Sophie und der letzte Traum des Tages

Sophie und der letzte Traum des Tages

Sophie kann nicht schlafen und sucht mit Wollie, dem Staubflusen, nach dem allerletzten Traum des Tages. Eine humorvolle Gute-Nacht-Geschichte.

Sophie lag in ihrem Bett, die Decke bis zum Kinn gezogen.

Draußen war es dunkel, nur der Mond schickte einen schmalen Streifen Licht durch den Vorhangspalt.

Mama und Papa hatten ihr einen Kuss gegeben und „Schlaf schön!“ gesagt.

Aber Sophie konnte nicht schlafen.

Ihre Augen waren kugelrund und starrten an die Decke, wo die Schatten lustige Muster tanzten.

Ein Gedanke wirbelte in ihrem Kopf herum, so kitzelig wie eine Feder: Was, wenn alle Träume für heute Nacht schon weg waren?

Verbraucht?

Ausgeträumt von den anderen Kindern in der Stadt?

Das wäre ja furchtbar!

Eine Nacht ganz ohne Träume? Ohne fliegende Ponys, sprechende Kekse oder Abenteuer im Bonbonland?

Sophie spitzte die Ohren.

War da nicht ein Geräusch?

Ein ganz leises, kratziges Kichern aus der Ecke unter ihrem Schreibtisch?

Neugierig schob sie die Decke beiseite.

Ihre nackten Füße berührten den kühlen Holzboden.

Taps, taps, taps.

Sie schlich zum Schreibtisch und spähte darunter.

Zuerst sah sie nur Dunkelheit und ein paar vergessene Legosteine.

Doch dann bewegte sich etwas!

Ein kleines, graues, flauschiges Dingens rollte hervor.

Es sah aus wie ein verirrter Wattebausch, hatte aber zwei winzige Knopfaugen, die Sophie frech anblinzelten.

„Hatschi!“, machte das Dingens leise.

Staub wirbelte auf.

„Wer bist du denn?“, flüsterte Sophie.

Das graue Knäuel rappelte sich auf und machte eine Art Verbeugung, bei der es fast umfiel.

„Ich bin Wollie! Der Hüter der vergessenen Krümel und Herrscher über das Reich unter deinem Bett“, piepste es stolz.

Sophie kicherte. Ein Staubflusen-König?

„Wollie, sag mal“, fragte Sophie ganz aufgeregt, „weißt du vielleicht, wo die Träume sind? Ich glaube, sie sind alle schon weg!“

Wollie legte den Kopf schief, was bei einem runden Flusenball sehr lustig aussah.

„Weg? Papperlapapp! Träume sind doch nicht wie Gummibärchen, die man aufessen kann!“

„Aber ich kann keinen finden! Mein Kopf ist ganz leer“, jammerte Sophie.

Wollie tippelte näher heran.

„Vielleicht ist der letzte Traum des Tages einfach nur sehr, sehr schüchtern. Er versteckt sich gerne.“

„Wo denn?“, fragte Sophie hoffnungsvoll.

„Puh“, machte Wollie und wirbelte wieder Staub auf. „Schüchterne Träume mögen es ordentlich. Ganz still und aufgeräumt. Dein Zimmer ist… nun ja… ein Abenteuerspielplatz für Staubflusen wie mich!“

Sophie blickte sich um. Stimmt ja.

Bücher lagen auf dem Boden, Malsachen auf dem Stuhl, und ihre Kuscheltiere hatten eine wilde Kissenschlacht veranstaltet, bevor sie eingeschlafen waren.

„Okay“, sagte Sophie entschlossen. „Dann räume ich schnell auf!“

Sie begann, die Bücher ins Regal zu stellen.

„Pssst, Bücher! Seid ganz leise, wir suchen einen Traum!“, flüsterte sie.

Ein dickes Märchenbuch rutschte ihr fast aus der Hand.

„Hehe“, kicherte Wollie und rollte zwischen Sophies Füßen herum. „Pass auf, sonst weckst du die schlafenden Buchstaben!“

Sophie hob ihre Kuscheltiere auf.

„So, Bär Brummel, du kommst hierhin. Und Affe Koko, bitte nicht mehr auf dem Kissen turnen.“

„Kitzelt’s?“, piepste Wollie und stupste Sophie mit seiner flauschigen Seite an die Fußsohle.

„Wollie! Hör auf!“, lachte Sophie. „Ich muss mich konzentrieren!“

Aber Wollie kullerte kichernd davon und versteckte sich hinter einem Stuhlbein.

Sophie versuchte, die Malstifte in die Dose zu sortieren.

Rot zu rot, blau zu blau.

Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab.

War der Traum vielleicht schon beleidigt weggeflogen, weil es hier so wuselig war?

Sie setzte sich mitten auf den Teppich und seufzte.

„Das schaffe ich nie. Es ist einfach zu unordentlich.“

Wollie rollte langsam wieder hervor.

„Vielleicht“, sagte er nachdenklich und putzte sich ein Staubkorn von der Nase (oder da, wo die Nase sein sollte), „musst du nicht das Zimmer aufräumen.“

„Sondern?“, fragte Sophie.

„Vielleicht musst du nur… in dir drin aufräumen?“, flüsterte Wollie.

Sophie runzelte die Stirn. In ihr drin aufräumen?

„Mach mal die Augen zu“, sagte Wollie.

Sophie gehorchte.

„Und jetzt sei mal ganz still. Hörst du dein Herz pochen? Bum, bum, bum.“

Sophie lauschte. Ja, da war es.

„Und jetzt atme mal tief ein… und wieder aus… ganz langsam, wie eine müde Wolke.“

Sophie atmete. Ein. Aus.

Der kitzelige Gedanke an die verschwundenen Träume wurde ruhiger.

Die Sorge, etwas zu verpassen, wurde kleiner.

Sie stellte sich vor, wie alle unruhigen Gedanken wie kleine Seifenblasen davon schwebten.

Plötzlich spürte sie ein winziges, sanftes Kitzeln an ihrer Nasenspitze.

Noch sanfter als Wollies Stupser.

Sie öffnete vorsichtig die Augen.

Direkt vor ihr, schwebend in der Luft, war eine kleine, schimmernde Kugel.

Sie glänzte in allen Farben des Regenbogens und pulsierte sanft, wie ein winziges Herz.

„Wow…“, hauchte Sophie.

„Da ist er!“, wisperte Wollie aufgeregt von unten. „Der letzte Traum des Tages! Ganz frisch und nur für dich! Puste ihn mal vorsichtig an!“

Sophie holte tief Luft, spitzte die Lippen und pustete – ganz, ganz sanft.

Die schillernde Traumkugel schwebte langsam auf sie zu.

Sie berührte ihre Stirn…

…und zerplatzte lautlos in tausend winzige, glitzernde Funken.

Ein wohliges, warmes Gefühl durchströmte Sophie.

Ein Gähnen entfuhr ihr, so groß, dass ihr Kiefer knackte.

Ihre Augenlider wurden schwer wie Blei.

Sie krabbelte zurück in ihr Bett und kuschelte sich tief in die Decke.

Aus der Ecke unter dem Bett hörte sie ein leises, zufriedenes Schnarchen. Es klang ein bisschen staubig.

Sophie lächelte.

Die Träume waren gar nicht weg.

Sie warteten nur darauf, dass man ganz ruhig und bereit für sie war.

Und dieser hier, der allerletzte für heute, fühlte sich besonders schön an.

Schon im nächsten Moment war Sophie eingeschlafen und reiste auf einem flauschigen Schaf durch sternenklare Zuckerwattewolken.

Und Wollie? Der träumte unter dem Bett den größten Krümel der Welt.