
Der kleine Besen Benno sammelt nachts Traumfetzen und hilft einer verlorenen, fliegenden Socke, ihren Zwilling im Haus wiederzufinden.
Hoch oben auf dem Dachboden, zwischen vergessenen Koffern und staubigen Kisten, wohnte ein kleiner, aber sehr wichtiger Besen namens Benno.
Benno war kein gewöhnlicher Besen, der nur Spinnweben und Staub fegte. Oh nein! Bennos Aufgabe war viel geheimnisvoller.
Jede Nacht, wenn das ganze Haus schlief und nur der Mond durch das Dachfenster blinzelte, wurde Benno lebendig.
Seine Borsten kitzelten leise über die Holzdielen, und er begann seine Arbeit: Er sammelte die verlorenen Träume ein.
Manchmal waren es nur kleine Fetzen – ein Lachen, das im Schlaf verloren ging, ein flüchtiger Gedanke an fliegende Bonbons oder ein leises Liedchen, das sich verirrt hatte.
Benno fegte sie vorsichtig zusammen, summte dabei eine leise Melodie und bewahrte sie in einer alten Hutschachtel auf, damit sie nicht ganz verschwanden.
Er liebte die Stille der Nacht und das sanfte Glitzern der Traumsplitter im Mondlicht.
Doch in dieser Nacht war etwas anders.
Zwischen den üblichen Glitzerfäden und Seufzern fand Benno etwas Ungewöhnliches.
Es war kein einfacher Traumfetzen. Es war… eine Socke!
Aber nicht irgendeine Socke. Diese Socke war gestreift, in leuchtenden Regenbogenfarben, und sie schwebte aufgeregt durch die Luft, wobei sie leise wimmerte.
„Huch?“, machte Benno und stützte sich auf seinen Stiel. „Eine fliegende Socke? Das ist ja mal ein seltsamer Traum!“
Die Socke drehte sich zu ihm um. Ein kleines, aufgesticktes Auge blickte ihn traurig an.
„Ich bin kein Traum!“, schluchzte die Socke. „Ich bin eine verlorene Socke! Mein Zwilling… er ist weg! Einfach verschwunden! Ich suche ihn schon die ganze Nacht!“
Benno Besen, der ein sehr ordentliches Herz hatte und es nicht mochte, wenn Dinge (oder Socken) nicht an ihrem Platz waren, tippte nachdenklich mit seinen Borsten auf den Boden.
„Verschwunden? Das ist ja unerhört! Eine Socke gehört doch zu ihrem Zwilling, wie… wie die Borsten zu meinem Stiel!“
Die Socke nickte heftig und ein paar imaginäre Tränen tropften auf die Dielen.
„Wir müssen ihn finden!“, schniefte sie. „Wir wollten doch morgen zusammen im Kindergarten getragen werden!“
Benno richtete sich auf. „Keine Sorge, kleine Socke! Ich bin zwar nur ein Besen, aber ich kenne mich hier im Haus aus. Wir werden deinen Zwilling finden! Zusammen schaffen wir das!“
Die Socke hörte auf zu weinen und schwebte hoffnungsvoll neben Benno her.
„Wirklich? Du hilfst mir? Oh, danke, danke, lieber Besen!“
„Nenn mich Benno“, sagte der Besen freundlich. „Und jetzt lass uns überlegen. Wo könnte eine Socke verloren gehen?“
Sie schlichen leise die knarrende Dachbodentreppe hinunter.
Ihr erster Halt war die Waschküche. Der Wäschekorb quoll über mit schlafender Wäsche.
„Vielleicht ist er hier reingefallen?“, flüsterte die Socke.
Benno leuchtete mit einer kleinen, eingefangenen Traumlampe (ein besonders heller Lachtraum) in den Korb.
Dort schnarchten gestreifte Handtücher, ein müdes T-Shirt murmelte etwas von Fleckenentferner und ein paar grummelige Topflappen drehten sich im Schlaf um.
Aber keine zweite Regenbogensocke.
„Nichts“, seufzte die Socke enttäuscht. „Er ist nicht hier.“
„Nicht aufgeben!“, munterte Benno sie auf. „Wir suchen weiter! Vielleicht im Wohnzimmer? Unter dem Sofa verschwinden doch ständig Dinge!“
Leise tappten sie ins dunkle Wohnzimmer. Nur das Mondlicht malte Streifen auf den Teppich.
Benno bückte sich und spähte unter das große Sofa.
Es war dunkel und… wuselig.
Kleine, graue Wollmäuse mit Knopfaugen huschten hin und her. Sie schienen etwas zu bewachen.
„Psst!“, zischte eine Wollmaus. „Wer stört unsere Nachtruhe?“
Benno räusperte sich. „Entschuldigung, verehrte Wollmäuse. Wir suchen eine verlorene Socke. Regenbogenfarben, sehr wichtig. Habt ihr sie vielleicht gesehen?“
Die Wollmäuse kicherten. „Socken? Wir sammeln nur Glitzerndes! Knöpfe, Münzen, vergessene Legosteine! Aber…“, eine besonders dicke Wollmaus zwinkerte, „wir haben vielleicht etwas gehört.“
„Was denn?“, fragte die Socke aufgeregt.
„Ein leises Wehklagen“, sagte die Wollmaus. „Kam aus Richtung Bibliothek. Aber Informationen kosten! Habt ihr etwas Glitzerndes für uns?“
Benno überlegte. Er hatte vorhin einen kleinen, silbern glänzenden Knopf aufgefegt. Er kramte ihn vorsichtig zwischen seinen Borsten hervor.
„Hier! Ein echter Silberknopf!“, bot er an.
Die Augen der Wollmäuse leuchteten. „Einverstanden! Ja, wir hörten die Socke. Sie klang, als hätte sie Angst… vor dem großen Sauger!“
„Der Staubsauger!“, rief die Socke entsetzt. „Oh nein!“
Schnell bedankten sie sich bei den Wollmäusen und eilten zur Bibliothek.
Dort saß auf einem Bücherregal ein alter, weiser Staubwedel, Herr Wedelmann. Seine Federn zitterten leicht, als er im Schlaf sanft den Staub von einem dicken Buch wischte.
„Herr Wedelmann?“, flüsterte Benno.
Der Staubwedel öffnete ein staubiges Auge. „Benno? Was treibst du denn hier unten? Und wer ist dein… schwebender Freund?“
„Das ist die Fliegende Socke“, erklärte Benno. „Wir suchen ihren Zwilling. Die Wollmäuse sagten, er wäre beim Staubsauger.“
Herr Wedelmann nickte bedächtig. „Ah ja, der große Brummer. Ich habe es gesehen. Beim Saubermachen heute Nachmittag… zack! Hat er die arme Socke einfach verschluckt. Sie steckt bestimmt noch im Schlauch fest.“
Die Socke begann wieder zu wimmern.
„Keine Panik“, sagte Benno entschlossen. „Wir holen ihn da raus! Auf zur Abstellkammer!“
In der dunklen Abstellkammer stand er: der große, schlafende Staubsauger. Er sah im Dunkeln noch viel größer und bedrohlicher aus.
„Wie kommen wir da ran?“, piepste die Socke ängstlich.
Benno hatte eine Idee. Er war zwar nur ein Besen, aber er konnte kitzeln!
Ganz vorsichtig näherte er sich dem Staubsaugerschlauch und begann, mit seinen feinsten Borsten die Öffnung zu kitzeln.
Erst passierte nichts. Dann zuckte der Schlauch leicht.
Benno kitzelte weiter.
Plötzlich machte der Staubsauger ein würgendes Geräusch… und dann…
„Haaa… Hatschi!“
Ein gewaltiges Niesen erschütterte die Abstellkammer! Und mit dem Niesen wurde etwas herausgeschleudert…
Eine zweite, etwas zerknitterte, aber unversehrte Regenbogensocke!
„Da bist du ja!“, rief die Fliegende Socke überglücklich.
Die beiden Socken schwebten aufeinander zu und umarmten sich so fest, wie Socken sich eben umarmen können.
„Ich dachte, ich seh dich nie wieder!“, schluchzte die eine.
„Ich hatte solche Angst im dunklen Schlauch!“, weinte die andere.
Benno Besen lächelte zufrieden. Ordnung war wiederhergestellt.
„Danke, Benno! Du bist der beste Besen der Welt!“, riefen die Socken im Chor.
Benno wurde ein bisschen rot unter seinem Holzstiel.
Er fegte die beiden glücklichen Socken, die nun wie ein vollständiger, fröhlicher Traum aussahen, vorsichtig zusammen und schob sie sanft in Richtung des Kinderzimmers, wo sie hingehörten.
Dann kehrte er langsam die Treppe zum Dachboden hinauf zurück.
Er war müde, aber sehr zufrieden.
Er hatte nicht nur Traumfetzen gefegt, sondern auch zwei Socken wiedervereint.
Als er sich in seine Ecke kuschelte und die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen, dachte Benno:
„Manchmal sind die seltsamsten Fundstücke die schönsten Abenteuer.“
Und mit einem leisen Seufzer schlief der kleine Besen ein, bereit für die nächste Nacht voller verlorener Träume.