
Clara kann nicht schlafen und braut mit ihrem Hamster Herr Knusper einen magischen Schlummertrank aus Mondlicht, Gähnern und Fantasie.
Clara lag wach in ihrem Bett.
Draußen war es stockdunkel, nur der Mond warf einen silbernen Streifen durch das Fenster auf ihren Teppich.
Alle anderen schliefen schon.
Mama schnarchte leise im Nebenzimmer, Papa murmelte etwas von „wichtigen Akten“ im Schlaf, und sogar Herr Knusper, Claras kleiner Hamster, rollte sich in seinem Häuschen zusammen und träumte wahrscheinlich von Sonnenblumenkernen.
Nur Clara war hellwach.
Sie hatte Schäfchen gezählt (bis einhundertsiebenundzwanzig, dann waren die Schafe müde geworden und eingeschlafen).
Sie hatte versucht, an gar nichts zu denken (was erstaunlich schwierig war, weil man dann immer daran denken musste, an nichts zu denken).
Sie hatte sogar ihr Kissen umgedreht, weil die kühle Seite angeblich müde macht. Nichts half.
Claras Augen waren so groß wie Murmeln.
„Das ist doch zum Mäusemelken!“, murmelte sie in die Stille.
Herr Knusper zuckte kurz mit den Ohren, schlief aber weiter.
Mäusemelken… Melken… Trinken!
Da kam Clara eine Idee. Eine ganz wunderbare, kribbelige Idee.
Wenn sie nicht einschlafen konnte, brauchte sie vielleicht einfach einen Schlummertrank!
Keinen langweiligen Kamillentee oder warme Milch. Nein, einen echten, magischen Schlummertrank!
Leise wie eine Feder schlüpfte Clara aus ihrem Bett.
Auf Zehenspitzen schlich sie zu Herrn Knuspers Käfig.
„Pst, Herr Knusper“, flüsterte sie. „Wach auf! Wir haben eine Mission.“
Herr Knusper öffnete ein winziges Auge und blinzelte verschlafen. Er sah aus wie ein kleiner, zerknautschter Fellball.
„Mission?“, murmelte er mit seiner quietschigen Hamsterstimme. „Ist es schon Frühstückszeit?“
„Nein, viel besser!“, wisperte Clara aufgeregt. „Wir brauen einen Schlummertrank!“
Das Wort „brauen“ schien Herrn Knusper zu interessieren. Vielleicht gab es ja etwas zu knabbern. Er rappelte sich auf.
„Okay“, sagte er. „Aber wenn ich umfalle, bist du schuld.“
Clara kicherte leise. „Keine Sorge. Zuerst brauchen wir Zutaten.“
Sie nahm ein leeres Marmeladenglas vom Regal.
„Die wichtigste Zutat ist Mondlicht“, erklärte sie feierlich.
Sie schlichen zum Fenster und hielten das Glas genau in den silbernen Streifen, der auf den Boden fiel.
Langsam, ganz langsam, schien sich das Glas mit einem zarten, schimmernden Licht zu füllen.
„Wow“, machte Herr Knusper. „Kann man das essen?“
„Nein, das trinkt man“, korrigierte Clara. „Als Nächstes brauchen wir… Gähner!“
„Gähner?“, fragte Herr Knusper verwirrt.
„Ja, schläfrige Gähner. Die machen besonders müde“, erklärte Clara wie eine erfahrene Professorin.
Sie schlichen zur Tür von Mamas und Papas Schlafzimmer. Ganz vorsichtig öffneten sie einen winzigen Spalt.
Papa drehte sich im Bett um und – Haaaahhhmm – gähnte herzhaft.
Schnell hielt Clara das offene Marmeladenglas in Richtung des Gähners. Ein unsichtbares Etwas schien hineinzufliegen.
„Einen haben wir!“, flüsterte sie triumphierend.
Dann hörten sie Mama leise seufzen und ebenfalls gähnen. Wieder fing Clara den Gähner ein.
„Zwei!“, zählte sie. „Jetzt fehlt nur noch einer.“
Sie sah Herrn Knusper an. Der Hamster starrte sie mit großen Augen an.
„Ich? Ich bin nicht müde!“, protestierte er.
„Denk an etwas Langweiliges“, riet Clara. „An trockene Brotkrumen. Oder an… an Warten.“
Herr Knusper dachte angestrengt nach. Er dachte an das Warten auf sein Laufrad, wenn Clara es sauber machte. Er dachte an das Warten auf den Frühling. Er dachte an… Haaaahhhmm!
Ein winziges, quietschiges Hamstergähnen entfuhr ihm.
„Perfekt!“, rief Clara leise und fing auch diesen Gähner ein. Sie verschloss das Glas schnell.
„Was kommt jetzt?“, fragte Herr Knusper und rieb sich die Augen. Das Gähnen-Denken hatte ihn tatsächlich etwas müde gemacht.
„Ein bisschen Stille“, sagte Clara und spähte in den dunklen Flur hinaus. „Die ganz besonders leise Nacht-Stille.“
Sie öffnete das Glas einen winzigen Spalt und schöpfte mit der Hand vorsichtig etwas von der Dunkelheit und Ruhe aus dem Flur. Man konnte es nicht sehen, aber Clara spürte, wie die Stille ins Glas rieselte.
Nun brauchten sie noch Traumsaat.
Clara erinnerte sich an die Pusteblumen vom Nachmittag auf der Wiese. Ein paar Schirmchen hatten sich sicher auf die Fensterbank verirrt.
Tatsächlich! Sieben kleine, flauschige Pusteblumensamen lagen dort.
„Sieben Träume für süße Nächte“, murmelte Clara und ließ sie vorsichtig ins Glas gleiten.
Herr Knusper schnupperte neugierig. „Die riechen nach Sommer.“
„Fast fertig“, sagte Clara. „Nur noch ein Tropfen Morgentau… obwohl es noch Nacht ist.“
Sie schlüpfte nach draußen auf den Balkon. In einer Ecke hing ein kleines Spinnennetz, und tatsächlich glitzerte ein winziger Tautropfen darin.
Ganz vorsichtig tippte Clara mit dem Finger dagegen und fing den Tropfen auf. Schnell ließ sie ihn ins Glas fallen.
„Und zwei Geheimnisse von Teddy“, fügte sie hinzu, lief zu ihrem Bett und hielt das Glas an das Ohr ihres alten, geliebten Teddybären. Sie lauschte angestrengt.
„Was sagt er?“, fragte Herr Knusper ungeduldig.
„Er sagt… ‚Pass gut auf dich auf‘ und ‚Träum was Schönes‘“, flüsterte Clara zurück und tat so, als würden auch diese Worte ins Glas schweben.
Nun hatten sie alle Zutaten. Es war Zeit zu brauen!
Sie schlichen in die Küche. Clara holte ihre kleine Spielzeug-Teekanne aus Porzellan.
Vorsichtig goss sie das gesammelte Mondlicht, die Gähner, die Stille, die Traumsaat, den Tautropfen und die Teddy-Geheimnisse hinein.
Es blubberte leise und roch seltsam. Ein bisschen nach Nachtluft, ein bisschen nach warmer Milch und ein bisschen nach Herrn Knuspers Heu.
„Es braucht noch etwas… Magie“, murmelte Clara nachdenklich.
Sie sah sich in der Küche um. Ihr Blick fiel auf die Zuckerdose und das Mehl.
„Ah!“, rief sie leise. „Feenstaub und Wolkenmehl!“
Sie nahm eine winzige Prise Zucker („Feenstaub“) und streute ihn hinein. Es glitzerte kurz.
Dann nahm sie eine Fingerspitze Mehl („Wolkenmehl“) und ließ es sanft hineinrieseln. Es wirbelte wie Schnee.
Herr Knusper, der auf der Arbeitsplatte saß, rutschte dabei aus und landete mit einem Plumps im Mehlhaufen. Er sah aus wie ein kleiner Schneeball mit Knopfaugen.
„He!“, quietschte er empört und schüttelte sich, wobei er eine kleine Mehlwolke verursachte.
Clara kicherte. „Du bist jetzt ein Wolkenhamster, Herr Knusper!“
Sie rührte den Trank vorsichtig mit einem Zahnstocher um. Er leuchtete nun sanft von innen heraus und blubberte zufrieden. Der Geruch war jetzt viel angenehmer. Nach warmen Keksen und Sommerwiese und einem Hauch von Abenteuer.
„Fertig!“, verkündete Clara stolz.
Sie goss einen winzigen Schluck in den Deckel des Marmeladenglases.
„Probieren wir?“, fragte sie Herrn Knusper, der sich immer noch das Mehl aus dem Fell putzte.
Der Hamster schnupperte misstrauisch. „Riecht gut“, gab er zu. „Aber macht es auch müde?“
„Das finden wir heraus“, sagte Clara mutig und nahm einen winzigen Schluck.
Es schmeckte… überraschend. Süß und weich und ein bisschen kitzelig wie Brausepulver. Und sofort fühlte sich Clara warm und unglaublich wohlig. Ihre Augenlider wurden schwer wie Steine.
„Oh“, murmelte sie. „Ich glaube… es wirkt.“
Sie hielt Herrn Knusper den Deckel hin. Er schleckte vorsichtig daran. Seine Barthaare zuckten.
„Hmm“, machte er. „Gar nicht schlecht. Schmeckt ein bisschen wie… wie…“ Seine Stimme wurde immer leiser. Seine kleinen Äuglein fielen fast zu. „Wie… schlafen…“
Clara gähnte jetzt selbst, ein riesiges, tiefes Gähnen, das direkt aus ihren Zehenspitzen zu kommen schien.
„Wir… müssen… ins Bett“, lallte sie.
Mit letzter Kraft hob sie den mehligen, schläfrigen Hamster auf und trug ihn zurück ins Zimmer. Herr Knusper war schon fast eingeschlafen.
Clara legte ihn vorsichtig in seinen Käfig, gab ihm noch sein winziges Kissen (das sie aus einem Wattebausch gebastelt hatte) unter den Kopf.
Dann stolperte sie zu ihrem eigenen Bett, fiel hinein und war eingeschlafen, bevor ihr Kopf das Kissen richtig berührte.
Der Rest des Schlummertranks in der kleinen Teekanne auf dem Küchentisch leuchtete noch eine Weile sanft im Mondlicht, bevor auch er langsam verblasste.
Clara träumte in dieser Nacht wunderschön.
Sie flog auf einem riesigen Pusteblumenschirmchen durch einen Fluss aus silbernem Mondlicht, lachte mit Teddybären, die Geheimnisse flüsterten, und fing Gähner ein, die wie Seifenblasen platzten.
Und Herr Knusper?
Er träumte von einem riesigen Sonnenblumenkern, der so weich war wie eine Wolke aus Mehl.
Der magische Schlummertrank hatte perfekt funktioniert. Manchmal braucht man eben nur die richtigen Zutaten – und eine Prise nächtlicher Fantasie.