
Leo hört nachts seltsame Geräusche aus der Heizung. Ist es das Meer? Eine fantasievolle Gute-Nacht-Geschichte über Neugier und Fantasie.
Leo lag in seinem Bett und lauschte.
Draußen war es dunkel, nur der Mond malte einen silbernen Streifen auf seinen Teppich.
Eigentlich sollte er schlafen. Mama hatte ihm schon zwei Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen und einen Kuss auf die Stirn gedrückt.
Aber da war dieses Geräusch.
Ein leises Glucksen und Blubbern, direkt neben seinem Bett.
Es kam aus der Heizung.
Die Heizung war ein langes, weißes Ding aus Metall, das im Winter immer schön warm wurde. Jetzt war sie kalt, aber sie gluckste.
Glucks. Blubber. Gurgel.
Zuerst fand Leo das Geräusch ein bisschen unheimlich.
Klang es nicht, als würde da drin jemand wohnen? Ein kleines Wasser-Monster vielleicht?
Er zog die Decke ein Stückchen höher, bis sie fast seine Nase berührte.
Aber dann lauschte er genauer.
Das Glucksen klang eigentlich ganz freundlich. Wie Wasser, das über Kieselsteine plätschert.
Oder… wie das Meer!
Leo war letztes Jahr mit Mama und Papa am Meer gewesen. Er erinnerte sich an das Rauschen der Wellen und wie das Wasser am Strand gegluckst hatte, wenn es sich zurückzog.
Ja! Die Heizung klang wie das Meer!
Leo wurde neugierig. Wie kam das Meer in die Heizung?
Er setzte sich im Bett auf.
„Hallo?“, flüsterte er in Richtung des weißen Metallkastens.
Glucks. Blubber.
Die Heizung antwortete auf ihre eigene Art.
„Bist du das Meer?“, fragte Leo leise.
Er stellte sich vor, wie winzige Wellen durch die dünnen Rohre der Heizung schwappten.
Vielleicht wohnten da drin sogar kleine Fische? Oder ein Mini-Oktopus mit acht winzigen Armen, der fröhlich durch das Heizungswasser paddelte?
Leo kicherte bei dem Gedanken.
Ein Oktopus in der Heizung! Was für ein Quatsch.
Aber das Geräusch war immer noch da. Glucks-gurgel-blubb.
„Erzählst du mir eine Geschichte?“, flüsterte Leo.
Er stellte sich vor, dass das Wasser in der Heizung von ganz weit her kam. Vielleicht direkt aus dem Ozean, durch unterirdische Röhren, bis hierher in sein Zimmer.
Und auf dem Weg hatte es Abenteuer erlebt!
Es hatte bunte Korallenriffe gesehen, war an schlafenden Haien vorbeigerauscht und hatte vielleicht sogar eine Flaschenpost mit einer geheimen Schatzkarte entdeckt.
Glucks! Blubber!
„Ja, erzähl!“, murmelte Leo und rutschte aus dem Bett.
Auf Zehenspitzen schlich er zur Heizung und legte sein Ohr an das kalte Metall.
Es war ganz still im Zimmer, nur das leise Glucksen war zu hören, jetzt viel deutlicher.
Er schloss die Augen.
Er sah einen winzigen Krebs mit kleinen Gummistiefelchen an den Füßen, wie er vorsichtig durch die Rohre marschierte und dabei Blasen machte.
Blubb! Blubb!
Er sah Seesterne, die an den Innenwänden der Heizung klebten und im Takt des Glucksens leuchteten.
Er sah eine kleine Meeresschildkröte, die gemütlich ihre Runden schwamm und dabei leise summte.
Gurgel-glucks.
Das war bestimmt die Schildkröte!
Plötzlich ging die Tür einen Spalt auf.
„Leo? Alles in Ordnung, mein Schatz?“ Mamas Stimme klang ganz weich.
Leo zuckte zusammen. „Ja, Mama.“
„Warum sitzt du denn auf dem Boden? Kannst du nicht schlafen?“ Mama kam herein und kniete sich neben ihn.
„Die Heizung erzählt vom Meer“, erklärte Leo und zeigte auf den weißen Kasten.
Mama legte den Kopf schief und lauschte.
Glucks. Blubber.
„Tatsächlich“, sagte sie und lächelte. „Das klingt ein bisschen wie Wasser, stimmt’s?“
„Da sind Fische drin!“, verkündete Leo stolz. „Und ein Oktopus! Und eine Schildkröte, die summt!“
Mama lachte leise. „Was für eine schöne Vorstellung, Leo. Vielleicht träumt die Heizung ja vom Meer?“
„Träumt die Heizung?“, fragte Leo erstaunt.
„Vielleicht“, sagte Mama. „Aber weißt du, was das Geräusch wirklich ist? Das ist nur ein bisschen Luft, die zusammen mit dem Wasser durch die Rohre fließt. Wenn die Heizung im Winter wieder warm wird, muss das Wasser ja überall hinkommen. Manchmal sind kleine Luftblasen dabei, und die machen dann Glucks und Blubber.“
Leo dachte nach. Luftblasen?
Das klang nicht ganz so aufregend wie ein Oktopus.
Aber irgendwie auch beruhigend.
Kein Wasser-Monster. Nur Luft.
„Aber… es klingt trotzdem wie das Meer“, sagte Leo.
„Ja, das tut es“, stimmte Mama zu. „Es ist wie ein kleines Meereslied, nur für dich. Ein Heizungs-Schlaflied.“
Sie half Leo zurück ins Bett und deckte ihn wieder zu.
„Hör mal“, sagte sie leise. „Die Heizung singt dich in den Schlaf.“
Leo kuschelte sich in sein Kissen und lauschte wieder.
Glucks. Gurgel. Blubber.
Jetzt klang es nicht mehr unheimlich. Es klang gemütlich.
Wie kleine, platzende Luftblasen, die vom Meer träumten.
Oder vielleicht war doch ein winziger Krebs mit Gummistiefeln da drin?
Wer weiß das schon so genau?
Leo lächelte.
Er stellte sich vor, wie er auf einer freundlichen Luftblase durch die Heizungsrohre reiste, vorbei an träumenden Fischen und summenden Schildkröten, hinaus aufs weite Meer.
Das Glucksen wurde leiser und leiser, oder vielleicht wurde Leo einfach nur müder und müder.
Glucks… blubb…
Es war ein schönes Geräusch.
Ein geheimes Lied aus der Wand.
Ein Schlaflied vom Meer, gesungen von einer träumenden Heizung.
Und während Leo langsam einschlief, träumte er von bunten Fischen, tanzenden Wellen und dem leisen, freundlichen Glucksen in der Ferne.