Die Reise vom kleinen Seufzer zum großen Schlummer

Die Reise vom kleinen Seufzer zum großen Schlummer

Ein kleiner Seufzer verirrt sich nachts und sucht den Weg zurück zu seinem Jungen Moritz. Eine humorvolle Reise voller schräger Begegnungen.

Moritz lag in seinem Bett und konnte einfach nicht einschlafen.

Seine Augen waren weit offen und starrten an die Decke, wo die Schatten lustige, aber auch ein bisschen gruselige Formen tanzten.

Er drehte sich nach links. Nichts.

Er drehte sich nach rechts. Immer noch nichts.

Die Decke war zu weich, das Kissen zu knubbelig, und der Teddybär brummte nicht so gemütlich wie sonst.

„Hmpf“, machte Moritz und kuschelte sich tiefer unter die Decke.

Er dachte an den aufregenden Tag im Park, an das Eis, das ihm auf die Hose getropft war, und an das Wettrennen mit Lena, das er knapp verloren hatte.

Sein Kopf war wie ein Karussell voller Gedanken, das sich immer schneller drehte.

Schließlich entkam ihm ein kleiner, leiser Laut: „Seufz.“

Es war kein lauter, trauriger Seufzer, eher ein winziges Püffchen Luft, das sich müde aus seiner Brust stahl.

Dieser kleine Seufzer war plötzlich… frei.

Er schwebte für einen Moment über Moritz‘ Bett, leicht und fast unsichtbar, wie eine winzige, durchsichtige Wolke.

Er schaute sich verwirrt um. Wo war er? Was war er?

Er war doch gerade noch gemütlich in Moritz‘ Lunge gewesen, warm und sicher, zwischen all den anderen Atemzügen.

Jetzt war er hier draußen, in der kühlen Nachtluft des Zimmers.

Ein sanfter Luftzug vom gekippten Fenster erfasste den kleinen Seufzer und trug ihn sachte nach draußen in die weite, dunkle Nacht.

„Huch!“, dachte der Seufzer, der noch nie zuvor geflogen war. „Wo geht’s denn hin? Das ist ja kitzelig!“

Er wirbelte durch die Dunkelheit, vorbei an schlafenden Häusern mit zugezogenen Vorhängen und stillen Gärten, in denen die Blumen ihre Köpfe hängen ließen.

Die Sterne funkelten wie winzige Diamanten am samtschwarzen Himmel, und der Mond sah aus wie ein halb aufgegessenes Käsebrot.

Der kleine Seufzer fühlte sich sehr, sehr klein und auch ein bisschen verloren. Er wollte zurück zu Moritz! Moritz‘ Zimmer war viel gemütlicher als diese große, weite Welt.

Da landete er sanft wie eine Feder auf einem dicken Ast, direkt neben einer großen, runden Brille, die zu einer noch größeren, runden Eule gehörte.

Die Eule schreckte aus einem Nickerchen hoch. „Hu-hu? Wer wagt es, meine hochkonzentrierte Nachtruhe mit solch einem leisen Püffchen zu unterbrechen?“, fragte Frau Eule Hedwig und blinzelte verschlafen durch ihre riesigen Brillengläser.

„Ich… ich bin ein Seufzer“, piepste der kleine Seufzer, so laut er konnte, was immer noch sehr leise war. „Ich habe mich von meinem Moritz verirrt und will zurück.

Frau Eule Hedwig rückte ihre Brille zurecht und putzte sie bedächtig mit einem Flügeltuch. „Ein Seufzer, soso. Von einem Moritz, aha. Ist dieser Moritz jung oder alt? Groß oder klein? Mit roten oder blauen Socken?“

„Jung!“, sagte der Seufzer schnell. „Er kann nicht schlafen! Und seine Socken sind, glaube ich, gestreift!“

„Nicht schlafen? Das kenn ich“, sagte Hedwig und nickte weise. „Passiert den Besten. Mir auch manchmal. Dann zähle ich Mäuse. Springende Mäuse, tanzende Mäuse, Mäuse mit kleinen Regenschirmen… Hast du schon mal eine Maus mit Regenschirm gesehen? Sehr elegant, aber unpraktisch im Dunkeln.“

Der Seufzer schüttelte sich, so gut ein Seufzer sich eben schütteln kann. „Nein, Frau Eule. Ich muss wirklich dringend zu Moritz zurück!

„Ach ja, Moritz“, erinnerte sich Hedwig und kratzte sich am Kopf. „Der Junge mit den gestreiften Socken, der nicht schlafen kann. Du musst einfach… äh…“ Sie schaute angestrengt nach links, dann nach rechts oben. „… immer der Nase nach! Oder war es dem Mond nach? Nein, warte, ich glaube, meine Großtante Euphemia sagte immer, man solle dem Geruch von warmen Keksen folgen… oder waren es kalte Fische?“

Der kleine Seufzer merkte, dass Frau Eule Hedwig zwar sehr weise und erfahren aussah, aber ihr Gedächtnis vielleicht schon ein kleines Nickerchen machte.

„Vielen Dank, Frau Eule“, sagte er höflich und ließ sich vom nächsten sanften Windhauch behutsam weitertragen, bevor sie anfing, von fliegenden Fischen zu erzählen.

Er schwebte über eine taufeuchte Wiese, auf der die Tautropfen im Mondlicht wie tausend kleine Perlen glänzten.

Plötzlich blitzte es direkt vor ihm auf. Ein winziges, hellgrünes Licht tanzte wild im Zickzack durch die Luft.

„Hallo! Hallo! Hier bin ich!“, rief eine aufgeregte, summende Stimme. „Brauchst du Licht? Ich bin Gustav, das Super-Glühwürmchen! Schnellstes Blinklicht westlich des Gartenteichs! Ich leuchte dir den Weg!“

„Oh ja, bitte! Das wäre wunderbar!“, freute sich der Seufzer. Endlich Hilfe! „Ich suche das Zimmer von Moritz!“

„Moritz? Klar doch! Kenn ich! Netter Kerl! Wohnt da drüben! Folge mir!“, blinkte Gustav enthusiastisch und schoss los wie eine kleine Rakete. Blink. Aus. Blink. Aus. Blink-blink. Aus.

Der Seufzer versuchte verzweifelt, ihm zu folgen, aber Gustav war furchtbar schnell und sein Licht ging ständig an und aus, mal hier, mal da, mal ganz woanders.

„Warte doch! Nicht so schnell!“, rief der Seufzer, aber Gustav war schon wieder hinter einem großen Rhabarberblatt verschwunden. Blink. Aus.

Der Seufzer landete erschöpft auf einem Gänseblümchen und schnaufte. Das war ja anstrengender als das Karussell in Moritz‘ Kopf!

Er schwebte weiter, diesmal langsamer und vorsichtiger, und hielt Ausschau nach etwas Bekanntem.

Er folgte einem schwachen Lichtschein, der aus einem Kellerfenster drang. Könnte das Moritz‘ Zimmer sein? Nein, Moritz wohnte doch nicht im Keller.

Neugierig schwebte er näher. Drinnen bewegte sich etwas Großes, Weiches, Fluffiges.

Es waren die Kopfkissen aus der Waschmaschine, die zum Trocknen auf einer Leine aufgehängt worden waren.

Aber es waren keine normalen Kissen. Sie schienen lebendig zu sein! Sie atmeten tief ein und aus.

Sie bauschten sich auf und stießen leise, tiefe Geräusche aus, die klangen wie ein müdes Brummen: „Gääääähn… Schlaaaaafen…“

Ein besonders großes Federkissen drehte sich langsam zum Seufzer um. Seine „Augen“ waren nur kleine Dellen im Stoff. „Bist du auch so müüüüüde, kleiner Luftikus?“

Es atmete einen warmen, unglaublich schläfrigen Lufthauch aus, der nach frischem Weichspüler und tiefem Schlaf roch.

Der kleine Seufzer spürte, wie ihm die… äh… Luft ganz schwer wurde. Er wollte sich plötzlich nur noch zusammenrollen und ein kleines Nickerchen machen, hier zwischen den weichen Kissen.

Nein! Aufwachen!“, dachte er tapfer. „Ich muss doch zu Moritz! Er braucht mich!

Ein anderes Kissen, ein kleines Nackenhörnchen, gähnte noch lauter und herzzerreißender. „Schlaaaaaf schön… Kuschlig warm… Gääääähn…“

Die Luft in der Waschküche wurde immer dicker und schläfriger. Es war wie warmer Honig, der den Seufzer einhüllen wollte.

Der Seufzer sammelte all seine winzige Kraft. Er dachte ganz fest an Moritz. An sein warmes Bett mit der blauen Decke. An den vertrauten Geruch seines Teddybären Bruno. An das leise Schnarchen, das Moritz machte, wenn er ganz tief und fest schlief.

Dieser Gedanke gab ihm Auftrieb! Er fühlte sich plötzlich wieder leichter und wacher.

Er machte sich ganz klein und dünn und flutschte blitzschnell an den gähnenden Kissen vorbei, durch einen Spalt unter der Tür hindurch, hinaus aus der schläfrigen Waschküche. Puh! Das war knapp!

Er war wieder draußen in der kühlen, klaren Nachtluft. Freiheit!

Er schaute sich um. Wo war er nur gelandet? Er war jetzt im Hausflur.

Da roch er etwas. Etwas sehr Vertrautes. Es roch nach Moritz‘ Lieblings-Gute-Nacht-Geschichte, die mit dem Drachen, der lieber Blumen züchtete, und ein ganz kleines bisschen nach dem Kakao von heute Abend.

Dieser wunderbare Duft kam von oben, die Treppe hinauf, aus einem Zimmer im ersten Stock.

Das muss es sein! Das ist Moritz‘ Zimmer!“, dachte der Seufzer überglücklich und aufgeregt.

Er ließ sich vom leichten Luftzug die Treppe nach oben tragen, immer dem vertrauten, heimeligen Geruch nach.

Er schlüpfte durch das immer noch gekippte Fenster zurück in Moritz‘ Zimmer.

Moritz lag immer noch wach da. Seine Augen waren immer noch offen, aber sie sahen schon ein kleines bisschen müde aus.

Der kleine Seufzer schwebte ganz leise zu ihm hinüber.

Er kuschelte sich ganz nah an Moritz‘ Nase, so sanft wie ein Schmetterlingsflügel.

Moritz spürte plötzlich etwas. Einen Hauch von warmer, vertrauter Luft, wie eine liebevolle Umarmung von innen.

Er atmete tief ein.

Und mit diesem tiefen, ruhigen Atemzug sog er den kleinen Seufzer wieder in sich auf, dorthin, wo er hingehörte.

Ahhh. Das tat gut.

Der Seufzer war wieder zu Hause. An seinem Platz. Warm und sicher in Moritz‘ Brust.

Er war nicht mehr nur ein kleiner, verirrter Seufzer. Er hatte Abenteuer erlebt!

Er war jetzt ein tiefer, ruhiger Atemzug. Ein Gefühl von „Alles ist gut“. Ein Gefühl von Angekommen-Sein.

Moritz atmete langsam wieder aus. Aber diesmal war es kein unruhiger Seufzer mehr.

Es war ein sanfter, langer Hauch, der alle Sorgen und das Gedankenkarussell einfach mitnahm und leise davonpustete.

Moritz spürte, wie seine Augenlider schwer wurden, so schwer wie Honig.

Das Karussell in seinem Kopf wurde langsamer und langsamer und blieb schließlich stehen.

Die Schatten an der Decke waren jetzt nur noch weiche, freundliche Schäfchenwolken.

Das Kissen fühlte sich plötzlich genau richtig an, weich und stützend zugleich.

Der Teddybär Bruno brummte leise und zufrieden in seinem Arm.

Moritz gähnte. Ein großes, wohliges, tiefes Gähnen, das bis in die Zehenspitzen reichte.

Und dann, endlich, schlossen sich seine Augen.

Der kleine Seufzer, der nun gar nicht mehr klein war, sondern ein großer, zufriedener Schlummerseufzer, kuschelte sich gemütlich in Moritz‘ Brust.

Er hatte seine lange Reise geschafft.

Er war wieder daheim, wo er hingehörte, und bereit für süße Träume.

Und Moritz schlief tief und fest und traumlos, bis die ersten goldenen Sonnenstrahlen ihn am nächsten Morgen sanft an der Nase kitzelten.

Gute Nacht, kleiner Seufzer. Gute Nacht, Moritz. Schlaf schön.