Wenn Papas Zeh Geschichten erzählt

Wenn Papas Zeh Geschichten erzählt

Ein Junge entdeckt Papas lustigen Zeh, der angeblich nachts heimlich Abenteuer unter dem Bett erlebt. Eine fantasievolle Gutenachtgeschichte.

Leo kuschelte sich tief in seine Bettdecke. Draußen wurde es langsam dunkel, und die Sterne blinzelten schon vorsichtig am Himmel.

Papa saß am Bettrand, die Decke bis zu Leos Nase hochgezogen. „Alles gemütlich, mein kleiner Abenteurer?“, fragte er und strich Leo eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn.

„Ja, Papa“, murmelte Leo schläfrig. Doch dann wanderte sein Blick nach unten, zum Fußende des Bettes, wo Papas Fuß unter der Decke hervorlugte.

Leo blinzelte. Er schob die Decke ein kleines Stückchen beiseite.

„Papa?“, fragte er und zeigte auf Papas großen Zeh. „Warum sieht dein Zeh so … so knubbelig aus? Meiner ist ganz gerade.“

Papa schmunzelte und wackelte mit besagtem Zeh. „Ah, dieser Zeh“, sagte er geheimnisvoll. „Das ist nicht irgendein Zeh, Leo. Das ist Zeus, der Zeh. Und er hat eine ziemlich wilde Geschichte hinter sich.“

Leos Augen wurden groß. „Zeus der Zeh? Erzählst du sie mir?“

„Na klar“, sagte Papa und lehnte sich zurück. „Also pass auf. Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da war Zeus noch ein ganz normaler, gerader Zeh. Er wohnte glücklich und zufrieden neben seinen neun Zehen-Geschwistern in meinem Schuh.“

„Aber eines Nachts, als ich tief und fest schlief und von fliegenden Gummibärchen träumte, wurde es Zeus langweilig. Immer nur im dunklen Schuh oder unter der warmen Socke hocken? Das war ihm zu fad.“

„‚Ich will Abenteuer erleben!‘, dachte sich Zeus. ‚Ich will die Welt sehen! Zumindest die Welt … unter dem Bett!‘“

Papa machte eine Pause und schaute Leo erwartungsvoll an.

„Und? Ist er gegangen?“, fragte Leo aufgeregt.

„Und ob er gegangen ist!“, bestätigte Papa. „Ganz leise, damit die anderen Zehen nichts merkten, krabbelte Zeus aus der Socke. Puh, frische Luft! Er reckte und streckte sich und tapste dann mutig zum Bettrand.“

„Er spähte hinunter in die Dunkelheit. Es sah ein bisschen unheimlich aus da unten. Überall lagen Schatten und seltsame Hügel.“

„Aber Zeus war ein mutiger Zeh. Er nahm all seinen Mut zusammen, holte tief Luft und sprang! Mit einem leisen Plopp landete er auf dem weichen Teppich.“

Leo kicherte. „Ein springender Zeh!“

„Genau“, sagte Papa. „Und was er da unten sah! Das war nicht einfach nur Staub, oh nein! Das waren riesige, flauschige Staubflusen-Monster, die träge durch die Gegend rollten. Und manchmal huschten durchsichtige Socken-Gespenster vorbei – Socken, die beim Waschen verloren gegangen waren und nun spukten.“

„Huuiii“, machte Leo und zog die Decke noch ein Stückchen höher.

„Zeus tapste weiter. Er musste aufpassen, nicht von einem Staubflusen-Monster verschluckt zu werden. Plötzlich stolperte er über etwas Hartes und Rundes.“

Klingeling! machte es.

„‚Wer wagt es, meine königliche Ruhe zu stören?‘, fragte eine feine Stimme.

„Zeus blinzelte. Vor ihm saß ein glänzender Knopf aus Messing, der eine winzige Krone aus einem Faden trug.

„‚Ich bin Zeus der Zeh‘, stellte er sich vor. ‚Und wer bist du?‘

„‚Ich bin König Knopf der Erste, Herrscher über das Reich unter dem Bett!‘, verkündete der Knopf stolz. ‚Aber ach, mein Reich ist so furchtbar … glatt! Keine Aufregung, kein Kichern, kein Wackeln!‘“

„Zeus überlegte. ‚Vielleicht kann ich helfen?‘

„König Knopf schaute ihn hoffnungsvoll an. ‚Wirklich? Es gibt die Legende von der Kitzel-Feder! Sie soll irgendwo beim grummeligen Bettpfosten versteckt sein, bewacht von Archibald, der müden Spinne. Wer sie findet, bringt Lachen und Wackeln ins Land! Traust du dich, tapferer Zeh?‘“

„Natürlich traute sich Zeus! Er wollte ja Abenteuer. Also machte er sich auf den Weg. Er kletterte über riesige Pantoffel-Berge und durchquerte den gefährlichen Teppichfransen-Dschungel.“

Leo stellte sich das alles bildlich vor. Ein kleiner Zeh auf großer Mission.

„Endlich erreichte er den Bettpfosten“, fuhr Papa fort. „Und da saß sie, Archibald, die Spinne, in ihrem Netz und gähnte herzhaft.“

„‚Was willst du hier, Winzling?‘, brummte Archibald.

„Zeus war höflich. ‚Entschuldigung, Herr Archibald. Ich suche die Kitzel-Feder.‘

„Archibald blinzelte mit seinen vielen Augen. ‚Die Feder? Die ist langweilig. Kitzelt nur.‘ Aber dann sah Zeus etwas auf dem Boden liegen – einen winzigen Krümel von einem Keks, den ich wohl mal verloren hatte.

„‚Hier, Herr Archibald‘, sagte Zeus. ‚Ein kleiner Snack für die Reise ins Traumland.‘

„Archibalds Augen leuchteten auf. ‚Ein Keks-Krümel! Oh, wie köstlich!‘ Er schnappte sich den Krümel und knusperte zufrieden. ‚Na gut, Zeh. Die Feder ist da oben, hinter dem losen Faden. Aber sei gewarnt, sie ist … kitzlig!‘“

„Zeus kletterte vorsichtig am Spinnennetz vorbei und entdeckte sie: eine kleine, flauschige Feder, die im Dunkeln leicht schimmerte. Die Kitzel-Feder!

„Er packte sie vorsichtig. Doch kaum hatte er sie berührt … fing die Feder an, ihn zu kitzeln! Sie kitzelte ihn an der Sohle, an der Seite, an der Spitze! Zeus musste kichern und zappeln und wackeln.“

„Hihihi!“, kicherte Leo mit.

„Er wackelte so sehr, dass er das Gleichgewicht verlor. Er stolperte rückwärts und … BONK! … stieß mit voller Wucht gegen die Ecke eines vergessenen Holzbausteins, der da herumlag.“

Papa rieb sich theatralisch seinen großen Zeh. „Autsch! Das hat vielleicht wehgetan! Der arme Zeus war ganz benommen.“

„Aber er hatte die Feder! Er rappelte sich auf, rieb sich die schmerzende Stelle und brachte die Kitzel-Feder schnell zu König Knopf.“

„Der König war überglücklich! Er schnappte sich die Feder und kitzelte damit die Staubflusen-Monster, bis sie nicht mehr grummelten, sondern laut kicherten. Die Socken-Gespenster machten einen lustigen Wackel-Tanz. Das ganze Reich unter dem Bett war voller Freude und Gelächter.“

„Und Zeus?“, fragte Leo.

„Zeus war der Held des Tages! Aber er war auch müde von seinem Abenteuer. Und sein Kopf – äh, seine Spitze – tat immer noch ein bisschen weh von dem Zusammenstoß mit dem Baustein.“

„Ganz leise schlich er sich zurück zum Bettrand, kletterte an der Decke hoch und huschte zurück in meine Socke, genau neben seine schlafenden Geschwister. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Sonne aufging.“

Papa wackelte wieder mit seinem Zeh. „Und seit diesem Abenteuer, seit diesem Bonk gegen den Baustein, ist Zeus der Zeh eben ein bisschen … knubbelig. Er ist nicht mehr ganz gerade, aber er trägt seine kleine Delle mit Stolz. Sie erinnert ihn immer an sein großes Abenteuer unter dem Bett.“

Leo schaute Papas Zeh nun mit ganz anderen Augen an. Er war gar nicht mehr nur knubbelig. Er war ein Helden-Zeh!

„Wow“, flüsterte Leo. „Das ist die beste Zehen-Geschichte der Welt.“

Papa lächelte. „Siehst du? Manchmal haben die Dinge, die ein bisschen anders aussehen, die spannendsten Geschichten zu erzählen.“

Er gab Leo einen Kuss auf die Stirn. „Und jetzt schlaf schön, mein kleiner Abenteurer. Vielleicht träumst du ja von mutigen Zehen und kitzeligen Federn.“

Leo schloss die Augen. Er hörte noch das leise Geräusch von Papas Schritten, als er aus dem Zimmer ging. Und er dachte an Zeus, den knubbeligen Helden-Zeh, der unter dem Bett gegen Staubflusen-Monster kämpfte.

Ein kleines Lächeln huschte über Leos Gesicht, als er langsam in den Schlaf glitt, in eine Welt, in der selbst der kleinste Zeh das größte Abenteuer erleben konnte.