
Leo entdeckt, dass Papas Schnarchen kein Lärm ist, sondern ein geheimnisvoller Wald, den er auf einer nächtlichen Pyjama-Parade erkundet.
Leo lag in seinem Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen. Draußen funkelten die Sterne, aber hier drinnen war es dunkel und still.
Na ja, fast still.
Aus dem Zimmer nebenan, wo Mama und Papa schliefen, drang ein Geräusch. Ein tiefes, brummendes, manchmal pfeifendes Geräusch.
CHRRRRR-PÜÜÜÜH.
Leo kannte das Geräusch gut. Es war Papas Schnarchen. Normalerweise war es nur ein Hintergrundsummen, wie ein alter Kühlschrank.
Aber heute Nacht war es anders.
Heute klang es… magisch.
CHRRRR-BUMMM.
Das klang nicht einfach nur wie Schnarchen. Das klang wie das tiefe Grummeln eines schlafenden Riesen tief im Wald.
PFÜÜÜÜ-FIIIIEP.
Und das? Das war doch sicher das Zwitschern winziger, nachtaktiver Waldvögelchen, die in den Ästen sangen!
Leo setzte sich auf. Seine Augen waren plötzlich hellwach.
Das war kein normales Schlafzimmergeräusch. Das war… ein Wald! Ein geheimnisvoller, verborgener Wald, der nur nachts zum Leben erwachte.
Ein Schnarchwald!
Die Neugier kitzelte Leo in den Zehenspitzen. Er musste diesen Wald erkunden! Das war eine Mission!
Leise, leise wie ein kleiner Indianer auf der Pirsch, schlüpfte er aus seinem Bett. Der Holzboden war kühl unter seinen nackten Füßen.
Sein Pyjama, ein blauer mit kleinen, silbernen Raketen drauf, fühlte sich plötzlich an wie die Uniform eines mutigen Entdeckers.
Er schlich zur Tür seines Zimmers und drückte die Klinke sachte nach unten. Knarz! Oh nein, zu laut!
Leo erstarrte. Er lauschte. Aus dem Nebenzimmer kam nur das vertraute:
CHRRRR-PÜÜÜÜH.
Gut. Niemand war aufgewacht. Die Bewohner des Schnarchwaldes schliefen tief und fest.
Er schlich über den Flur. Je näher er Papas Tür kam, desto lauter und vielfältiger wurden die Geräusche.
Ein tiefes Rumpeln, fast wie ferner Donner. RUMMMMMBEL-CHRRR.
Dann wieder ein hohes, feines Säuseln. SSSSÄUSEL-FIIIIEP.
Leo stellte sich vor, wie im Schnarchwald riesige, bemooste Bäume standen, deren Äste bei jedem Atemzug knarrten (CHRRR!).
Er sah kleine, leuchtende Pilze am Boden (PÜÜÜH!), die im Takt des Schnarchens aufblinkten.
Und die rumpelnden Geräusche? Das waren sicher die Schnarch-Bären, die sich in ihren Höhlen gemütlich umdrehten (RUMMMBEL!).
Die Tür zum Schlafzimmer seiner Eltern stand einen winzigen Spalt offen. Nur ein dünner Lichtstreifen vom Nachtlicht fiel auf den Flurteppich.
Leo nahm all seinen Mut zusammen. Er war jetzt ein Forscher auf geheimer Mission.
Er legte sein Ohr an den Spalt. Die Geräusche waren jetzt ganz nah.
CHROOOOONCH.
Uii, das klang wie ein großer Ast, der abbrach! Oder vielleicht war das der Schnarch-Riese, der sich gerade die Nase kratzte?
Leo musste es sehen! Er musste einen Blick in diesen verwunschenen Wald werfen.
Ganz, ganz vorsichtig schob er die Tür einen Fingerbreit weiter auf.
Er spähte hinein.
Aber… da war kein Wald.
Keine bemoosten Bäume, keine leuchtenden Pilze, keine Schnarch-Bären.
Da lag nur Papa in seinem Bett. Der Mund leicht geöffnet, die Nasenflügel bebten bei jedem Atemzug.
CHRRR-PÜÜÜH.
Leo blinzelte. War das alles? Nur Papa?
Er war ein bisschen enttäuscht. Wo war sein Schnarchwald geblieben?
Er schaute genauer hin. Papas Brust hob und senkte sich im tiefen Schlaf.
Und mit jedem Atemzug kamen die Geräusche.
CHRRRR-BUMM.
Leo überlegte. Vielleicht war der Wald ja nicht im Zimmer. Vielleicht war er… in Papa?
Eine verrückte Idee! Aber warum nicht? In Geschichten war doch alles möglich!
Vielleicht war Papas Nase das Tor zum Schnarchwald?
Leo stellte sich vor, wie er winzig klein wurde, wie ein kleiner Käfer, und durch Papas Nasenloch in den Wald hineinkrabbelte.
Er kicherte leise bei dem Gedanken.
Er würde durch Tunnel aus Nasenhaaren wandern (PFÜÜÜ-FIEP!) und auf riesigen Mandeln wie auf Trampolinen hüpfen (CHROONCH!).
Er würde den Schnarch-Bären (RUMMMBEL!) zuwinken und den kleinen Schnarch-Vögelchen beim Singen lauschen.
Aber dann dachte er nach. Wenn der Wald in Papa war, dann brauchte Papa den Wald ja zum Schlafen.
Wenn Leo jetzt da drin herumtrampeln würde, würde er Papa vielleicht aufwecken.
Und dann wäre der Schnarchwald plötzlich weg! Einfach verschwunden.
Das wollte Leo auf keinen Fall. Der Schnarchwald war viel zu spannend und geheimnisvoll, um ihn zu stören.
Er beschloss, dass es besser war, den Wald von außen zu bewundern.
Er zog die Tür leise wieder zu, bis nur noch der winzige Spalt übrig war.
Dann schlich er, immer noch auf Zehenspitzen, zurück in sein eigenes Zimmer.
Er kuschelte sich wieder unter seine Decke.
Jetzt hörte er das Schnarchen wieder aus der Ferne.
CHRRRR-PÜÜÜH. RUMMMBEL-FIEP.
Aber jetzt war es nicht mehr nur Papas Schnarchen.
Es waren die Geräusche seines geheimen Waldes.
Leo lächelte in sein Kissen. Er war der einzige, der vom Schnarchwald wusste.
Er lauschte dem tiefen Brummen der Schnarch-Bären und dem leisen Pfeifen der Vögelchen.
Es war wie ein Schlaflied, nur viel abenteuerlicher.
Er stellte sich vor, wie die Raketen auf seinem Pyjama ihn sanft durch die Nacht trugen, über die Wipfel des Schnarchwaldes hinweg.
Langsam wurden seine Augenlider schwer.
Das letzte, was er hörte, war ein zufriedenes
CHRRRRRR…. BUMM… püüüüh…
Und dann schlief Leo ein, mit dem Kopf voller Träume vom geheimnisvollen, wunderbaren Schnarchwald nebenan.