Das kleine Gähnen, das sich im Ohr versteckte

Das kleine Gähnen, das sich im Ohr versteckte

Ein kleines Gähnen verirrt sich in Leos Ohr und erlebt mit dem Ohrenkobold Knopf ein kitzliges Abenteuer, bis Leo endlich einschläft. Lustig & kurios!

Leo lag in seinem Bett, die Decke bis zur Nase hochgezogen. Er war müde, ja, das schon. Seine Augen fühlten sich an wie zwei schwere Murmeln, die lieber zufallen wollten. Aber der Schlaf? Der wollte einfach noch nicht kommen. Er drehte sich von links nach rechts. Er zählte Schäfchen, aber die hüpften irgendwie zu lustig über den Zaun und machten Quatsch. Dann zählte er kleine, schnarchende Igel, aber die waren so leise, dass Leo wieder hellwach wurde, um besser lauschen zu können. „Och, menno“, murmelte Leo in sein Kissen. „Ich will doch nur schlafen.“ Und weil er so müde und ein bisschen grummelig war, kam ein riesengroßes Gähnen aus seinem Mund herausgekullert. Ein richtiges Löwengähnen! „HAAAAAAAHUUUUUUUUUMMMMM!“ Es war so groß, dass es fast das ganze Zimmer erfüllte. Aber in diesem großen, mächtigen Gähnen war ein winzigkleines Stückchen Gähnen, das ein bisschen abenteuerlustiger war als der Rest. Nennen wir es Gähnerich. Gähnerich war so klein wie ein Staubkorn, aber voller Energie. Als das große Gähnen wieder in Leos Mund verschwand, um ihn endlich schläfrig zu machen, wurde Gähnerich aus Versehen nicht mit eingesogen. Puff! Er wirbelte durch die Luft, direkt neben Leos Kopf. „Huch? Wo bin ich denn?“, piepste Gähnerich leise. Er schaute sich um. Das Zimmer war riesig und ein bisschen dunkel. Aber da, direkt neben ihm, war etwas, das aussah wie eine gemütliche, kleine Höhle. Sie war rundlich und warm und sah sehr einladend aus. „Ah, perfekt!“, dachte Gähnerich. „Ein kleines Nickerchen, bevor ich Leo richtig schläfrig mache.“ Und schwupps, mit einem kleinen Hüpfer, flog Gähnerich direkt in Leos Ohr hinein. Leo spürte plötzlich ein ganz leichtes Kitzeln am Ohr. „Hm?“, machte er und rieb sich die Stelle. „War das eine Mücke?“ Aber es war keine Mücke. Es war Gähnerich, der nun im warmen Gang von Leos Ohr saß. „Hui, ist das gemütlich hier“, murmelte Gähnerich. Es war angenehm warm und ein bisschen wie in einer Wattebausch-Höhle. Plötzlich vibrierte der Boden unter ihm ganz sanft. Bumm. Bumm. Bumm. „Was ist das denn?“, wunderte sich Gähnerich. Es war Leos Herzschlag, den man ganz leise im Ohr hören konnte. Dann hörte er ein leises Rauschen, wie der Wind in fernen Bäumen. Das war Leos Atem. Und dann… ein winziges Geräusch. Tip. Tap. Kruschel. Leo hörte das auch. „Was knistert denn da in meinem Ohr?“, flüsterte er und spitzte die Ohren. Das Kitzeln war auch wieder da. Gähnerich war neugierig geworden und tapste weiter in die Höhle hinein. Der Gang wurde ein bisschen enger. Plötzlich stieß er gegen etwas Weiches, aber auch ein bisschen Klebriges. „Upsi!“, machte Gähnerich. „He! Pass doch auf, du Wirbelwind!“, knurrte eine Stimme direkt neben ihm. Erschrocken zuckte Gähnerich zurück. Aus einer kleinen Nische lugte ein winziges Männchen hervor. Es hatte struppige Haare, trug eine Latzhose aus Spinnweben und polierte gerade etwas, das aussah wie ein kleiner, goldener Kieselstein. „Wer… wer bist du denn?“, stotterte Gähnerich. Das Männchen setzte seine Arbeit fort und grummelte: „Ich bin Knopf. Der Ohrenkobold. Ich wohne hier. Und du trampelst in meiner Werkstatt herum und störst meine Ruhe!“ „Oh, Verzeihung!“, piepste Gähnerich. „Ich bin Gähnerich. Ich bin ein kleines Stück Gähnen und habe mich verirrt. Ich wollte eigentlich Leo schläfrig machen.“ Knopf hörte auf zu polieren und musterte Gähnerich misstrauisch. „Ein Gähnen? Hier drin? Sowas hab ich ja noch nie erlebt. Normalerweise kommen hier nur Geräusche rein. Oder manchmal ein Wassertropfen beim Baden.“ „Ja, es war ein Versehen“, erklärte Gähnerich. „Ich bin einfach hier reingeflogen, weil es so gemütlich aussah. Aber jetzt kitzelt und knistert es bei Leo, und er kann nicht schlafen.“ Leo draußen wurde immer unruhiger. „Mama? Papa? In meinem Ohr ist was Komisches! Es kitzelt und macht Geräusche!“ Knopf seufzte. „Na toll. Jetzt weckt er noch die Großen auf. Dann ist hier endgültig keine Ruhe mehr. Ein schläfriger Leo ist ein ruhiger Leo. Und ein ruhiges Ohr ist ein gutes Ohr.“ Er überlegte kurz. „Na gut, du Mini-Gähner. Ich helf dir raus. Aber sei leise!“ „Oh, danke, Knopf! Du bist der beste Ohrenkobold der Welt!“, freute sich Gähnerich. „Papperlapapp“, brummte Knopf, aber man sah ihm an, dass ihm das Lob gefiel. „Folge mir. Wir nehmen den Geheimgang hinter dem Trommelfell-Vorhang.“ Knopf nahm Gähnerich an die Hand und führte ihn durch die verschlungenen Pfade des Ohres. Sie schlichen am „Großen Klebrigen Hügel“ vorbei (das war das, woran Gähnerich gestoßen war – Ohrenschmalz, erklärte Knopf flüsternd) und balancierten über die „Brücke der kleinen Knöchelchen“, die bei jedem Geräusch von draußen leicht vibrierten. „Wow“, staunte Gähnerich. „Das ist ja ein richtiges Abenteuerland hier drin!“ „Schon“, sagte Knopf. „Aber jetzt still. Da vorne ist der Ausgang.“ Sie erreichten das Ende des Ganges, wo das Tageslicht, oder besser gesagt, das Nachtlicht von Leos Lampe, sanft hereinschien. „So, und jetzt husch, husch!“, sagte Knopf. „Flieg raus und mach den Jungen endlich müde! Ich will meine Ruhe haben.“ Gähnerich drehte sich um. „Danke, Knopf! Es war schön, dich kennenzulernen! Vielleicht besuche ich dich mal wieder?“ „Bloß nicht!“, rief Knopf, aber er grinste dabei ein bisschen. „Mach’s gut, Gähnerich!“ Mit einem letzten kleinen Satz schwebte Gähnerich aus Leos Ohr hinaus. Leo spürte ein letztes, winziges Kitzeln, als würde eine Feder ihn streifen. Und dann… HAAAAAAAHUUUUUUUUUMMMMM! Ein riesiges, wohliges, tiefes Gähnen überkam ihn. Diesmal war es kein Löwengähnen mehr, sondern ein sanftes Bärengähnen. Gähnerich hatte seine Mission erfüllt und sich mit der großen Müdigkeit vereinigt, die nun endlich Leo erfasste. Leos Augenlider wurden schwerer und schwerer. Das Kitzeln und Knistern im Ohr war weg. Nur noch das leise Summen der Nacht war zu hören. Er kuschelte sich tiefer in sein Kissen, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Drinnen im Ohr lehnte sich Knopf zufrieden zurück. Endlich Ruhe. Er nahm seinen goldenen Kieselstein – ein besonders schönes Stück Ohrenschmalz – und polierte weiter, während draußen Leo sanft und tief einschlief, bewacht von einem kleinen Gähnen, das ein großes Abenteuer erlebt hatte.