuchte es mit Kitzeln. Paula kicherte leise, aber kein Wort kam über ihre Lippen.
Papa versuchte es mit ihrem Lieblingslied, das er extra schief sang. Paula grinste breit, aber blieb stumm.
Sogar Kater Schnurri, der sonst immer vor Paulas Redeschwall Reißaus nahm, kam neugierig näher und stupste sie mit der Nase an. Paula kraulte ihn hinter den Ohren. Still.
Langsam wurden Mama und Papa ein bisschen unruhig. War vielleicht doch etwas nicht in Ordnung?
„Paula, Liebling“, sagte Papa sanft und hockte sich neben sie auf die Wiese. „Du bist heute so still. Ist etwas passiert? Hat dich jemand geärgert?“
Paula schüttelte den Kopf und zeigte auf ihr Ohr, dann machte sie eine lauschende Bewegung.
„Du hörst etwas?“, fragte Mama erstaunt.
Paula nickte eifrig.
Nun wurden Mama und Papa neugierig. Sie setzten sich neben Paula auf die Wiese und versuchten, ebenfalls zu lauschen.
Zuerst hörten sie nur den Wind in den Bäumen und das entfernte Geräusch eines Autos.
Aber Paula legte den Finger auf ihre Lippen und zeigte auf einen Marienkäfer, der langsam über ein Gänseblümchen krabbelte.
Sie spitzten die Ohren. Ganz, ganz leise, fast unhörbar, hörten sie ein winziges Tippeln. Die kleinen Füßchen des Marienkäfers auf dem Blütenblatt.
„Hört ihr?“, flüsterte Paula, ihr erstes Wort an diesem Tag, so leise, dass es kaum zu verstehen war.
Mama und Papa schauten sich verblüfft an. Dann lächelten sie.
Paula zeigte auf die Ameisenstraße. Wieder lauschten sie.
Sie hörten das feine Rascheln der vielen kleinen Beinchen auf dem trockenen Boden, das leise Knistern, wenn eine Ameise ein winziges Steinchen zur Seite schob.
Sie lauschten dem Summen der Biene, das ganz nah viel tiefer und brummiger klang als aus der Ferne.
Sie hörten das zarte Flattern eines Schmetterlings, der sich auf einer Blüte niederließ.
„Ich habe gemerkt“, flüsterte Paula weiter, „dass die Welt ganz viele leise Geräusche macht. Die hört man gar nicht, wenn man immer nur redet.“
Sie lächelte strahlend. „Es ist wie ein Geheimkonzert, nur für die, die ganz still sind und gut zuhören.“
Mama strich Paula über den Kopf. „Das hast du aber schön entdeckt, mein Schatz.“
Papa nickte. „Manchmal ist Zuhören genauso spannend wie Erzählen.“
An diesem Tag redete Paula immer noch viel weniger als sonst. Sie lauschte weiter den kleinen Wundern im Garten.
Abends, beim „Was-ich-gut-kann-Gespräch“ mit Papa, sagte sie: „Heute konnte ich besonders gut still sein und zuhören.“
Papa lächelte. „Und du hast uns gezeigt, wie schön die leisen Töne sein können.“
Von da an war Paula immer noch ein fröhliches Mädchen, das gerne erzählte. Aber manchmal, wenn sie ganz still im Garten saß und lauschte, wussten Mama und Papa: Paula Plappermaul war gerade auf Entdeckungsreise im Land der leisen Geräusche.
Und das war mindestens genauso aufregend wie ein lila Eichhörnchen auf einem fliegenden Teppich.