
Leo lauscht nachts dem Kühlschrank und entdeckt, dass er Schlaflieder summt – sogar für den mürrischen Käse Herrn von Stinkewitz.
Leo konnte einfach nicht einschlafen.
Draußen war es stockdunkel, nur der Mond warf einen schmalen, silbernen Streifen Licht durch sein Fenster.
Er wälzte sich hin und her. Seine Decke war zu warm, dann wieder zu kühl. Sein Kissen fühlte sich an wie ein Sack voller Kieselsteine.
Plötzlich hörte er etwas.
Ein leises, tiefes Summen.
Summ-summ-summ.
Es kam nicht von draußen. Es kam aus der Wohnung.
Neugierig spitzte Leo die Ohren. Das Summen war ganz regelmäßig, fast wie ein Lied ohne Worte.
Leise, so leise wie eine Maus, schlich er aus seinem Bett.
Er tappte auf Zehenspitzen über den kühlen Flur.
Das Summen wurde lauter, je näher er der Küche kam.
Summ-summ-summ.
Leo spähte um den Türrahmen.
Die Küche lag im Dunkeln, nur das kleine grüne Licht vom Backofen leuchtete wie ein wachsames Auge.
Und da stand er. Der Kühlschrank.
Groß, weiß und… summend.
Summ-summ-summ.
Leo schlich näher heran. Der Kühlschrank vibrierte ganz leicht, wenn man die Hand auflegte.
Er drückte sein Ohr an die kalte Tür.
Was war da wohl los drinnen?
In Leos Fantasie ging die Kühlschranktür auf, und er schrumpfte, bis er klein genug war, um hineinzuschauen.
Drinnen war es hell erleuchtet von einer kleinen Lampe, die wie eine Mini-Sonne schien.
Auf den Glasböden wohnten all die Lebensmittel.
Die Milchpackung lehnte schläfrig an der Wand. Sie gähnte leise.
Die Joghurtbecher standen in einer Reihe und kicherten noch ein bisschen, bevor sie die Augen schlossen.
Die Eier im Eierkarton kuschelten sich aneinander, als hätten sie Angst im Dunkeln.
Das Gurkenglas, alt und weise, stand ganz ruhig da und schien über tiefe Gurkengeheimnisse nachzudenken.
Und überall war dieses sanfte Summen.
Die Wände des Kühlschranks, die nannten sie liebevoll „Brummhilde“, schienen das Geräusch zu machen.
Summ-summ-schlaf-schön-summ.
Es war ein Schlaflied für das Essen!
Doch nicht alle waren schon müde.
Aus der Käseecke drang eine meckernde Stimme.
„Pah! Dieses Gesumme! Als ob ich das nötig hätte!“
Es war Herr von Stinkewitz, ein sehr alter und sehr stolzer Limburger Käse in seiner silbernen Rüstung aus Alufolie.
Er thronte auf seinem Glasregal wie ein kleiner König.
„Ruhe jetzt, Stinkewitz“, murmelte die Milchpackung verschlafen. „Lass die anderen schlafen.“
„Schlafen?“, schnaubte der Käse. „Ein Käse von Welt wie ich schläft nicht! Ich reife! Ich entwickle Charakter! Ich werde… nun ja… stinkiger!“
Die Joghurtbecher kicherten wieder.
„Seid still!“, fuhr Herr von Stinkewitz sie an. „Ihr seid doch nur süßes Zeug ohne Tiefgang! Was wisst ihr schon von wahrer Aromen-Entfaltung?“
Die Eier zitterten leicht in ihrem Karton. „Bitte nicht so laut, Herr von Stinkewitz“, piepste eines. „Sie wecken sonst die Butter!“
Die Butter lag still und golden in ihrer Verpackung und träumte wahrscheinlich von warmen Toastbroten.
Brummhilde, der summende Kühlschrank, änderte leicht ihre Melodie. Das Summen wurde noch sanfter, noch tiefer.
Summ-träum-was-Leckres-summ.
„Hör auf damit!“, protestierte der Käse, aber seine Stimme klang schon nicht mehr ganz so energisch.
„Mein Summen hält euch alle frisch und munter“, brummte Brummhilde leise zurück. Ihre Stimme war wie das Geräusch eines großen, freundlichen Bären.
„Es sorgt dafür, dass die Milch nicht sauer wird, die Eier nicht schlecht und… ja, auch dafür, dass du, lieber Herr von Stinkewitz, deinen wunderbaren Charakter behältst.“
Der Käse blähte sich auf. „Meinen Charakter habe ich mir selbst erarbeitet! Durch Liegen und Warten und… Stinken! Dafür brauche ich kein Gesumme!“
Aber Leo, der mit dem Ohr an der Tür lauschte, konnte sich vorstellen, wie die sanften Schwingungen von Brummhildes Lied den Käse langsam einlullten.
Wie die scharfen Kanten seiner Laune ein wenig weicher wurden.
Wie seine streng gefaltete Alufolie sich ein klein wenig entspannte.
Summ-summ-alles-gut-summ.
Drinnen im Kühlschrank wurde es stiller.
Die Joghurtbecher waren eingeschlafen.
Die Milch atmete tief und gleichmäßig.
Nur aus der Käseecke kam noch ein leises Murren.
„Unfug… Schlaflieder… für Käse…“
Aber es klang schon sehr, sehr müde.
Leo lächelte.
Er stellte sich vor, wie Herr von Stinkewitz die Augen schloss, nur für einen klitzekleinen Moment.
Wie er vielleicht sogar davon träumte, auf einer riesigen Käseplatte zu liegen, bewundert von allen.
Das Summen des Kühlschranks klang jetzt auch in Leos Ohren sehr beruhigend.
Es war kein störendes Geräusch mehr, sondern ein freundliches Brummen, das sagte: „Alles ist gut, alles schläft, alles ist sicher.“
Leo spürte, wie seine eigenen Augenlider schwer wurden.
Das Abenteuer an der Kühlschranktür hatte ihn müde gemacht.
Er tappte leise zurück in sein Zimmer, kuschelte sich in seine Decke, die sich jetzt genau richtig anfühlte.
Das Kissen war wieder weich und gemütlich.
Aus der Ferne hörte er immer noch das leise Summen von Brummhilde.
Summ-summ-schlaf-gut-summ.
Leo schloss die Augen.
Er träumte von einem summenden Kühlschrank, tanzenden Joghurtbechern und einem sehr stolzen Käse, der heimlich ein kleines Nickerchen machte.
Und er schlief tief und fest bis zum nächsten Morgen.