Der letzte Schluck Kakao erzählt eine Geschichte

Der letzte Schluck Kakao erzählt eine Geschichte

Ein kleiner Junge entdeckt, dass der letzte Schluck Kakao lebendig ist und ihm vor dem Einschlafen eine abenteuerliche Geschichte erzählt.

Leo saß am Küchentisch, die Ellbogen aufgestützt, das Kinn in den Händen.

Vor ihm stand seine Lieblingstasse mit den bunten Raketen drauf.

Sie war fast leer. Nur ein kleiner, dunkelbrauner Rest schwappte am Boden.

Ein letzter Schluck Kakao.

„Leo, bitte trink aus. Es wird Zeit fürs Bett“, sagte Mama aus dem Wohnzimmer.

Leo seufzte tief. Er mochte Kakao, wirklich! Aber dieser letzte Schluck… er sah irgendwie einsam aus. Und ein bisschen kalt war er bestimmt auch schon.

Er stocherte lustlos mit dem Finger am Tassenrand entlang.

Plötzlich, ein leises Gluckern. Fast wie ein Kichern.

Leo runzelte die Stirn. Hatte er das gerade gehört?

Er beugte sich näher zur Tasse.

„Psst! Hey du! Ja, dich meine ich!“, blubberte eine winzige Stimme direkt aus dem Kakaorest.

Leo zuckte zurück und starrte mit großen Augen in die Tasse. War er schon im Halbschlaf? Träumte er?

„Wer… wer bist du?“, flüsterte er kaum hörbar.

„Na wer wohl?“, quäkte die Stimme beleidigt. „Ich bin der letzte Schluck! Der tapferste, abenteuerlustigste Schluck Kakao in dieser ganzen Tasse! Und du willst mich hier einfach so sitzen lassen? In der Kälte? Allein?“

Leo konnte es nicht fassen. Der Kakao sprach! Sein letzter Schluck Kakao hatte eine Stimme.

„Aber… aber Kakao kann doch nicht sprechen“, stammelte Leo.

„Papperlapapp!“, blubberte der Schluck. „Ich kann sprechen, ich kann denken und vor allem: Ich kann Abenteuer erleben! Zumindest könnte ich das, wenn du mich nicht hier vergessen würdest!“

Leo war wie gebannt. „Abenteuer? Was für Abenteuer?“

Der kleine Schluck schien sich in der Tasse aufzuplustern. „Oh, die größten Abenteuer überhaupt! Stell dir vor: Ich stehe kurz vor der Großen Reise durch das Kakao-Universum!“

„Das Kakao-Universum?“, fragte Leo und rutschte näher an den Tisch.

„Aber ja!“, sprudelte der Schluck begeistert. „Direkt hier in dieser Tasse! Wenn du mich trinkst, beginnt es! Zuerst der Sturz durch den Großen Schlund…“

Leo schluckte. Der Große Schlund klang gefährlich.

„…dann sause ich durch den Schokoladenfluss! Ein reißender Strom aus feinster, flüssiger Schokolade! Vorbei an den Marshmallow-Inseln, die so weich und fluffig sind, dass man darauf hüpfen möchte!“

Leo stellte sich die weißen, weichen Inseln vor, die im braunen Fluss trieben.

„Aber Vorsicht ist geboten!“, warnte der Schluck mit gesenkter Stimme. „Manchmal gibt es Löffel-Strudel! Riesige Wirbel, die alles aufsaugen, was ihnen zu nahe kommt! Und dann sind da noch die Keks-Krümel-Asteroiden, die plötzlich aus dem Nichts auftauchen!“

„Wow!“, entfuhr es Leo. Das klang viel aufregender als einfach nur Kakao trinken.

„Und das ist noch nicht alles!“, blubberte der Schluck weiter. „Tief unten, am Boden des Universums, liegen die Zucker-Kristall-Höhlen! Sie glitzern und funkeln in allen Farben! Dort wohnt der alte, weise Krümel, der schon tausend Tassen überlebt hat!“

„Echt? Ein weiser Krümel?“, staunte Leo.

„Ja! Aber ich werde ihn nie treffen, wenn ich hier festsitze!“, jammerte der Schluck. „Meine ganze Reise, mein großes Abenteuer… alles umsonst, nur weil du keine Lust mehr hast!“

Der kleine Schluck klang jetzt richtig traurig. Er schwappte ein bisschen hin und her, wie ein kleines Boot auf einem großen See.

Leo bekam Mitleid. Er wollte nicht schuld sein, dass der tapfere Schluck sein Abenteuer verpasste.

„Stell dir vor“, fuhr der Schluck fort, „ich würde durch den Schokoladenfluss gleiten, den Marshmallow-Duft in meiner… nun ja, in meiner Kakaonase haben. Ich würde den Löffel-Strudeln ausweichen und vielleicht sogar einen Keks-Krümel-Asteroiden als Souvenir mitnehmen!“

Leo musste kichern. Ein Kakao-Schluck mit einem Keks-Krümel als Souvenir.

„Und am Ende“, flüsterte der Schluck fast ehrfürchtig, „erreiche ich das Warme Nirwana. Den Ort, an dem alle Kakao-Schlucke glücklich und zufrieden sind.“

Leo dachte nach. Das klang nach einem schönen Ziel für einen kleinen, mutigen Schluck Kakao.

„Bitte“, bettelte der Schluck. „Gib mir meine Chance! Lass mich meine Reise antreten! Es ist nur ein kleiner Schluck für dich, aber eine riesige, galaktische Reise für mich!“

Leo sah in die Tasse. Der kleine Rest Kakao sah ihn erwartungsvoll an. Oder bildete er sich das nur ein?

Er traf eine Entscheidung.

Langsam nahm er die Tasse mit den bunten Raketen.

„Okay, kleiner Schluck“, sagte er feierlich. „Deine Reise beginnt. Halt dich fest!“

Er setzte die Tasse an die Lippen.

„Juhuuuu!“, hörte er noch ein letztes, fröhliches Blubbern. „Auf ins Abenteueeeeer!“

Dann nahm Leo den letzten Schluck.

Er schmeckte nach Schokolade, ein bisschen nach Marshmallow (obwohl keine drin waren) und irgendwie… nach Abenteuer.

Er leckte sich die Lippen und stellte die leere Tasse auf den Tisch.

„Fertig, Mama!“, rief er.

Als Leo wenig später in seinem Bett lag, die Decke bis unters Kinn gezogen, musste er lächeln.

Er dachte an den kleinen, tapferen Schluck Kakao, der jetzt wahrscheinlich gerade an Marshmallow-Inseln vorbeisauste oder den Zucker-Kristall-Höhlen entgegen glitt.

War das alles nur Fantasie gewesen? Oder hatte der letzte Schluck wirklich mit ihm gesprochen?

Eigentlich war es egal.

Es war eine gute Geschichte gewesen. Und vielleicht, nur vielleicht, war das Trinken des letzten Schlucks ja doch ein kleines Abenteuer.

Mit einem zufriedenen Seufzer schloss Leo die Augen und träumte von Schokoladenflüssen, Keks-Krümel-Asteroiden und einem sehr glücklichen, kleinen Kakao-Schluck auf seiner großen Reise ins Warme Nirwana.