
Ein kleiner Schlüssel sucht sein passendes Schloss und erlebt auf seiner nächtlichen Reise durchs Haus witzige Abenteuer. Findet er sein müdes Schlüsselloch?
Klink, der kleine Schlüssel, baumelte am Schlüsselbund neben der Haustür und seufzte leise.
Es war wieder so ein Tag gewesen.
Ein Tag voller vergeblicher Versuche.
Am Morgen hatte er versucht, die Katzenklappe aufzusperren. Aber die hatte gar kein Schloss, nur so ein komisches Ding, das auf die Katze reagierte. Klink hatte sich ganz klein gemacht, aber nichts passierte.
Mittags hatte er probiert, die Keksdose zu öffnen. Die hatte zwar etwas, das aussah wie ein Schlüsselloch, aber es war nur aufgemalt. Sehr enttäuschend.
Und am Nachmittag? Da hatte er sich an der Spielzeugkiste versucht. Das Schloss war riesig und rostig. Klink hatte sich mit aller Kraft gedreht, aber das Schloss hatte nur müde gegähnt und sich keinen Millimeter bewegt.
Nun hing er hier, zwischen dem großen Haustürschlüssel, der immerzu von wichtigen Dingen brummte, und dem winzigen Briefkastenschlüssel, der ständig über Postgeheimnisse flüsterte.
Klink fühlte sich nutzlos.
Ein Schlüssel ohne passendes Schloss ist wie ein Keks ohne Schokolade, dachte er traurig.
Oder wie ein linker Schuh ohne rechten.
Einfach nicht komplett.
Als im Haus langsam Ruhe einkehrte, die Lichter ausgingen und nur noch der Mond durchs Fenster blinzelte, fasste Klink einen Entschluss.
„Ich kann nicht einfach hier hängen und warten“, murmelte er vor sich hin. „Ich muss mein Schlüsselloch finden! Irgendwo muss es doch sein.“
Mit einem leisen Klimper ließ er sich vom Haken rutschen und landete weich auf dem Teppich im Flur.
Puh, geschafft.
Die Welt sah von hier unten ganz anders aus. Viel größer.
Er spitzte seinen Bart – so nennen Schlüssel das vordere Teil, mit dem sie ins Schloss passen – und machte sich auf den Weg.
Sein erstes Ziel war die große Standuhr im Wohnzimmer. Die machte immer so ein beruhigendes Tick-Tack.
Vielleicht war ihr Schlüsselloch ja müde und wartete auf ihn?
Er kletterte am Holzbein der Uhr hoch. Das war anstrengender als gedacht.
Oben angekommen, spähte er in das Schlüsselloch der Uhr. Es war riesig! Klink hätte darin Walzer tanzen können.
Und es war gar nicht müde. Es war voller Zahnräder, die geschäftig tickten und tackten.
„Nichts für mich“, stellte Klink fest und rutschte vorsichtig wieder hinunter.
Sein Weg führte ihn weiter, unter das große Sofa.
Dort war es dunkel und ein bisschen staubig.
Plötzlich rollte etwas Kugeliges auf ihn zu und kicherte.
„Huch! Wer bist du denn?“, fragte Klink erschrocken.
„Ich bin Susi, die Staubfluse!“, kicherte es zurück. „Und du bist ein kleiner Schlüssel auf Wanderschaft, wie es aussieht!“
Susi kitzelte Klink mit ihren weichen Flusen.
„Ich suche mein Schlüsselloch“, erklärte Klink. „Hast du vielleicht eins gesehen?“
Susi dachte nach, was bei einer Staubfluse bedeutete, dass sie ein bisschen hin und her kullerte.
„Schlüssellöcher gibt es viele“, sagte sie dann. „Manche sind groß, manche klein, manche versteckt, manche ganz geheim. Du musst das finden, das genau zu deinem Bart passt!“
Das war keine große Hilfe, aber Susi war nett. Klink verabschiedete sich und kroch unter dem Sofa hervor.
Als Nächstes hörte er ein leises Grummeln unter dem Bett im Schlafzimmer.
Vorsichtig lugte er unter den Bettvorhang.
Dort lag Herr Pantoffel, ein großer, warmer Filzpantoffel, und döste.
„Entschuldigen Sie, Herr Pantoffel“, flüsterte Klink.
Herr Pantoffel öffnete ein verschlafenes Auge. „Was gibt’s? Stör meine Ruhe nicht.“
„Ich suche nur mein Schlüsselloch“, piepste Klink. „Ist hier vielleicht eins?“
Herr Pantoffel grummelte. „Hier gibt’s nur meinen müden Fuß am Morgen und Staubmäuse. Aber kein Schlüsselloch für so einen kleinen Kerl wie dich. Verschwinde!“
Etwas entmutigt zog Klink weiter.
Er erreichte die Küche. Hier roch es nach Milch und Honig.
Auf dem Küchentisch stand die Zuckerdose. Und darin saß Frau Löffel, ein glänzender Teelöffel, und ruhte sich aus.
Klink kletterte am Tischbein hoch. Das war eine echte Kletterpartie!
„Guten Abend, Frau Löffel“, sagte Klink außer Atem.
Frau Löffel lächelte freundlich. „Guten Abend, kleiner Schlüssel. Was führt dich denn um diese Zeit hierher?“
Klink erzählte seine Geschichte. Von den vergeblichen Versuchen und seiner Suche nach dem passenden Schlüsselloch.
Frau Löffel hörte aufmerksam zu. Dann sagte sie mit ihrer klaren Stimme: „Manchmal muss man lange suchen, bis man seinen Platz findet, kleiner Klink. Aber jeder hat eine Aufgabe. Du auch. Schau dich genau um. Manchmal sind die wichtigsten Dinge gut versteckt oder ein bisschen vergessen.“
Klink dachte über ihre Worte nach.
Vergessen? Versteckt?
Er blickte sich im dämmrigen Wohnzimmer um, das von der Küche aus zu sehen war.
Sein Blick fiel auf ein hohes Regal. Ganz oben stand etwas Altes, aus Holz, mit einem kleinen, metallischen Glanz.
Konnte das sein…?
Er musste da hoch!
Er rutschte das Tischbein wieder runter und machte sich auf den Weg zum Regal.
Eine Rankenpflanze hing daran herunter. Perfekt!
Klink nutzte die Blätter wie kleine Stufen und zog sich langsam, Blatt für Blatt, nach oben.
Endlich erreichte er die oberste Ablage.
Dort stand sie: Eine alte, wunderschöne Musikdose aus dunklem Holz, verziert mit geschnitzten Blumen.
Und an der Seite… ja! Da war es!
Ein kleines, feines Schlüsselloch aus Messing. Es sah ein bisschen staubig aus. Und irgendwie… müde.
Klinks Herz machte einen kleinen Hüpfer. Das sah genau richtig aus!
Ganz vorsichtig näherte er sich.
Er schob seinen Bart in die Öffnung.
Es passte!
Nicht zu groß, nicht zu klein.
Es fühlte sich an, als würde das Schlüsselloch erleichtert aufseufzen.
Klink drehte sich langsam um.
Ein leises Klick ertönte.
Und dann… begann die Musikdose zu spielen.
Eine sanfte, wunderschöne Melodie erfüllte die Stille des Raumes. Wie Sternenstaub klang sie.
Klink fühlte sich warm und glücklich. Das war es! Das war seine Aufgabe! Er hatte sein müdes Schlüsselloch gefunden und es aufgeweckt.
Die Melodie spielte leise weiter, eine zarte Einladung zum Träumen.
Klink, der kleine Schlüssel, kuschelte sich tief in sein perfektes Schlüsselloch.
Endlich hatte er seinen Platz gefunden.
Und während die sanfte Musik ihn in den Schlaf wiegte, wusste er, dass er nicht mehr nutzlos war.
Er war der Schlüssel zu einer wunderschönen Melodie. Und das war eine ganz wunderbare Aufgabe.