Die schläfrige Tomate auf der Fensterbank

Die schläfrige Tomate auf der Fensterbank

Die schläfrige Tomate Pomodora gerät in Panik, als sie Suppe werden soll. Eine lustige Rettungsaktion auf der Fensterbank beginnt. (131 characters)

Pomodora war eine Tomate.

Aber nicht irgendeine Tomate.

Nein, Pomodora war eine besonders gemütliche und, um ehrlich zu sein, ziemlich schläfrige Tomate.

Sie lebte auf einer sonnigen Fensterbank in einer Küche, direkt neben einem Topf mit Basilikum.

Dieser Basilikum hieß Bert und war ein bisschen ein Besserwisser, aber eigentlich ganz nett.

Pomodora liebte ihren Platz.

Die Sonne kitzelte sie morgens wach (naja, meistens jedenfalls), und sie hatte einen prima Ausblick auf den Garten.

Meistens döste Pomodora aber vor sich hin.

Sie träumte von wilden Abenteuern in fernen Ländern, wo Tomaten auf Bäumen wuchsen und Ketchup direkt aus Vulkanen sprudelte.

Ihre Träume waren so lebhaft, dass sie manchmal leise vor sich hin gluckste oder mit ihrer runden Form ein wenig wackelte.

„Wach auf, Schlafmütze!“, brummte Bert Basilikum oft mit einem Rascheln seiner grünen Blätter. „Du verpasst ja das halbe Leben da draußen! Gerade ist ein Schmetterling mit Punkten vorbeigeflogen!“

Pomodora blinzelte nur müde mit einem ihrer nicht vorhandenen Augen. „Mhpf… Leben ist anstrengend, Bert. Träumen ist viel entspannter. In meinem Traum reite ich gerade auf einer fliegenden Gurke.“

Bert seufzte. Mit einer träumenden Tomate zu diskutieren, war sinnlos.

Eines Nachmittags, als Pomodora gerade von einer Reise zum großen Nudelberg träumte, wo sie von freundlichen Spaghetti-Wesen empfangen wurde, hörte sie Stimmen.

Die Menschen in der Küche unterhielten sich.

Ihre Stimmen klangen laut und aufgeregt in Pomodoras Halbschlaf.

„Was machen wir heute Abend zu essen?“, fragte eine Stimme, die klang wie der große Mensch mit dem Bart.

„Wie wär’s mit einer leckeren Tomatensuppe?“, antwortete eine andere, hellere Stimme. „Wir haben doch diese schöne, reife Tomate auf der Fensterbank. Die sieht perfekt aus!“

Pomodora erstarrte mitten in ihrem Traum.

Der Nudelberg verschwand.

Die fliegende Gurke löste sich in Luft auf.

Tomatensuppe?

Aus IHR?!

Plötzlich war sie hellwach. So wach wie noch nie zuvor in ihrem Tomatenleben.

Ihre rote Haut wurde vor Schreck noch ein bisschen röter, fast schon purpurfarben.

„Bert!“, flüsterte sie panisch und stieß dabei fast gegen seinen Topf. „Hast du das gehört? Sie wollen Suppe aus mir machen! Eine heiße, blubbernde Suppe!“

Bert Basilikum raschelte beruhigend mit seinen Blättern. „Ach Quatsch, Pomodora. Das sagen die doch nur so. Wahrscheinlich gibt es am Ende doch wieder nur Brot. Außerdem bist du viel zu schön für Suppe. Eher was für einen Salat, wenn überhaupt.“

Aber Pomodora war nicht zu beruhigen.

Ihr kleines Tomatenherz pochte wild.

„Nein, nein! Das klang ernst! Ich muss hier weg! Sofort! Ich will nicht als Suppe enden! Ich habe noch so viele Träume zu träumen!“

Sie versuchte, sich zu bewegen, aber als Tomate war das gar nicht so einfach.

Sie konnte sich höchstens ein kleines bisschen hin- und herkugeln, was eher aussah, als würde sie einen wackeligen Tanz aufführen.

„Das bringt doch nichts“, seufzte Bert. „Wo willst du denn hin? Runter von der Fensterbank? Das ist hoch!“

„Egal! Hauptsache weg von der Suppengefahr!“, piepste Pomodora. „Vielleicht kann ich mich im Garten verstecken? Unter einem Salatblatt?“

In diesem Moment landete mit einem lauten BZZZZ eine Fliege auf der Fensterbank.

Es war Frieda, eine notorisch neugierige und etwas hektische Stubenfliege, die immer auf der Suche nach dem neuesten Klatsch und Tratsch war.

„Bzzzz, was ist denn hier los?“, summte Frieda und putzte sich aufgeregt die Vorderbeinchen, während ihre Facettenaugen alles scannten. „Große Aufregung? Panik auf der Fensterbank? Erzählt schon!“

„Frieda! Du kommst wie gerufen! Du musst mir helfen!“, rief Pomodora, ihre Stimme zitterte ein wenig. „Sie wollen mich zu Suppe verkochen! Mich! Pomodora!“

Frieda zoomte einmal um Pomodora herum und betrachtete sie von allen Seiten. „Suppe? Bzzz. Klingt… warm. Und irgendwie… flüssig. Nicht so mein Ding. Aber keine Sorge, ich hab eine Idee! Eine geniale Fliegen-Idee!“

Bert Basilikum raschelte misstrauisch. Fliegenideen waren selten die besten, besonders wenn Frieda beteiligt war.

Aber Pomodora war verzweifelt und klammerte sich an jeden Strohhalm – oder in diesem Fall, an jede Fliege.

„Was denn? Schnell!“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Wir rollen dich einfach runter!“, summte Frieda begeistert und rieb sich wieder die Beinchen. „Schwupps, über den Rand, und weg bist du! Freiheit! Abenteuer! Bzzz!“

Bert Basilikum schüttelte entsetzt seine Blätter. „Das ist doch Wahnsinn! Sie ist eine Tomate, keine Gummikugel! Sie platzt ja auf, wenn sie auf den Küchenboden fällt! Dann gibt es Tomatenmatsch statt Tomatensuppe!“

„Ach was, bzzz! Ein bisschen Nervenkitzel hat noch keiner Tomate geschadet!“, meinte Frieda unbekümmert. „Außerdem landet sie vielleicht weich. Auf dem Teppich? Oder auf der Katze?“

Pomodora überlegte. Runterfallen klang nicht gut. Der Gedanke an Tomatenmatsch war schrecklich. Aber Suppe klang noch viel schlimmer. Was war das kleinere Übel?

„Okay“, sagte sie zögernd, ihre Stimme kaum ein Flüstern. „Aber wie? Ich kann mich doch kaum bewegen.“

„Ganz einfach! Ich schubse dich an!“, erklärte Frieda voller Tatendrang und nahm Anlauf von der anderen Seite der Fensterbank.

Sie flog mit voller Wucht gegen Pomodoras Seite.

Plopp.

Pomodora kullerte ein winziges Stückchen zur Seite, direkt gegen Berts Tontopf.

„Autsch!“, murmelte Bert. „Pass doch auf meine Wurzeln auf! Und meine Blätter!“

„Bzzz, du bist schwerer als du aussiehst!“, schnaufte Frieda und landete kurz, um Luft zu holen. „Fast wie ein kleiner roter Felsbrocken! Neuer Plan! Wir brauchen mehr Schwung! Viel mehr Bzzz-Power!“

In der Ecke der Fensterbank beobachtete Silvia Spinne das ganze Treiben aus ihrem kunstvollen Netz. Sie sagte nichts, wie immer. Spinnen sind eher die stillen Beobachter des Fensterbank-Dramas.

Frieda hatte inzwischen eine weitere, noch genialere Idee. „Ich hol Verstärkung! Teamwork macht den Tomatentraum wahr! Bzzz!“ Und weg war sie, durch das offene Küchenfenster schwirrend.

Pomodora seufzte tief. Ihre ganze rote Oberfläche fühlte sich angespannt an. „Das wird nie was. Ich werde Suppe. Leb wohl, Bert.“

„Immer diese Dramatik“, brummte Bert. „Bleib einfach ruhig liegen. Vielleicht machen sie ja doch Gurkensalat. Gurken sind viel langweiliger als du.“

Gurkensalat klang viel besser als Tomatensuppe. Kühl, knackig, harmlos. Aber die Angst blieb wie ein kleiner Kern in Pomodora.

Kurz darauf kam Frieda zurück, gefolgt von zwei weiteren, genauso hektischen und aufgeregten Fliegen.

„Okay, Team Fliegenpower! Einsatzbesprechung! Ziel: Tomate über den Rand! Auf mein Kommando: Schieben! Bzzz!“, kommandierte Frieda.

Die drei Fliegen positionierten sich strategisch und stemmten sich mit aller Kraft gegen Pomodoras runde Seite.

Sie ruckelte.

Sie wackelte bedrohlich.

Sie kullerte ein kleines Stückchen näher an den Rand der Fensterbank. Der Abgrund – der Küchenboden – kam näher!

„Gleich geschafft! Nur noch ein kleiner Schubs! Für die Freiheit! Bzzz!“, summte Frieda triumphierend.

Pomodora schloss die Augen. Das war’s. Der Sprung ins Ungewisse. Sie hoffte auf die Katze als Landekissen.

Doch plötzlich hörte sie wieder die Menschenstimmen, diesmal ganz nah.

„Ach, schau mal, die Gurke hier im Kühlschrank sieht aber auch gut aus. Schön knackig.“

„Stimmt! Dann machen wir heute doch lieber kalte Gurkensuppe. Ist bei dem warmen Wetter eh erfrischender.“

„Gute Idee! Dann kann die schöne Tomate auf der Fensterbank noch ein bisschen Sonne tanken und noch röter werden.“

Pomodora öffnete langsam ein Auge. Dann das andere.

Gurkensuppe?

Kalte Gurkensuppe?

Keine Tomatensuppe?

Sie war gerettet! Und sie durfte noch mehr Sonne tanken!

„Halt! Stopp!“, rief sie den Fliegen so laut sie konnte zu. „Kommando zurück! Fehlalarm! Alles in Ordnung!“

Die drei Fliegen bremsten abrupt ab, kollidierten fast miteinander und schauten verwirrt mit ihren tausend Augen.

„Bzzz? Was denn nun? Keine Action? Kein Sprung?“, fragte Frieda enttäuscht.

„Sie machen Gurkensuppe!“, erklärte Pomodora überglücklich und kullerte aus eigener Kraft wieder ein Stück zurück zu Berts sicherem Topf. „Ich darf bleiben!“

Bert raschelte zufrieden. „Siehst du? Hab ich doch gesagt. Alles halb so wild. Du musst nur mal richtig zuhören, statt gleich in Panik zu verfallen.“

Frieda und ihre Freunde zuckten mit den Flügeln. „Na dann, bzzz. War trotzdem lustig. Fast hätten wir’s geschafft. Bis zum nächsten Mal! Vielleicht will ja mal eine Erbse rollen?“ Und weg waren sie, auf der Suche nach neuen Abenteuern oder Krümeln.

Pomodora atmete tief durch. Ihre rote Haut entspannte sich wieder.

Das war ja nochmal gut gegangen.

Sie kuschelte sich an ihre warme Stelle auf der Fensterbank, genau im Sonnenfleck.

Die ganze Aufregung hatte sie müde gemacht. Sehr, sehr müde.

„Ich glaub, ich mach mal ein Nickerchen“, murmelte sie gähnend.

Bert brummte leise. „War ja klar. Weck mich nicht, wenn du wieder von Ketchup-Vulkanen träumst.“

Pomodora schloss die Augen.

Die Sonne schien warm auf ihre rote Haut.

Keine Suppengefahr mehr in Sicht.

Nur das leise Summen einer entfernten Fliege draußen und das sanfte Rascheln von Berts Blättern im leichten Luftzug.

Sie träumte wieder.

Diesmal nicht von Ketchup-Vulkanen oder Nudelbergen, sondern von einem entspannten Bad in einem kühlen Gurkensalat-See, zusammen mit freundlichen Dill-Fischen.

Das war viel angenehmer und deutlich weniger gefährlich.

Und während Pomodora schlief und träumte, spann Silvia Spinne in ihrer Ecke still und leise einen weiteren Faden an ihrem Netz. Sie hatte schon viele Tomaten, Kräuter und sogar mal eine vergessene Zitrone auf dieser Fensterbank kommen und gehen sehen.

Aber so eine schläfrige und gleichzeitig so schnell panische Tomate wie Pomodora war ihr noch nie begegnet.

Silvia lächelte ihr feines Spinnenlächeln, das niemand sehen konnte.

Die Fensterbank war doch immer wieder für eine Überraschung gut.

Und Pomodora?

Sie schlief tief und fest, die schläfrigste, erleichtertste und glücklichste Tomate auf der ganzen Fensterbank.

Bis zum nächsten Traum.

Oder bis Bert sie wieder mit einem lauten Rascheln weckte.

Je nachdem, was zuerst kam.