Das Gähnen, das im Glas gefangen war

Das Gähnen, das im Glas gefangen war

Finn kann nicht gähnen! Mit Dachs Borris sucht er sein verlorenes Gähnen im Haus. Eine humorvolle, nächtliche Suche voller Neugier beginnt.

Finn lag in seinem Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen.

Draußen funkelten die Sterne, und der Mond malte silberne Streifen auf den Teppich.

Es war Schlafenszeit. Mama hatte ihm einen Kuss gegeben, Papa hatte das Nachtlicht angeknipst, und sein Kuscheltier, der grummelige Dachs Borris, lag wie immer neben ihm.

Alles war perfekt zum Einschlafen.

Nur eine Sache fehlte.

Eine ganz wichtige Sache.

Finn konnte nicht gähnen.

Er versuchte es. Er riss den Mund auf, so weit er konnte, wie ein kleines Nilpferd.

Nichts.

Er dachte an lange Autofahrten, an Papas langweilige Geschichten über Gartenzwerge, an warmen Kakao.

Immer noch nichts.

Kein kleines, kitzeliges Gefühl im Hals, kein tiefer Atemzug, kein wohliges Strecken.

Sein Gähnen war weg.

„Borris“, flüsterte Finn in das weiche Fell des Dachses. „Ich glaube, mein Gähnen ist verschwunden.“

Borris, der eigentlich schon halb schlief, brummte leise. In Finns Fantasie klang seine Stimme immer ein bisschen wie knirschender Kies.

„Vielleicht ist es weggelaufen“, knurrte Borris. „Deine Pyjamas kratzen heute wieder besonders. Da würde ich auch weglaufen.“

Finn kicherte leise. „Nein, Borris. Pyjamas können nicht kratzen, dass ein Gähnen wegläuft. Ich glaube… ich glaube, es ist gefangen!“

Borris öffnete ein Knopfauge. „Gefangen? Wo denn? Im Spinnennetz unter dem Bett?“

Finn schüttelte den Kopf. „Nein, viel schlimmer! Vielleicht… vielleicht in der Keksdose!“

Die Vorstellung war aufregend und ein bisschen albern. Ein Gähnen in einer Keksdose?

„Na los“, brummte Borris, der insgeheim auf einen Keks hoffte. „Dann müssen wir es befreien. Aber leise!“

Finn nickte ernst. Das war eine Mission.

Sie rutschten vorsichtig aus dem Bett. Der Holzboden knarrte leise unter Finns nackten Füßen.

Sie schlichen durch den dunklen Flur. Die Schatten sahen aus wie schlafende Riesen.

Finn hielt Borris fest an sich gedrückt.

In der Küche war es still. Nur der Kühlschrank summte leise vor sich hin.

Der Mond schien durch das Fenster und ließ die Chromgriffe der Schränke glitzern.

Auf der Arbeitsplatte stand die große, bauchige Keksdose aus Glas.

Finn stellte sich auf die Zehenspitzen. Borris lugte über seine Schulter.

Vorsichtig hob Finn den Deckel an.

Ein leiser Plopp.

Sie spähten hinein.

Kein Gähnen.

Nur ein paar Krümel und der vage Duft von Schokolade.

Borris seufzte enttäuscht. „Kein Gähnen. Und keine Kekse.“

Finn schloss die Dose wieder. „Wo könnte es sonst sein?“

„Vielleicht im Kühlschrank?“, schlug Borris vor. „Da ist es schön kühl.“

Finn schüttelte den Kopf. „Nein, Gähnen mögen es doch warm und gemütlich.“

Sie spähten in ein Gurkenglas auf dem Tisch. „Ein eingelegtes Gähnen?“, kicherte Finn.

Borris schnaubte. „Das wäre ja sauer.“

Plötzlich hörten sie ein Geräusch aus dem Wohnzimmer.

Ein leises, langgezogenes… Miauuuuu. Aber es klang anders als sonst.

Es klang… gähnend.

Sie schlichen zur Wohnzimmertür und spähten hinein.

Auf dem großen Sessel lag Luna, ihre Katze. Und sie gähnte!

Aber was für ein Gähnen! Es war riesig! Ihr kleiner Katzenmund öffnete sich so weit, dass Finn fast ihre Mandeln sehen konnte (wenn Katzen denn Mandeln hätten, überlegte er kurz).

„Sie hat’s!“, flüsterte Finn aufgeregt. „Luna hat mein Gähnen geklaut!“

Borris musterte die Katze skeptisch. „Vielleicht hat sie nur zu viel Thunfisch gegessen. Davon werde ich auch immer müde.“

Luna rollte sich zusammen und schlief sofort ein, ohne ein weiteres Gähnen von sich zu geben.

„Nein, das war meins“, beharrte Finn. „Es war genau meine Größe!“

Sie schlichen weiter durch das Wohnzimmer.

Vielleicht hatte sich das Gähnen hinter den Sofakissen versteckt?

Finn hob ein Kissen hoch. Darunter lag ein vergessener Legostein und ein Staubflusen, der aussah wie ein kleiner grauer Hase.

Kein Gähnen.

Unter dem nächsten Kissen fanden sie Papas Lesebrille.

Immer noch kein Gähnen.

Borris grummelte. „Diese Suche ist anstrengend. Ich brauche bald selbst ein Gähnen.“

Sie gingen zurück in den Flur. Dort stand die große Standuhr, Opa Alfred.

Opa Alfred tickte normalerweise laut und bestimmt: Tick-Tack, Tick-Tack.

Aber heute klang er anders.

Eher so: Tiiiick… Taaaack… Tiiiick… Taaaack…

Er klang müde.

Finn starrte die Uhr an. „Borris, hörst du das? Opa Alfred ist ganz langsam! Hat mein Gähnen vielleicht die Uhr müde gemacht?“

Borris zuckte mit den Plüsch-Schultern. „Vielleicht ist er einfach nur alt. Uhren werden auch müde.“

Enttäuscht trotteten sie zurück in Finns Zimmer.

Kein Gähnen in der Keksdose, keins bei Luna, keins bei Opa Alfred.

Finn setzte sich auf sein Bett. Borris ließ sich neben ihn plumpsen.

„Es ist weg“, murmelte Finn traurig. „Mein schönes, großes Gähnen. Das, bei dem man die Arme ganz weit ausstrecken muss und das so ein wohliges Gefühl im Bauch macht.“

Er demonstrierte es, streckte die Arme hoch über den Kopf, reckte sich und öffnete den Mund, um zu zeigen, wie groß sein verschwundenes Gähnen immer war.

Und dann passierte es.

Aus tiefster Kehle kam es hervor, ganz von allein.

Ein riesiges, wunderbares, befreiendes…

HAAAAAAAAAAAAAAHHHHHMMMMMMMMM.

Finn spürte, wie es durch seinen ganzen Körper zog, von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln.

Seine Augen wurden feucht.

Es war das beste Gähnen des ganzen Tages.

Borris blinzelte ihn an. „Na endlich! Hat ja lange genug gedauert. War wohl doch nicht gefangen, dein Gähnen. Nur ein bisschen schüchtern heute.“

Finn musste lachen. Vielleicht hatte Borris recht.

Sein Gähnen war gar nicht verschwunden gewesen.

Es hatte nur darauf gewartet, dass Finn aufhörte, es zu suchen, und sich stattdessen gemütlich ins Bett kuschelte.

Er gähnte gleich noch einmal, diesmal kleiner, aber genauso zufrieden.

Er kuschelte sich tief unter die Decke, Borris fest im Arm.

„Gute Nacht, Borris“, murmelte er schläfrig.

„Nacht“, brummte der Dachs und schloss endgültig beide Knopfaugen.

Der Mond schien immer noch herein, die Sterne funkelten, und Opa Alfred tickte im Flur wieder sein gewohntes Tick-Tack.

Und Finn, mit seinem wiedergefundenen Gähnen, schlief tief und fest ein.