Der Gähnteppich Gustav und die verschwundenen Fußstapfen

Der Gähnteppich Gustav und die verschwundenen Fußstapfen

Ein Gähnteppich namens Gustav nimmt Leo mit auf ein nächtliches Abenteuer, um das Geheimnis verschwindender Fußstapfen zu lüften. Magisch & lustig!

Leo konnte einfach nicht einschlafen.

Draußen funkelten die Sterne am nachtblauen Himmel, und der Mond malte silberne Muster auf den Boden seines Zimmers.

Aber Leo war hellwach. Zu wach.

Er lag in seinem Bett und zählte Schäfchen, aber die hüpften in seinem Kopf wild durcheinander und machten eher einen Zirkus als dass sie ihn müde machten.

Schließlich rutschte er leise aus dem Bett. Seine Füße landeten auf dem weichen, aber etwas kratzigen Teppich in der Mitte des Raumes.

In der Ecke, halb im Schatten, lag Gustav.

Gustav war kein gewöhnlicher Teppich. Oh nein. Gustav war ein Gähnteppich.

Er war alt, sehr alt, und seine Farben waren ein wenig verblasst. Dunkelblau mit eingewebten silbernen Sternen und kleinen, schläfrigen Mondgesichtern.

Meistens lag Gustav zusammengerollt und unauffällig da. Niemand außer Leo wusste von seinem Geheimnis.

Leo schlich zur Ecke hinüber. Gustav rührte sich nicht. Er sah aus wie ein ganz normaler, eingerollter Teppich.

Leo setzte sich davor auf den Boden und stützte sein Kinn in die Hände. Langeweile kroch in ihm hoch.

Er schaute Gustav an. Gustav schaute nicht zurück. Er war ja eingerollt.

Leo seufzte. Es war wirklich spät.

Und dann passierte es. Ein riesiges, unaufhaltsames Gähnen überkam Leo.

Es war kein kleines, höfliches Gähnen. Es war ein Gähnen, so groß wie ein Scheunentor, das tief aus seinem Bauch kam und seine Ohren kitzelte.

„Haaaaaaaaaaahhhhhhmmm!“

In dem Moment, als das Gähnen Leos Mund verließ, zuckte Gustav.

Ein leises Knistern ging durch den alten Teppich.

Langsam, ganz langsam, als würde er sich aus einem langen Schlaf strecken, begann Gustav sich zu entrollen.

Die eingewebten Sterne schienen für einen Moment heller zu funkeln.

Leo hielt den Atem an. Er hatte es schon einmal erlebt, aber es war jedes Mal wieder aufregend.

Gustav lag nun flach auf dem Boden. Er brummte leise, ein Geräusch wie ein zufriedener Bär im Winterschlaf.

„Na endlich“, knarzte eine Stimme, die direkt aus den Teppichfasern zu kommen schien. „Wurde auch Zeit. Meine Güte, fast eingeschlafen vor Langeweile.“

Leo grinste. „Hallo Gustav.“

„Hallo, hallo“, brummte der Teppich. „Nur ein Gähner? Bisschen mager heute, findest du nicht? Davon hebt man ja kaum ab.“

Leo wusste, was zu tun war. Er konzentrierte sich auf das Gefühl der Müdigkeit, das doch irgendwo in ihm schlummerte.

Er dachte an warme Milch mit Honig, an das weiche Kissen, an das sanfte Schaukeln einer Hängematte.

Und wieder kam es: „Haaaaaaahhhhh-tschiiii-mmm!“ Diesmal mit einem kleinen Nieser am Ende.

Gustav seufzte zufrieden. „Ahhh, das ist besser. Viel besser. Ein Qualitätsgähner mit Bonus-Nieser. Das gibt Auftrieb.“

Und tatsächlich. Der Teppich hob sich sanft vom Boden ab, vielleicht einen Zentimeter hoch.

Er schwebte!

Leo kletterte schnell darauf. Die Oberfläche fühlte sich warm und seltsam lebendig an.

„Wohin soll’s denn gehen, junger Mann?“, knarzte Gustav. „Zum Kühlschrank? Wieder die geheimen Schokopudding-Vorräte plündern?“

Leo kicherte. „Nein, Gustav. Lass uns nach draußen fliegen! Nur eine kleine Runde.“

„Nach draußen?“, brummte Gustav. „Bei der Kälte? Na gut, aber du musst für Treibstoff sorgen. Ordentlich gähnen, verstanden?“

Leo nickte eifrig. Er gähnte noch einmal, so herzhaft er konnte.

Gustav stieg höher. Lautlos schwebten sie zum offenen Fenster.

Die Nachtluft war kühl und roch nach Gras und feuchter Erde.

Sie glitten über den Garten, über die schlafenden Häuser der Nachbarn.

Unter ihnen lag die Welt still und friedlich da, nur vom Mondlicht beleuchtet.

„Schau mal!“, flüsterte Leo und zeigte nach unten auf einen schmalen Waldweg, der sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte.

Im silbrigen Licht waren deutlich Fußspuren zu sehen. Kleine, runde Abdrücke.

„Sieht aus wie Hasenspuren“, murmelte Gustav. „Oder vielleicht ein sehr kleiner Bär mit runden Schuhen.“

Aber das Seltsame war: Die Spuren hörten plötzlich auf.

Mitten auf dem Weg. Einfach weg.

Nicht als wären sie abgebogen. Sie lösten sich auf.

Die letzte Spur war nur noch halb zu sehen, als würde sie vom Mondlicht weggewischt.

„Das ist ja komisch“, sagte Leo. „Wo sind die hin?“

„Verschwunden“, knarzte Gustav. „Sehr mysteriös. Wollen wir der Sache nachgehen? Brauche aber bald wieder einen Gähner, sonst landen wir im Kirschbaum von Frau Meier.“

Leo gähnte pflichtbewusst. „Haaaaahmmm!“

Gustav schwebte tiefer, direkt über den Weg.

Sie folgten der Spur der verschwindenden Fußstapfen.

Immer wieder sahen sie Abdrücke, die klar begannen und dann immer blasser wurden, bis sie ganz verschwanden.

„Vielleicht ist das ein Zauberhase?“, überlegte Leo. „Einer, der sich unsichtbar machen kann?“

„Oder ein Geist“, brummte Gustav. „Aber Geister machen doch keine Fußspuren, oder? Zumindest nicht die gut erzogenen.“

Sie folgten dem Weg tiefer in den kleinen Wald hinein.

Die Bäume warfen lange Schatten, und eine Eule rief leise „Huu-huu“.

Plötzlich sahen sie vor sich eine Lichtung.

Und dort war etwas Unglaubliches zu sehen.

Dünne, silbrige Fäden aus Licht tanzten durch die Luft. Es waren Mondstrahlen, aber sie schienen lebendig zu sein.

Sie hüpften und wirbelten über den Boden der Lichtung.

Und immer, wenn ein Mondstrahl über eine Stelle tanzte, an der ein Blatt lag oder eben eine Fußspur war, verschwand diese.

Sie wurden nicht weggeweht, sondern lösten sich sanft auf, als würde das Licht sie kitzeln, bis sie verschwanden.

Ein kleiner Igel tapste über die Lichtung, hinterließ winzige Spuren – und schwupps, tanzte ein Mondstrahl darüber und wischte sie weg.

„Das sind ja… Putz-Mondstrahlen!“, flüsterte Leo erstaunt.

Gustav brummte zustimmend. „Die Nacht-Aufräumer. Sehr ordentlich. Sorgen dafür, dass morgens alles wieder frisch und unberührt aussieht.“

Leo musste lachen. Das war ja lustig! Keine Magie, kein Geist, nur fleißige Mondstrahlen, die aufräumten.

Sie beobachteten das Schauspiel noch eine Weile.

Die tanzenden Lichter waren wunderschön und beruhigend.

Langsam wurde Leo aber wirklich müde.

Ein echtes, tiefes Gähnen kam von ganz allein. „Haaaaaaaaaaaaahhhhhhmmmmmm.“

Gustav seufzte wohlig. „Ah, ein Bettschwere-Gähner. Der beste Treibstoff für den Heimweg.“

Sanft stiegen sie wieder höher.

Sie verließen die Lichtung mit den tanzenden Mondstrahlen und schwebten zurück über den Wald, über die Dächer, direkt zu Leos offenem Fenster.

Lautlos landete Gustav wieder auf dem Boden in Leos Zimmer.

Leo rutschte vom Teppich. „Danke, Gustav. Das war toll.“

„Immer wieder gerne“, knarzte der Teppich und begann sich langsam wieder zusammenzurollen. „Aber nächstes Mal vielleicht etwas früher gähnen, ja? Bin nicht mehr der Jüngste.“

Schon lag er wieder als unscheinbare Rolle in der Ecke.

Leo kletterte zurück in sein Bett. Die Kissen fühlten sich jetzt unglaublich weich an.

Er kuschelte sich ein und dachte an die tanzenden Putz-Mondstrahlen und den brummigen, fliegenden Gähnteppich.

Ein letztes kleines Gähnen entfuhr ihm.

Aus der Ecke hörte er ein leises, zufriedenes Brummen.

Dann schlief Leo ein, mit einem Lächeln im Gesicht, und träumte vom geheimnisvollen Aufräumdienst des Mondes.