
Ein tropfender Wasserhahn komponiert nachts heimlich ein Schlaflied und hilft einem kleinen Mädchen beim Einschlafen. Humorvoll und beruhigend.
Es war Schlafenszeit im Haus von Lina.
Mama hatte schon eine Geschichte vorgelesen, Papa hatte das Nachtlicht angeknipst, und eigentlich sollte jetzt himmlische Ruhe herrschen.
Aber da war etwas.
Tropf.
Lina spitzte die Ohren.
Tropf.
Es kam aus dem Badezimmer.
Tropf.
Ein Geräusch, so klein und doch so unendlich nervig, wenn man schlafen wollte.
„Papaaaa?“, rief Lina leise.
Papas Schritte näherten sich auf Zehenspitzen.
„Was ist los, mein Schatz? Kannst du nicht schlafen?“
„Der Wasserhahn tropft“, flüsterte Lina und zeigte zur Badezimmertür.
Papa seufzte leise. „Ach ja, der kleine Störenfried. Ich schau mal nach.“
Er ging ins Bad. Lina hörte, wie er am Hahn drehte. Fest. Noch fester.
Das Tropfen hörte kurz auf.
Stille.
„So, jetzt aber“, sagte Papa zufrieden und kam zurück.
Er gab Lina einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön.“
Doch kaum war Papa aus dem Zimmer, ging es wieder los.
Tropf.
Nur ein ganz kleines bisschen leiser vielleicht.
Tropf.
Lina stöhnte und zog die Decke über den Kopf. Aber das Geräusch war immer noch da.
Tropf.
Im Badezimmer saß der kleine Wasserhahn auf dem Waschbecken und fühlte sich ein bisschen einsam.
Tagsüber war immer was los. Hände wurden gewaschen, Zähne geputzt, Wassergläser gefüllt. Aber nachts? Gähnende Langeweile.
Und dieses eine, winzige Tröpfchen, das er einfach nicht halten konnte… es war ja auch irgendwie eintönig.
Tropf.
Immer nur Tropf.
Dem kleinen Wasserhahn wurde furchtbar langweilig.
„Wenn ich schon nicht schlafen kann“, dachte er sich (Wasserhähne denken nicht wirklich, aber in dieser Geschichte schon), „dann könnte ich ja wenigstens etwas Musik machen.“
Er konzentrierte sich.
Statt nur ‚Tropf‘, versuchte er es mal mit einem doppelten.
Tropf-Tropf.
Das klang schon interessanter.
Lina unter ihrer Decke runzelte die Stirn. Hatte sie das richtig gehört?
Tropf-Tropf.
Der Wasserhahn wurde mutiger. Er ließ den Tropfen mal aus etwas größerer Höhe fallen.
Plitsch!
Lina musste fast ein bisschen kichern. Das klang lustig.
Der Wasserhahn hatte Spaß gefunden. Er war jetzt ein Schlagzeuger!
Tropf… Plitsch!… Tropf-Tropf… Plitsch!
Er versuchte, einen Rhythmus zu finden.
Mal langsam, mal schneller.
Lina nahm die Decke vom Kopf und lauschte.
Es war immer noch ein Tropfen, ja. Aber es war nicht mehr nur nervig.
Es klang… fast wie Musik.
Der Wasserhahn überlegte. Was konnte er noch? Er ließ ein bisschen Luft mit durch die Leitung zischen.
Gurgel… Tropf!
Dann ein schneller Wirbel.
Plitsch-plitsch-plitsch-tropf!
Lina lag im Bett und stellte sich den kleinen Wasserhahn vor, wie er da im Dunkeln saß und auf dem Waschbecken trommelte.
Sie malte sich aus, wie er mit den Wassertropfen jonglierte.
Ein kleiner Wasserhahn-Zirkusdirektor.
Das Geräusch war jetzt gar nicht mehr schlimm.
Es war eher… beruhigend.
Der Wasserhahn merkte, dass seine Tropfen irgendwie weicher klangen, wenn er sie ganz sanft fallen ließ.
Nicht mehr Plitsch, sondern nur noch ein leises…
Tupf.
Er versuchte eine Melodie.
Tupf… tupf… tuuupf…
Gurgel…
Tupf… tupf… tuuupf…
Es klang wie ein ganz geheimes, kleines Schlaflied, nur für ihn und das leere Badezimmer.
Und für Lina.
Lina schloss die Augen. Das Wasserhahn-Schlaflied war viel besser als das nervige Tropfen von vorhin.
Es war ein bisschen lustig, ein bisschen seltsam, aber irgendwie auch sehr gemütlich.
Tupf… gurgel… tupf…
Der kleine Wasserhahn wurde langsam müde vom vielen Musizieren.
Sein Rhythmus wurde langsamer, gleichmäßiger.
Tupf…… tupf…… tupf……
Wie ein sanfter Herzschlag im Dunkeln.
Lina atmete tief durch. Sie hörte das leise Lied des Wasserhahns.
Ihre Augen wurden schwerer und schwerer.
Das letzte, was sie hörte, bevor sie einschlief, war ein ganz sanftes…
Tupf.
Am nächsten Morgen schien die Sonne durch Linas Fenster.
Papa kam herein.
„Guten Morgen, Schlafmütze! Na, hat der Wasserhahn dich sehr geärgert heute Nacht? Ich muss heute unbedingt den Klempner anrufen.“
Lina setzte sich auf und rieb sich die Augen.
Sie lächelte.
„Nein, Papa. Der Wasserhahn war lieb.“
„Lieb?“, fragte Papa verwundert.
„Ja“, sagte Lina geheimnisvoll. „Er hat mir ein Schlaflied getropft.“
Papa zog eine Augenbraue hoch, aber er lächelte.
„Na, wenn das so ist… dann hat er ja doch etwas Gutes getan.“
Im Badezimmer tropfte der kleine Wasserhahn immer noch leise vor sich hin.
Tupf.
Er fühlte sich gar nicht mehr einsam. Er hatte die ganze Nacht Musik gemacht.
Und vielleicht, ganz vielleicht, hatte ja sogar jemand zugehört.