Das kleine Gespenst Flirro und das fürchterliche Knarren

Das kleine Gespenst Flirro und das fürchterliche Knarren

Das kleine Gespenst Flirro fürchtet sich vor dem Knarren in seiner Burg. Eine kluge Maus hilft ihm, die Geräusche neu zu verstehen. Ab 4 J.

Hoch oben in den Zinnen von Burg Knatterstein lebte ein kleines Gespenst namens Flirro, das sich vor dem Knarren fürchtete, bis es lernte, die Geräusche als Teil des Lebens zu akzeptieren.

Hoch oben in den Zinnen von Burg Knatterstein, wo der Wind durch alte Ritzen pfiff und die Eulen in den Mauern wohnten, lebte ein kleines Gespenst namens Flirro.

Flirro war eigentlich ein ganz normales Gespenst. Es liebte es, durch dicke Mauern zu schweben, Ritterrüstungen zum Klappern zu bringen und ab und zu ein leises „Huuuuhuuuu!“ in den Gängen zu hauchen.

Doch Flirro hatte ein Geheimnis, ein ziemlich peinliches Geheimnis für ein Gespenst.

Flirro fürchtete sich.

Nicht vor Spinnen oder dunklen Kellern, nein, davor fürchten sich ja höchstens die Menschenkinder.

Flirro fürchtete sich vor… dem Knarren!

Ja, richtig gehört. Jedes Mal, wenn eine alte Holzdiele unter unsichtbaren Füßen ächzte, wenn eine schwere Eichentür in ihren Angeln knarrte oder die Wendeltreppe zum Turm leise stöhnte, zuckte Flirro zusammen.

Sein sonst so luftig-leichter Gespensterkörper wurde dann ganz fest und zittrig.

Manchmal versteckte er sich sogar hinter einem dicken Wandteppich oder sauste in die nächstbeste Bodenvase (was ziemlich unbequem war).

„Das ist doch verrückt!“, murmelte Flirro oft vor sich hin, während er sich die durchsichtigen Ohren zuhielt.

„Ich bin ein Gespenst! Ich sollte knarren, nicht davor weglaufen!“

Aber die Angst war stärker.

Besonders schlimm war es nachts, wenn die Burg zur Ruhe kam und jedes Geräusch tausendmal lauter klang.

Ein leises „Kniiieerk“ von der Treppe ließ Flirro erschrocken aufflattern.

Ein tiefes „Knaaarr“ von der alten Truhe im Rittersaal jagte ihm einen kalten Schauer über den nicht vorhandenen Rücken.

Seine Freunde, die Fledermäuse Fips und Faps, verstanden das nicht.

„Aber Flirro“, quietschten sie im Flug, „das ist doch nur die Burg! Die ist alt, die redet halt so.“

Flirro versuchte, tapfer zu sein. Wirklich.

Er probierte alles Mögliche aus, um das Knarren zu besiegen.

Einmal versuchte er, die knarrenden Türangeln mit seinem eigenen Gespensterschleim zu „ölen“. Das Ergebnis war eine klebrige Sauerei, aber geknarrt hat die Tür immer noch.

Ein anderes Mal sammelte er weiches Moos vom Burggraben und versuchte, die Ritzen in den Dielen damit zu stopfen. Das sah nicht nur seltsam aus, sondern das Moos fiel auch ständig wieder heraus.

Sein verzweifeltster Versuch war, die alte Wendeltreppe höflich zu bitten, doch etwas leiser zu sein.

Er schwebte vor die erste Stufe und flüsterte: „Liebe Treppe, könntest du bitte nicht so knarren? Ich erschrecke mich immer so.“

Die Treppe antwortete natürlich nicht. Sie knarrte nur kurz darauf besonders laut, als der Wind durchs Turmfenster fuhr.

Flirro seufzte. Seine Angst schränkte ihn ein. Er traute sich kaum noch aus dem gemütlichen Kaminzimmer heraus, weil die Gänge und Säle voller potenzieller Knarr-Gefahren waren.

Eines Abends, als Flirro sich mal wieder hinter einem staubigen Bücherregal in der alten Bibliothek versteckte, weil der Holzboden so unheimlich ächzte, hörte er plötzlich eine piepsige Stimme.

„Na, na, junges Gespenst, was ist denn das für ein Versteckspiel?“

Flirro spähte vorsichtig hervor.

Auf einem dicken Wälzer saß eine kleine Maus mit einer runden Brille auf der Nase und einem sehr klugen Gesichtsausdruck. Sie knabberte nachdenklich an einem alten Keks.

„Ich… ich… äh…“, stotterte Flirro. „Der Boden… er macht so furchtbare Geräusche!“

Die Maus putzte sich die Barthaare. „Geräusche? Du meinst das Knarren? Papperlapapp! Das ist doch nur Archibald.“

„Archibald?“, fragte Flirro verwirrt.

„Nein, ich bin Archibald“, sagte die Maus würdevoll. „Archibald von Staubkorn, Chef-Bibliotheksmaus. Ich meine, das Knarren ist einfach… die Burg. Sie ist alt, sie lebt, sie atmet. Und manchmal knarrt sie eben.“

Archibald sprang vom Buch herunter und tippelte auf den knarrenden Dielen herum.

„Hör mal genau hin“, piepste er. „Das ist doch kein böses Geräusch. Das ist, als würde die alte Burg im Schlaf seufzen.“

Flirro lauschte. Tatsächlich, wenn man es so betrachtete… klang das „Kniiieerk“ gar nicht mehr so bedrohlich.

„Manchmal“, fuhr Archibald fort und knabberte weiter, „ist es der Wind, der durch die Ritzen zieht und die alten Balken zum Singen bringt. Ein anderes Mal ist es das Holz, das sich nach einem warmen Tag wieder zusammenzieht.“

Er tippelte zu einer anderen Stelle. „Und dieses Knarren hier“, sagte er und deutete mit dem Schwanz auf eine lockere Diele, „das ist nur ein Zeichen, dass der alte Ritter Baldur früher hier immer auf und ab gegangen ist, wenn er nachgedacht hat.“

Flirro schwebte näher heran. Er lauschte den Geräuschen, die er immer gefürchtet hatte.

Archibald hatte recht. Sie klangen plötzlich anders.

Nicht mehr wie Monster unter dem Bett, sondern wie… Geschichten.

Das leise Stöhnen der Treppe war vielleicht der Seufzer einer Prinzessin, die auf ihren Ritter wartete.

Das Knacken im Gebälk war vielleicht das Lachen von Kobolden, die Verstecken spielten.

„Du musst den Geräuschen nur eine neue Bedeutung geben“, erklärte Archibald weise. „Stell dir vor, das Knarren ist die Musik der Burg. Mal laut, mal leise, mal ein bisschen schief, aber immer da.“

Flirro probierte es aus.

Als die große Standuhr im Flur mit einem lauten „Knack!“ umsprang, dachte er nicht mehr an Gefahr, sondern daran, dass es Zeit für seine mitternächtliche Spukrunde war.

Als die Tür zum Weinkeller leise „Quiiieeetsch“ machte, stellte er sich vor, dass die alten Weinflaschen sich Gutenachtgeschichten erzählten.

Er begann sogar, die Geräusche zu mögen.

Er versuchte, im Rhythmus der knarrenden Dielen zu schweben.

Er antwortete dem Stöhnen der Treppe mit einem freundlichen „Huuuhuuuu!“.

Es wurde ein Spiel daraus.

Flirro bedankte sich bei Archibald von Staubkorn, der nur lässig mit der Pfote winkte und in einem dicken Buch verschwand.

Von diesem Tag an fürchtete sich Flirro nicht mehr vor dem Knarren.

Er hatte verstanden, dass die Geräusche einfach zu seinem Zuhause, der alten Burg Knatterstein, gehörten.

Sie waren wie das Ticken einer Uhr oder das Rauschen des Windes – ein Teil des Lebens.

Nun konnte Flirro endlich wieder unbeschwert durch alle Gänge und Säle spuken.

Und wenn er manchmal eine besonders laute Diele zum Knarren brachte, dann zwinkerte er unsichtbar und dachte: „Hallo Burg, ich bin’s nur, dein kleines Gespenst!“

Er schwebte glücklich durch die Nacht, lauschte der Musik seiner knarrenden Burg und war froh, ein Gespenst zu sein, das keine Angst mehr vor ein bisschen „Kniiieerk“ und „Knaaarr“ hatte.

Und manchmal, wenn er besonders gut gelaunt war, fügte er dem Burg-Konzert noch sein eigenes, fröhliches „Huuuhuuuu!“ hinzu.