
Flora Fluse, ein neugieriges Staubwesen, versucht mit einem lustigen Tanz, dem kleinen Leo beim Einschlafen zu helfen. Eine Gute-Nacht-Geschichte.
Tief unter Leos Bett, in einem Reich aus sanften Wollmäusen und vergessenen Schätzen, lebte Flora Fluse.
Flora war kein gewöhnliches Staubkorn. Oh nein! Sie war eine besonders feine, fast schon elegante Fluse mit einem wachen Geist und einem Herz voller Neugier.
Ihr Zuhause war ein gemütliches Eckchen hinter einem dicken Bettpfosten, wo sich der Staub besonders weich anfühlte.
Hier kannte sie jeden Krümel, jeden verirrten Legostein und den Knopf, der vor Wochen von Leos Lieblingspyjama abgefallen war.
An diesem Abend war es anders als sonst.
Normalerweise hörte Flora um diese Zeit nur das leise, gleichmäßige Atmen von Leo, dem Jungen, der im großen Bett über ihr schlief.
Aber heute? Heute war Unruhe.
Ein Seufzen drang durch die Matratze, gefolgt von einem Rascheln der Decke. Hin und her wälzte sich der Junge.
Flora spitzte ihre nicht vorhandenen Ohren. Was war los da oben?
Die feinen Vibrationen des Bodens kitzelten ihre staubigen Fühler.
„Er kann nicht schlafen“, flüsterte Flora in die dämmrige Stille unter dem Bett.
Ein mürrisches Brummen antwortete ihr aus einer dunkleren Ecke.
„Na und? Soll er doch Schäfchen zählen und uns hier unten in Ruhe lassen“, grummelte Sockebert.
Sockebert war eine alte, graue Socke, die schon seit Äonen unter dem Bett lebte und meistens schlechte Laune hatte. Wahrscheinlich, weil sie ihren Partner vermisste.
„Aber Sockebert, vielleicht braucht er Hilfe!“, piepste Knöpfchen.
Knöpfchen war der glänzende Knopf von Leos Pyjama, immer optimistisch und voller Mitgefühl.
Flora Fluse tippelte näher an den Rand ihres Reiches, dorthin, wo das schwache Licht aus dem Flur unter der Tür hindurchschimmerte.
Sie konnte Leos Beine sehen, wie sie unruhig unter der Decke zappelten.
„Warum kann er nicht schlafen?“, fragte sich Flora laut.
„Vielleicht hat er zu viel Limo getrunken“, brummte Sockebert.
„Oder er hat Angst vor Monstern“, flüsterte Knöpfchen ängstlich und rollte ein Stückchen näher an Flora heran.
Flora dachte nach. Monster? Hier unter dem Bett gab es nur sie, Sockebert, Knöpfchen und ein paar vergessene Spielzeugautos. Keine Monster weit und breit.
Sie erinnerte sich, wie Leos Mama manchmal leise sang oder summte, wenn Leo nicht einschlafen konnte.
Eine Melodie, so sanft wie Spinnweben im Morgentau.
„Ich hab’s!“, rief Flora plötzlich, so laut eine Fluse eben rufen kann.
„Wir helfen ihm! Wir tanzen den Staubkorn-Schlaftanz!“
Sockebert schnaubte verächtlich. „Staubkorn-Schlaftanz? Was für ein Unsinn.“
Aber Knöpfchen glänzte vor Aufregung. „Oh ja! Das klingt wundervoll! Wie geht der?“
Flora richtete sich stolz auf. „Das ist ganz einfach. Wir wirbeln ganz sanft und leise. Wie fallende Blätter im Herbst. Das macht müde und beruhigt.“
Sie tippelte los und sammelte ein paar kleinere, willige Staubflöckchen um sich.
„Passt auf“, instruierte Flora. „Keine hektischen Bewegungen. Alles ganz sacht und schwebend.“
Und dann begannen sie.
Flora Fluse an der Spitze, schwebte sie in eleganten Bögen durch die Dämmerung unter dem Bett.
Die kleinen Flöckchen folgten ihr, mal im Kreis, mal in sanften Wellen.
Sie wirbelten winzige Glitzerpartikel auf, die von einem verlorenen Bastelprojekt stammten und nun wie winzige Sterne funkelten.
Ein leises, kaum hörbares Summen erfüllte die Luft – oder vielleicht war es nur das Geräusch der tanzenden Flusen.
Sockebert beobachtete das Schauspiel mit gerunzelter Stirn (wenn Socken Stirnen hätten). „Lächerlich“, murmelte er, aber er schaute trotzdem hin.
Knöpfchen rollte begeistert hin und her und versuchte, im Takt zu wippen.
Flora tanzte mit Hingabe. Sie stellte sich vor, wie ihre sanften Bewegungen eine Welle der Ruhe nach oben schickten, durch die Matratze hindurch, direkt zu Leo.
Sie schwebte an einem Spinnenfaden vorbei, der wie eine vergessene Lichterkette im Halbdunkel hing.
Sie tanzte um einen Bauklotz herum, der aussah wie eine kleine Burg.
Langsam, ganz langsam, wurden die Bewegungen da oben im Bett ruhiger.
Das unruhige Zappeln hörte auf.
Das Seufzen wurde zu einem tiefen, gleichmäßigen Atmen.
Flora hielt inne und spähte vorsichtig über die Teppichkante.
Leo lag still da, die Augen geschlossen, ein friedlicher Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Seht ihr?“, flüsterte Flora stolz zu ihren Mittänzern. „Es hat funktioniert! Unser Staubkorn-Schlaftanz hat ihn in den Schlaf gewirbelt!“
Die kleinen Flöckchen summten zustimmend.
„Zufall“, brummte Sockebert, aber er klang nicht mehr ganz so überzeugt.
„Es war Magie!“, piepste Knöpfchen glücklich.
Flora Fluse fühlte sich wunderbar. Es war ein gutes Gefühl, geholfen zu haben, auch wenn der Junge da oben nie erfahren würde, wer ihm den Schlaf gebracht hatte.
Langsam zogen sich die Staubtänzer in ihre Ecken zurück.
Der Tanz hatte auch sie ein wenig müde gemacht.
Flora kuschelte sich in ihre weiche Staubecke hinter dem Bettpfosten.
Die Stille unter dem Bett war nun tief und friedlich, nur unterbrochen vom gleichmäßigen Atmen des schlafenden Jungen.
Flora schloss ihre nicht vorhandenen Augen.
Sie träumte vom Tanzen, von schwebenden Flocken und glitzernden Sternenstaub.
Und tief in ihrem staubigen Herzen wusste sie: Manchmal sind es die kleinsten und leisesten Dinge, die die größte Wirkung haben.
Und wer weiß, vielleicht würde sie morgen Abend wieder tanzen müssen. Der Staubkorn-Schlaftanz war schließlich ihre Spezialität.