Der Bäcker backt die letzten Schlafkörnchen

Der Bäcker backt die letzten Schlafkörnchen

Ein neugieriges Mädchen, das nicht schlafen kann, entdeckt die geheime Bäckerei, wo süße Träume und müde Gähner zu magischen Schlafkörnchen gebacken werden.

Pippa lag in ihrem Bett und starrte an die Decke.

Ihre Augen waren kugelrund wie Murmeln, aber überhaupt nicht müde.

Draußen schien der Mond so hell, dass er freche Schattenmuster an ihre Wand malte.

Ein Schatten sah aus wie ein Wackelpudding mit Ohren, ein anderer wie eine Socke, die versuchte, auf Zehenspitzen zu gehen.

Pippa kicherte leise, aber schlafen konnte sie trotzdem nicht.

Sie drehte sich nach links. Sie drehte sich nach rechts. Sie zählte Schäfchen, aber die fingen an, auf ihren Wolken Trampolin zu springen, was nicht sehr hilfreich war.

Plötzlich hörte sie etwas.

Ein leises, rhythmisches Geräusch. Klopf-klopf-wusch. Klopf-klopf-wusch.

Es klang ein bisschen wie… Teig kneten?

Und da war noch etwas. Ein Duft. Süßlich, warm und unglaublich gemütlich. Wie frisch gebackene Kekse, aber mit einem Hauch von Lavendel und warmer Milch.

Neugierig wie eine kleine Katze rutschte Pippa aus dem Bett. Ihre nackten Füße tippten leise über den kühlen Holzboden.

Sie schlich zur Terrassentür, öffnete sie einen Spaltbreit und spähte hinaus.

Der Duft war hier draußen stärker. Und das Geräusch auch.

Es kam aus der Richtung der alten Hecke am Ende des Gartens.

Pippa zögerte. Mama hatte gesagt, sie soll nachts im Bett bleiben.

Aber der Duft war einfach zu verlockend, und das Geräusch klang so… friedlich.

Sie schlüpfte durch die Tür und lief über das taunasse Gras, das ihre Zehen kühlte.

Hinter der Hecke, wo eigentlich nur der alte Schuppen vom Nachbarn stand, war es nicht dunkel.

Ein warmes, goldenes Licht schimmerte durch die Blätter.

Pippa schob vorsichtig einen Ast beiseite und traute ihren Augen kaum.

Dort, wo gestern noch der Schuppen war, stand jetzt ein winziges, gemütliches Häuschen, das aussah wie eine Mischung aus Lebkuchenhaus und Bäckerei.

Aus dem Schornstein kringelte sich sanft leuchtender Rauch, der nach Sternenstaub roch.

Über der runden Holztür hing ein Schild: „Schlummer’s Schlafkörnchen Bäckerei – Täglich frisch für süße Träume“.

Das Klopf-klopf-wusch kam von hier!

Pippa schlich näher und lugte durch das blitzsaubere Fenster.

Drinnen stand ein rundlicher Mann mit einer weißen Bäckermütze, die leicht schief auf seinem Kopf saß, und einer mehlbestäubten Schürze.

Er hatte freundliche Augen, die ein bisschen müde aussahen, und knetete konzentriert einen Teig, der im sanften Licht der Backstube silbrig schimmerte.

Auf einem warmen Stein neben dem Ofen lag ein winziges, flauschiges Wesen zusammengerollt und schlief tief und fest. Es sah aus wie eine Haselmaus mit besonders puscheligem Schwanz.

Der Bäcker summte eine leise, einschläfernde Melodie und murmelte etwas zu seinem Teig: „Sooo, mein lieber Schlafteig, schön geschmeidig werden… wir brauchen heute besonders gute Träume…“

Dann seufzte er leise. „Ach, Krumel“, sagte er zu der schlafenden Haselmaus, „der Gähn-Extrakt ist schon wieder fast alle. Die Leute gähnen einfach nicht mehr richtig herzhaft.“

Pippa runzelte die Stirn. Gähn-Extrakt? Schlafkörnchen?

Ihre Neugier war größer als ihre Schüchternheit.

Sie klopfte ganz leise an die Fensterscheibe.

Der Bäcker zuckte zusammen und drehte sich überrascht um. Als er Pippa sah, lächelte er freundlich.

„Nanu? Ein kleiner Nachtschwärmer? Was machst du denn hier zu so später Stunde?“

Er wischte sich die mehligen Hände an der Schürze ab und öffnete die Tür.

„Ich… ich konnte nicht schlafen“, flüsterte Pippa. „Und dann habe ich das Klopfen gehört und den Duft gerochen.“

Der Bäcker nickte verständnisvoll. „Ah, die Schlafkörnchen rufen. Komm ruhig rein, Kind. Aber sei leise, damit du Krumel nicht weckst.“

Pippa schlüpfte in die warme, duftende Backstube. Es roch noch besser als draußen.

„Ich bin Herr Schlummer“, stellte sich der Bäcker vor. „Und ich backe hier jede Nacht die Schlafkörnchen.“

„Schlafkörnchen?“, fragte Pippa und betrachtete den schimmernden Teig.

„Ja“, erklärte Herr Schlummer stolz. „Kleine Körnchen, die man kurz vor dem Einschlafen isst. Sie helfen dabei, schnell einzuschlummern und besonders süße Träume zu haben.

Er zeigte auf verschiedene Gläser und Dosen in den Regalen.

„Die Zutaten sind sehr wichtig: Mondscheinmehl, direkt vom Mond gepflückt, Sternenstaubzucker für das Funkeln in den Träumen, und ein Schaum aus den weichsten Kissenwolken.“

Er hielt ein kleines, fast leeres Fläschchen hoch. „Und das Wichtigste: Gähn-Extrakt.“

„Gähn-Extrakt?“, wiederholte Pippa fasziniert.

„Genau. Gewonnen aus den allerbesten, tiefsten, müdesten Gähnern. Ohne ihn wirken die Schlafkörnchen nicht richtig. Aber heute…“, er seufzte wieder, „…ist er fast aufgebraucht. Die Menschen schauen zu lange auf ihre leuchtenden Kästchen vor dem Schlafen, das macht die Augen müde, aber nicht den Kopf. Da kommen keine guten Gähner zustande.“

Pippa wurde ein bisschen rot. Sie hatte vor dem Schlafengehen noch auf Papas Tablet ein Spiel gespielt.

„Oh“, sagte sie kleinlaut. „Kann ich vielleicht… helfen?“

Herr Schlummer überlegte. „Nun ja, für die letzte Fuhre heute Nacht bräuchte ich nur noch einen einzigen, wirklich ehrlichen, herzhaften Gähner. Einen, der tief aus dem Bauch kommt.“

Pippa riss den Mund auf und versuchte zu gähnen. „Haaaaa….“ Aber es klang gezwungen.

Herr Schlummer schmunzelte. „Das war nett versucht, aber so funktioniert das nicht. Ein Gähner muss von Herzen kommen, äh, ich meine, aus der Müdigkeit.“

Er setzte sich auf einen kleinen Hocker. „Ich erzähle dir mal was ganz Langweiliges, vielleicht hilft das.“

Er begann zu erzählen: „Also, da war einmal ein Schäfchen, das hieß Wolle. Wolle sollte über einen Zaun springen, damit jemand einschlafen kann. Aber Wolle hatte keine Lust. Er setzte sich hin und zählte Grashalme. Eins… zwei… drei… dann kam ein zweites Schaf, Bärbel. Bärbel wollte auch nicht springen. Sie legte sich neben Wolle und fing an, die Wolken zu beobachten. Eine Wolke sah aus wie…“

Herr Schlummer erzählte sehr langsam und monoton. Pippas Augenlider wurden schwerer und schwerer.

Plötzlich bewegte sich Krumel auf dem warmen Stein. Die Haselmaus streckte sich, reckte sich und riss ihr winziges Mäulchen zu einem gewaltigen, tiefen Gähner auf: „Hiiiiiiiaaaaaaaaaaaaaah!“

Blitzschnell zückte Herr Schlummer das leere Fläschchen und hielt es vor Krumels Mäulchen. Ein winziger, schimmernder Nebel schwebte hinein.

„Puh! Gerettet!“, rief Herr Schlummer erleichtert und verschloss das Fläschchen. „Danke, Krumel! Das war ein Prachtgähner!“

Er träufelte den frischen Gähn-Extrakt vorsichtig in den Teig und knetete ihn noch einmal kurz durch.

Dann begann er, winzige, runde Körnchen zu formen, nicht größer als ein Reiskorn, die sanft leuchteten.

„Magst du mir helfen, den Sternenstaubzucker darüber zu streuen?“, fragte er Pippa.

Pippa nickte eifrig. Sie nahm eine Prise des glitzernden Zuckers und verteilte ihn vorsichtig über die Körnchen.

Herr Schlummer schob das Backblech in den Ofen. Ein wunderbar warmer, schläfriger Duft erfüllte sofort die Backstube.

Während die Körnchen backten, gab Herr Schlummer Pippa ein Glas warme Mondmilch. Sie schmeckte süß und beruhigend.

Krumel war inzwischen aufgewacht, tapste zu Pippa und kuschelte sich auf ihren Schoß, wo er sofort wieder einschlief und leise schnurrchte.

Bald darauf holte Herr Schlummer das Blech aus dem Ofen. Die Schlafkörnchen waren perfekt goldbraun und dufteten himmlisch.

Er füllte eine kleine Papiertüte für Pippa. „Hier. Aber denk dran, nur eins vor dem Einschlafen. Die sind sehr wirksam.“

Pippa war inzwischen selbst ganz müde geworden. Der Gähn-Extrakt von Krumel schien auch auf sie zu wirken.

Sie bedankte sich herzlich bei Herr Schlummer und streichelte Krumel zum Abschied.

„Gute Nacht, kleiner Nachtschwärmer“, sagte Herr Schlummer lächelnd. „Und denk dran: Echte Müdigkeit ist die allerbeste Zutat für süße Träume.“

Pippa schlich zurück durch den Garten, huschte in ihr Zimmer und kuschelte sich in ihr Bett.

Sie nahm ein einziges, kleines Schlafkörnchen aus der Tüte. Es schmeckte nach Honig, warmer Milch und einem Hauch von Sternenlicht.

Kaum hatte sie es geschluckt, fielen ihr die Augen zu.

Sie schlief sofort ein und träumte den schönsten Traum ihres Lebens – von weichen Wolkenbäckereien, freundlichen Haselmäusen und einem Himmel voller funkelnder Zuckersterne.

In der kleinen Bäckerei hinter der Hecke packte Herr Schlummer die restlichen Schlafkörnchen in winzige Säckchen, bereit für ihre magische Reise zu den Kopfkissen müder Kinder und Erwachsener, während Krumel auf seinem warmen Stein leise vor sich hin schnarchte.