
Finn, ein kleiner Fingerhut, reist mit Omas Daumenkarussell ins Traumland. Ein lustiges Abenteuer voller Neugier aus der Nähkästchen-Perspektive.
Finn war kein gewöhnlicher Fingerhut.
Oh nein, Finn war ein Abenteurer im Herzen, auch wenn sein Zuhause Oma Heidis altes, gemütliches Nähkästchen war.
Tagsüber war es ja ganz nett.
Die Sonnenstrahlen kitzelten manchmal durch den Deckelspalt, und die bunten Garnrollen sahen aus wie ein kleiner Rummelplatz.
Aber nachts? Nachts wurde es Finn langweilig.
Er saß in seiner Ecke, polierte seine silberne Mütze und lauschte den Geschichten von Knopf Kasimir.
Knopf Kasimir war der älteste Knopf im Kasten, mit vier Löchern und unzähligen Geschichten.
Er hatte schon viele Mäntel und Jacken gesehen und kannte die Welt da draußen.
Am liebsten aber erzählte Kasimir vom Traumland.
„Ein Ort, wo die Wolken aus Zuckerwatte sind und die Flüsse nach Himbeerbrause schmecken“, murmelte er mit seiner knarzigen Stimme.
„Dort tanzen die Sterne Polka und die Kissen erzählen Witze.“
Finns kleine Fingerhut-Augen wurden groß.
„Wie kommt man dorthin, Kasimir?“ fragte er jeden Abend.
Kasimir rückte seine imaginäre Brille zurecht.
„Es gibt viele Wege, kleiner Finn. Aber der schnellste und kitzligste Weg ist das Daumenkarussell.“
„Das Daumenkarussell?“ Finn war ganz Ohr.
„Ja“, erklärte Kasimir geheimnisvoll. „Wenn Oma Heidi abends müde wird beim Nähen, kennst du das doch? Ihr Daumen, der den Faden hält, fängt manchmal an, sich ganz langsam zu drehen, wie ein kleines Karussell. Wenn du genau im richtigen Moment aufspringst, wenn der Mond durchs Fenster schaut und Oma tief genug schlummert, dann, ja dann kann dich das Daumenkarussell direkt ins Traumland wirbeln!“
Finns metallisches Herz klopfte aufgeregt.
Das wollte er versuchen! Noch heute Nacht!
Aber alleine traute er sich nicht so recht.
Er tippelte zu Paula, der Stecknadel. Paula war immer etwas piekig, aber eigentlich ganz nett.
„Paula, hilfst du mir? Ich will mit dem Daumenkarussell ins Traumland!“
Paula zog eine spitze Augenbraue hoch.
„Ins Traumland? Mit Omas Daumen? Bist du übergeschnappt, Finn? Das ist viel zu gefährlich! Was, wenn sie aufwacht?“
„Bitte, Paula! Du musst nur Wache halten“, bettelte Finn.
Paula seufzte. „Na gut. Aber wehe, du fällst runter und ich muss dich aufpicken!“
Dann rollte Finn zu Faden Fritz. Fritz war ein lustiger Kerl, immer zu Späßen aufgelegt und ein bisschen verknotet.
„Fritz, mein Freund! Ich brauche deine Hilfe! Ich will ins Traumland!“
Fritz wickelte sich vor Lachen fast selbst auf.
„Ins Traumland? Klasse Idee, Finn! Wie denn?“
„Mit dem Daumenkarussell! Und du sollst mein Sicherungsseil sein!“ erklärte Finn seinen Plan.
Fritz war sofort begeistert. „Au ja! Abenteuer! Ich binde mich an deinem Bauch fest, und wenn du fällst, zieh ich dich zurück! Oder wir fliegen zusammen!“
Sie warteten, bis Oma Heidi es sich im Sessel bequem machte, um einen kleinen Riss in ihrer Schürze zu flicken.
Das Nähkästchen stand direkt neben ihr auf dem Tischchen.
Oma Heidis Augen wurden langsam schwerer. Ihr Kopf nickte leicht. Gähnend hielt sie die Nadel in der einen Hand, während der Daumen der anderen Hand auf der Garnrolle ruhte.
„Jetzt!“, flüsterte Paula aufgeregt.
Faden Fritz knotete sich geschickt um Finns Mitte.
Oma Heidis Daumen zuckte. Langsam, ganz langsam begann er, sich um die eigene Achse zu drehen, den Faden dabei abwickelnd.
Das Daumenkarussell!
„Spring!“, zischte Paula.
Finn holte tief Luft, schloss kurz die Augen und sprang mit einem mutigen Satz auf Oma Heidis Daumen.
Uiii! Es drehte sich!
Erst langsam, dann immer schneller.
Faden Fritz flatterte hinter ihm her wie ein Fähnchen im Wind.
„Halt dich fest!“, rief Fritz, aber seine Stimme wurde vom Wind des Karussells verschluckt.
Die Farben im Nähkästchen verschwammen zu bunten Streifen. Knopf Kasimir wurde zu einem verschwommenen Punkt.
Finn wurde schwindelig, aber es war ein aufregender Schwindel.
Plötzlich sah er funkelnde Lichter, hörte sanfte Musik, die wie Glöckchen klang.
Das Karussell wurde langsamer, und Finn spürte, wie er sanft durch die Luft schwebte.
Er landete weich. Unglaublich weich.
Er blickte sich um.
Er saß auf einer Wolke, die aussah und roch wie rosa Zuckerwatte!
Unter ihm floss ein Fluss, der nach Himbeerbrause duftete und leise blubberte.
Am Himmel schwebten Sterne, die kicherten, wenn man sie ansah.
„Wow“, hauchte Finn. „Knopf Kasimir hatte recht. Das ist das Traumland!“
Faden Fritz landete neben ihm. „Wahnsinn! Besser als jede Garnrolle!“
Sie rutschten kichernd die Zuckerwattenwolke hinunter und landeten auf einer Wiese aus Marshmallow-Pilzen, die bei jedem Schritt lustig wippten.
Sie probierten einen Schluck aus dem Himbeerbrause-Fluss (er kitzelte herrlich in Finns Fingerhut-Nase) und sahen zu, wie bunte Traumfische aus Seifenblasen vorbeischwammen.
Plötzlich tapste ein kleines, flauschiges Schaf auf sie zu. Es war ganz weiß und seine Wolle glitzerte wie Sternenstaub.
„Mäh! Seid ihr neu hier?“, blökte es freundlich.
„Ich bin Finn, und das ist Faden Fritz“, stellte Finn sich vor. „Wir sind mit dem Daumenkarussell gekommen.“
„Ah, das Daumenkarussell! Ein lustiger Weg“, meinte das Traumschaf. „Ich bin Wölkchen. Wollt ihr auf meinem Rücken eine Runde über die Schlummerwiesen fliegen?“
Na klar wollten sie!
Sie kletterten auf Wölkchens weichen Rücken und flogen über schlafende Gärten und murmelnde Bäche.
Es war der schönste Ausflug, den Finn je gemacht hatte.
Aber langsam spürte Finn ein Ziehen. Faden Fritz wurde unruhig.
„Ich glaube, Oma Heidi wacht bald auf“, sagte Fritz.
„Oh“, machte Finn. „Wie kommen wir zurück?“
Wölkchen landete sanft. „Denkt ganz fest an euer Zuhause, an das Nähkästchen und Oma Heidis Daumen. Und wünscht euch zurück. Euer Freund, der Faden, wird euch den Weg zeigen.“
Finn schloss die Augen. Er dachte an Knopf Kasimir, an die piekige Paula, an den Geruch von Garn und Omas Lavendelkissen.
„Ich will zurück“, wünschte er sich ganz fest.
Faden Fritz spannte sich sanft und zog ihn nach oben.
Er winkte Wölkchen zum Abschied. Die Zuckerwattenwolken und der Himbeerfluss wurden kleiner.
Mit einem sanften Plopp landete Finn wieder im Nähkästchen, direkt neben Knopf Kasimir.
Faden Fritz löste schnell den Knoten.
Paula kam angerauscht. „Ihr seid wieder da! Oma hat sich gerade geräuspert!“
In diesem Moment seufzte Oma Heidi leise und legte das Nähzeug weg.
Finn war müde, aber überglücklich.
„Es war wundervoll!“, flüsterte er Kasimir und Paula zu. „Zuckerwattenwolken! Kichernde Sterne! Ein Traumschaf!“
Knopf Kasimir lächelte weise. „Ich wusste, dass du es schaffst, kleiner Abenteurer.“
Finn kuschelte sich in seine Fingerhut-Ecke.
Er war zwar wieder im alten Nähkästchen, aber er wusste jetzt, dass die unglaublichsten Reisen manchmal nur einen Daumensprung entfernt sind.
Und während er einschlief, träumte er schon vom nächsten Mal, wenn er mit dem Daumenkarussell ins Land der süßen Träume reisen würde.