
Leo kann nicht schlafen, bis seine Haarbürste Henriette ihm auf lustige Weise hilft, seine Sorgen und Knoten im Kopf glatt zu kämmen.
Leo konnte einfach nicht einschlafen.
Er lag in seinem Bett, die Decke bis zum Kinn gezogen, und starrte an die Decke.
Draußen war es dunkel, nur der Mond warf einen blassen Streifen Licht durch das Fenster.
Normalerweise liebte Leo sein Bett. Es war weich und gemütlich, wie eine Wolke aus Kuscheltieren.
Aber heute Nacht fühlte es sich eher an wie ein Kaktusfeld.
Überall piekste und zwickte es in seinen Gedanken.
Da war die Sache mit dem morgigen Mathetest. Zahlen tanzten wie verrückte Flöhe vor seinen Augen.
Und dann war da noch Finn aus dem Kindergarten, der heute beim Spielen sein schönstes rotes Feuerwehrauto weggenommen hatte.
Einfach so!
Und Mama hatte gesagt, er solle nicht so viele Gummibärchen essen, sonst würde er Bauchweh bekommen.
Jetzt hatte er zwar keine Gummibärchen gegessen, aber sein Bauch grummelte trotzdem komisch.
War das jetzt Sorgen-Bauchweh?
Leo seufzte tief. Ein Seufzer, so groß, dass er fast die Bettdecke weggepustet hätte.
Plötzlich raschelte es auf seinem Nachttisch.
Leo blinzelte. Was war das?
Seine alte Haarbürste, Henriette, wackelte hin und her.
Sie hatte einen Griff aus Holz und viele, viele Borsten, die in alle Richtungen standen, weil Leo seine Haare immer nur schnell durchwuschelte.
„Na, so ein Geseufze habe ich ja seit der großen Windpocken-Krise nicht mehr gehört“, sagte plötzlich eine Stimme.
Sie klang ein bisschen kratzig, wie eine alte Schallplatte, aber auch irgendwie freundlich.
Leo setzte sich kerzengerade im Bett auf.
„Wer… wer spricht da?“ flüsterte er.
Die Haarbürste kippelte auf ihrem Griff.
„Ich natürlich! Henriette Haarbürste, Expertin für verworrene Angelegenheiten aller Art. Und deine Sorgen klingen heute besonders verknotet, mein Junge.“
Leo rieb sich die Augen. Eine sprechende Haarbürste? Hatte er vielleicht doch heimlich ein Gummibärchen zu viel erwischt?
„Du… du kannst sprechen?“
„Natürlich kann ich sprechen“, schnarrte Henriette. „Ich höre den ganzen Tag zu. Den Gesprächen beim Frühstück, den Geschichten am Abend. Und ich sehe, wie du manchmal die Stirn runzelst. Heute Nacht scheinen die Runzeln ja Autobahnen zu sein!“
Leo musste kichern. Das klang lustig.
„Ich kann nicht schlafen“, gestand er. „Die Sorgen sind wie Kletten in meinem Kopf.“
Henriette hüpfte vom Nachttisch und landete mit einem leisen „Plock“ auf Leos Bettdecke.
„Kletten, sagst du? Verknotet und zäh? Das ist mein Spezialgebiet! Gib mal her deinen Wuschelkopf.“
Leo zögerte. Sollte er sich von einer Haarbürste die Sorgen auskämmen lassen?
Aber Henriette sah ihn mit ihren nicht vorhandenen Augen so erwartungsvoll an.
Vorsichtig beugte er seinen Kopf vor.
„Also gut“, sagte Henriette geschäftig. „Fangen wir mit dem dicken Knoten an. Der Mathetest, richtig?“
Sie setzte ihre Borsten an Leos Haaransatz an und zog sanft durch seine Strähnen.
„Puh, der sitzt fest“, murmelte sie. „Wie eine vergessene Kaugummi-Blase. Also, dieser Test…“
Mit einem Ruck zog sie durch einen besonders widerspenstigen Teil seiner Haare.
„Aua!“, sagte Leo.
„Nicht ‚Aua‘“, korrigierte Henriette. „Das war der ‚Ich-hab-doch-geübt‘-Knoten. Siehst du? Der ist schon viel lockerer. Du hast doch gestern mit Papa die Aufgaben gemacht, oder?“
Leo nickte. „Ja, schon…“
„Na also!“ Henriette kämmte weiter. „Und die Zahlen tanzen? Lass sie doch tanzen! Vielleicht tanzen sie ja einen lustigen Rechen-Samba direkt zur richtigen Lösung!“
Mit einem letzten Schwung fuhr sie durch Leos Haare.
„So, der Mathe-Knoten ist jetzt nur noch ein kleines Zöpfchen. Kann man fast ignorieren.“
Leo fühlte an seinem Kopf. Es kitzelte ein bisschen. Aber die Angst vor dem Test fühlte sich tatsächlich… kleiner an. Weniger wie ein riesiger Knoten, mehr wie ein kleiner Fussel.
„Und jetzt das Feuerwehrauto“, sagte Henriette und setzte erneut an.
„Dieser Finn… Hmmm… ein typischer ‚Meins-Deins-Verwicklungsknoten‘. Kenn ich.“
Sie kämmte langsam und bedächtig.
„Vielleicht wollte Finn das Auto nur mal kurz bewundern? Weil es so schön rot ist?“
Leo überlegte. Finn hatte das Auto tatsächlich ganz fasziniert angesehen.
„Oder vielleicht“, fuhr Henriette fort und entwirrte eine Strähne hinter Leos Ohr, „hatte er heute einen doofen Tag und brauchte etwas Rotes und Schnelles zum Trösten?“
Plötzlich zog Henriette etwas aus Leos Haaren. Es sah aus wie ein winziges, graues Wollknäuel aus.
„Ah, da haben wir ihn! Den ‚Wegnehm-Ärger‘-Fussel. Pusten wir ihn weg!“
Henriette pustete kräftig (obwohl sie keinen Mund hatte, es klang eher wie ein leises Rauschen) und das graue Knäuel schwebte davon und löste sich in Luft auf.
„Morgen fragst du Finn einfach ganz freundlich, ob du dein Auto wiederhaben kannst“, riet Henriette. „Vielleicht könnt ihr ja sogar zusammen damit spielen?“
Das klang gar nicht so schlecht. Der Ärger auf Finn war fast weggekämmt.
„Und das Bauchweh?“ fragte Leo leise.
Henriette schnupperte mit ihren Borsten an seiner Stirn.
„Kein Gummibärchen-Alarm. Das ist eindeutig ein ‚Sorgen-Grummel‘-Knoten. Ziemlich aufgeplustert.“
Sie begann, ganz sanft über Leos Schläfen zu streichen.
Ihre Borsten fühlten sich überraschend weich an.
„Weißt du“, summte Henriette leise, „manchmal grummelt der Bauch, wenn der Kopf zu viel denkt. Er sagt dann: ‚Hey, Kopf! Mach mal Pause! Denk an was Schönes!‘“
Sie kämmte und kämmte, ganz ruhig und gleichmäßig.
„Denk mal an… an Schaukeln! Ganz hoch fliegen, bis die Füße kitzeln.“
Leo schloss die Augen. Er konnte fast den Wind spüren.
„Oder an Pfannkuchen mit Apfelmus. Warm und süß.“
Leos Bauch machte ein leises Glucksen. Kein Grummeln mehr.
„Oder an meine wunderbar glättenden Borsten“, fügte Henriette mit einem Hauch von Stolz hinzu.
Leo musste wieder lächeln.
Henriette zog ein letztes Mal durch seine Haare.
„So“, verkündete sie zufrieden. „Alle Knoten raus. Glatt wie ein Ententeich am Morgen. Keine Kletten mehr, nur noch weiche Traum-Wolle.“
Leo fühlte sich tatsächlich viel leichter. Die Sorgen waren nicht komplett verschwunden, aber sie waren nicht mehr riesig und bedrohlich.
Sie waren klein geworden, wie Murmeln in seiner Hosentasche.
Man wusste, dass sie da waren, aber sie drückten nicht mehr.
„Danke, Henriette“, murmelte Leo schläfrig.
„Gern geschehen“, schnarrte die Haarbürste. „Dafür sind gute Haarbürsten ja da. Nicht nur für die Haare, auch für den Kopf dahinter. Aber jetzt: Augen zu! Sonst kämme ich dir die Müdigkeit direkt in die Wimpern!“
Leo kicherte leise.
Er kuschelte sich tief in seine Decke, die sich jetzt wieder wie eine weiche Wolke anfühlte.
Henriette Haarbürste lag still auf der Decke neben ihm.
Leo lauschte dem leisen Ticken der Uhr und dem sanften Rauschen des Windes draußen.
Die Zahlen tanzten nicht mehr, sie schliefen wahrscheinlich auch schon.
Das Feuerwehrauto parkte friedlich in seiner Vorstellung.
Und sein Bauch war ganz ruhig.
Bevor er ganz einschlief, dachte Leo noch: Eine sprechende Haarbürste, die Sorgen wegkämmt… Das war wirklich die beste Erfindung seit… seit Pfannkuchen mit Apfelmus.
Und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er tief und fest ein, bewacht von der kratzig-freundlichen Henriette Haarbürste.