Warum der kleine Wecker heimlich gähnt

Warum der kleine Wecker heimlich gähnt

Ein kleiner Wecker namens Ticki wird nachts müde. Kann er wach bleiben, um alle pünktlich zu wecken? Eine humorvolle Gutenachtgeschichte.

Auf einem Nachttisch, gleich neben einem kuscheligen Bett, in dem ein Kind schlief und von Abenteuern träumte, stand Ticki.

Ticki war kein gewöhnlicher Gegenstand. Oh nein! Ticki war ein kleiner, runder Wecker mit einem glänzenden roten Gehäuse, zwei lustigen Glöckchen obendrauf, die aussahen wie Ohren, und zwei dünnen Beinchen, auf denen er stand.

Tickis wichtigste Aufgabe, ja, seine Lebensaufgabe, war es, jeden Morgen zur exakt gleichen Zeit laut und fröhlich zu klingeln. BIIING! BIIING! Damit das Kind im Bett aufwachte und der neue Tag beginnen konnte.

Ticki liebte seine Aufgabe. Er liebte das Gefühl, wenn seine Glöckchen vibrierten und sein lautes Klingeln die Stille des Morgens durchbrach. Er stellte sich immer vor, wie er die Sonnenstrahlen persönlich hereinläutete.

Aber heute Nacht war etwas anders.

Die Sterne funkelten draußen vor dem Fenster, der Mond warf einen silbrigen Streifen auf den Teppich, und alles war ganz still. Zu still.

Und Ticki… Ticki war müde.

So unglaublich müde.

Seine Zeiger, die sonst so stolz und gerade die Zeit anzeigten, fühlten sich schwer an. Wie Ärmchen, die nach unten hingen. Sein Ticken, das sonst so regelmäßig und wach klang – Tick, Tack, Tick, Tack – hörte sich heute eher an wie… Tick… Gähn… Tack… Gähn…

„Oh nein“, dachte Ticki bei sich. „Das darf doch nicht wahr sein! Ein Wecker darf doch nicht müde sein! Schon gar nicht nachts!“

Er versuchte, sich zusammenzureißen. Er reckte seine Glöckchen-Ohren in die Höhe und versuchte, besonders laut und wach zu ticken. Tick! Tack! TICK! TACK!

Aber es half nichts. Ein riesiges, unaufhaltsames Gähnen stieg in ihm auf. Er versuchte, es zu unterdrücken, presste seine imaginären Lippen zusammen (Wecker haben ja eigentlich keine Lippen, aber Ticki stellte es sich so vor).

Doch das Gähnen war stärker! Es kam heraus – nicht laut, oh nein, das hätte ja das Kind wecken können – sondern als ein ganz leises, innerliches Zeeeiiigeeer-reeeck. Seine Zeiger zitterten kurz.

„Puh“, dachte Ticki. „Das war knapp.“

Neben ihm auf dem Nachttisch stand Leuchta, das kleine Nachtlicht in Form eines freundlichen Sterns. Leuchta war immer wach und verbreitete ein sanftes, beruhigendes Licht.

„Alles in Ordnung, Ticki?“, flüsterte Leuchta mit ihrer warmen, leisen Stimme. „Du siehst ein bisschen… wackelig auf den Beinchen aus.“

Ticki zuckte zusammen. Hatte Leuchta sein Gähnen bemerkt?

„Nein, nein!“, tickte er schnell zurück. „Alles bestens! Ich bin topfit! Bereit für den Morgen! Tick! Tack! Absolut wach!“ Er versuchte, besonders energisch zu klingen, aber seine Stimme klang eher wie ein müdes Quietschen.

Leuchta lächelte sanft. „Na gut. Aber wenn was ist, sag Bescheid.“

Ticki fühlte sich ein bisschen ertappt. Er musste etwas tun, um wach zu bleiben. Was machte man denn, wenn man müde war, aber nicht schlafen durfte?

Er hatte mal gehört, dass Schäfchenzählen helfen sollte. Aber das war ja zum Einschlafen! Vielleicht funktionierte es ja rückwärts?

„Okay“, dachte Ticki. „Konzentration!“

Er schloss seine imaginären Augen und begann zu zählen: „Hundert Schäfchen springen rückwärts über den Zaun… Neunundneunzig Schäfchen springen rückwärts… Achtundneunzig…“

Das war anstrengend! Und irgendwie auch langweilig. Seine Gedanken schweiften ab.

Unter dem Bett raschelte es leise.

Dort wohnte Wollie, der Staubwedel-Experte. Wollie war ein kleines, graues Wollknäuel, das aus Staubflusen bestand und meistens ein bisschen mürrisch war, aber eigentlich ein gutes Herz hatte.

Ticki spähte vorsichtig über die Kante des Nachttisches. Vielleicht konnte Wollie ihm ja einen Tipp geben?

„Psst, Wollie?“, flüsterte Ticki.

Ein Rascheln. Dann eine grummelige Stimme: „Was ist los? Ich versuche hier, meinen Schönheitsschlaf zu halten. Staub sammelt sich nicht von allein, weißt du?“

„Entschuldige, Wollie“, flüsterte Ticki. „Aber ich bin so furchtbar müde. Und ich muss doch morgen früh klingeln! Hast du eine Idee, wie ich wach bleiben kann?“

Wollie rollte unter dem Bett hervor und blinzelte im sanften Licht von Leuchta.

„Müde? Papperlapapp! Ein Wecker wird nicht müde. Trink einen Schluck kalten Kaffee!“

„Ich… ich kann doch nicht trinken“, stotterte Ticki. „Ich habe keinen Mund. Und keinen Magen.“

Wollie schnaubte verächtlich. „Dann… äh… wackel mit den Zeigern! Mach Gymnastik!“

Ticki versuchte, seine Zeiger schnell im Kreis zu bewegen. Aber sie waren so schwer. Es fühlte sich an, als würde er durch dicken Honig rühren.

„Das… geht nicht gut“, keuchte Ticki.

„Dann weiß ich auch nicht“, grummelte Wollie und rollte zurück unter das Bett. „Weck mich nicht wieder.“

Ticki seufzte. Das war ja keine große Hilfe.

Neben ihm lag noch Knister, das Lieblingsbuch des Kindes. Es war ein Buch voller spannender Geschichten von Rittern, Drachen und fernen Ländern.

„Vielleicht hilft eine Geschichte?“, dachte Ticki. „Eine aufregende Geschichte hält bestimmt wach!“

Er versuchte, mit seinem Minutenzeiger vorsichtig eine Seite umzublättern. Das war gar nicht so einfach! Nach ein paar Versuchen schaffte er es.

Er begann, die Buchstaben auf der Seite zu entziffern. Es war eine Geschichte über einen mutigen Ritter, der eine Prinzessin rettete.

„Der Ritter… zog sein… glänzendes… Schwert…“, las Ticki leise vor sich hin. Aber die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Die Stimme des Ritters klang in seinem Kopf plötzlich sehr sanft und einschläfernd.

„Psst, Ticki“, raschelte Knister, das Buch. „Du hältst mich verkehrt herum. Und du liest den letzten Satz zuerst.“

„Oh!“, machte Ticki und wurde rot (was bei einem roten Wecker natürlich niemand sah). Er war so müde, dass er nicht einmal mehr richtig lesen konnte.

Jetzt war er wirklich verzweifelt. Seine Glöckchen hingen schlaff herab. Seine Zeiger standen fast still. Ein weiteres, riesiges, diesmal fast unkontrollierbares Gähnen überkam ihn. Riiiing-Gääähn. Es war nur ein inneres Geräusch, aber Ticki spürte, wie sein ganzer Mechanismus kurz innehielt.

Er würde es nicht schaffen. Er würde verschlafen! Das Kind würde nicht geweckt werden! Der Tag würde ohne sein fröhliches BIIING beginnen! Eine Katastrophe!

In diesem Moment leuchtete Leuchta, das Sternen-Nachtlicht, ein klein wenig heller. Ihr Licht fiel warm und tröstend auf Ticki.

„Hey, Ticki“, sagte Leuchta sanft. „Denk doch mal daran, wie schön es morgen früh ist.“

Ticki blinzelte. „Schön?“

„Ja“, sagte Leuchta. „Wenn die ersten Sonnenstrahlen durchs Fenster fallen. Und wenn das Kind im Bett sich reckt und streckt, wenn du klingelst. Manchmal lächelt es sogar ein bisschen, bevor es die Augen aufmacht.“

Unter dem Bett raschelte es wieder. Wollie lugte hervor.

„Ja, genau“, brummte Wollie überraschend freundlich. „Denk an das Geräusch, wenn die Füße auf den Boden tapsen. Das ist das Startsignal für den Tag. Dein Startsignal.“

Knister, das Buch, fügte hinzu: „Und denk an all die neuen Geschichten, die der Tag bringen wird! Vielleicht liest dich das Kind ja morgen wieder.“

Ticki dachte nach. Er dachte an die aufgehende Sonne. An das verschlafene Gesicht des Kindes. An das aufgeregte Tapsen kleiner Füße. An das Gefühl, wenn seine Glöckchen läuteten und er seine Aufgabe erfüllte.

Ein kleiner Funke Energie zündete in ihm. Ein winziges bisschen Wachheit kehrte zurück.

Es war nicht viel, aber es war genug.

Er richtete seine Zeiger wieder etwas gerader aus. Seine Glöckchen wackelten leicht. Sein Ticken wurde wieder regelmäßiger. Tick, Tack, Tick, Tack.

Er war immer noch müde. Ein ganz kleines bisschen. Und vielleicht würde er später noch einmal heimlich gähnen müssen.

Aber jetzt wusste er, warum er wach bleiben musste. Für den Morgen. Für das Kind. Für das fröhliche BIIING!

Er blickte zu Leuchta und flüsterte: „Danke.“

Leuchta leuchtete sanft zurück.

Ticki konzentrierte sich. Er zählte keine Schäfchen mehr. Er las keine Geschichten. Er dachte nur an den Moment, wenn der große Zeiger die Zwölf erreichte und der kleine Zeiger auf der Sieben stand.

Sein Moment.

Und während die Sterne weiter funkelten und das Kind friedlich träumte, wartete Ticki, der kleine, tapfere Wecker, wach und bereit. Nur ein ganz, ganz kleines bisschen müde.