
Der kleine Kaktus Kalle wünscht sich sehnlichst eine Umarmung, doch seine Stacheln stehen im Weg. Eine humorvolle Suche nach Nähe beginnt.
Tief in einer Wüste, wo die Sonne den Sand küsste und die Luft vor Hitze flimmerte, lebte ein kleiner Kaktus namens Kalle.
Kalle war kein gewöhnlicher Kaktus. Sicher, er hatte Stacheln, viele sogar, piksig und spitz, wie es sich für einen ordentlichen Kaktus gehört.
Aber tief in seinem grünen Kaktusherzen trug Kalle einen ungewöhnlichen Wunsch: Er sehnte sich nach einer Umarmung.
Nicht irgendeiner Umarmung, nein, einer richtig weichen, kuscheligen Umarmung, so wie er sie manchmal bei anderen Wüstenbewohnern beobachtete.
Da waren die Wüstenmäuse, die sich eng aneinander kuschelten, wenn der kühle Nachtwind wehte.
Oder die Familie Erdmännchen, die sich beim Sonnenuntergang liebevoll knuddelte.
Sogar die Geier, die hoch oben kreisten, sah Kalle manchmal, wie sie ihre Köpfe sanft aneinander rieben. Es sah zumindest aus der Ferne sehr zärtlich aus.
„Hach“, seufzte Kalle dann leise, was bei einem Kaktus eher wie ein leichtes Rascheln seiner Stacheln klang. „So eine Umarmung, das wär’s!“
Aber wer umarmt schon freiwillig einen Kaktus?
Seine Stacheln waren sein Stolz und sein Schutz, aber eben auch ein ziemliches Hindernis für Zärtlichkeiten.
Eines Morgens, als die Sonne gerade begann, den Horizont orange zu färben, fasste Kalle einen Entschluss.
„Heute!“, sagte er zu sich selbst. „Heute finde ich jemanden, der mich umarmt!“
Sein erster Plan war clever, dachte er zumindest.
Er rollte sich vorsichtig zu einer Stelle, an der nach einem seltenen Regen eine kleine Schlammpfütze übriggeblieben war.
„Wenn ich meine Stacheln mit Schlamm bedecke“, überlegte er, „dann sind sie vielleicht nicht mehr so piksig!“
Mühsam versuchte er, sich im Schlamm zu wälzen. Das Ergebnis war… nun ja, klebrig.
Er war über und über mit Matsch bedeckt, und einige seiner Stacheln pieksten trotzdem noch durch.
Außerdem fühlte es sich ziemlich unangenehm an, als der Schlamm in der Sonne trocknete und hart wurde.
Ein vorbeihüpfender Wüstenhase namens Willi blieb kurz stehen, rümpfte die Nase und hoppelte kichernd weiter. „Kalle, du siehst aus wie ein Matschkloß mit Spießen!“
Kalle seufzte. Plan A war gescheitert.
Sein zweiter Plan war mutiger: Einfach fragen!
Er entdeckte Sissi, die Schlange, wie sie sich auf einem warmen Stein sonnte.
„Entschuldige, Sissi?“, fragte Kalle schüchtern. „Hättest du vielleicht Lust, mich kurz zu umarmen? Nur ganz sanft?“
Sissi öffnete ein Auge, zischte leise und schlängelte sich davon. „Umarmen? Dich? Bist du verrückt? Deine Stacheln ruinieren mir ja meine schöne glatte Haut! Zzzzz…“
Kalle ließ traurig seine Kaktusarme hängen. Nicht mal fragen half.
Plan C: Vielleicht konnte er eine Umarmung gegen etwas Schönes tauschen?
Gerade blühte an seiner Spitze eine wunderschöne, leuchtend rote Blüte. Sie war sein ganzer Stolz.
Er sah Eckbert, die alte, grummelige Eidechse, die auf einem Felsen döste.
„Hallo Eckbert!“, rief Kalle. „Schau mal meine tolle Blüte! Wenn du mich umarmst, darfst du den ganzen Tag daran schnuppern!“
Eckbert blinzelte. „Schnuppern? An einer Blume? Pah! Lass mich schlafen, Kaktus. Und komm mir nicht zu nahe mit deinen Nadeln.“
Nun war Kalle wirklich entmutigt.
Er zog sich an seinen Lieblingsplatz zurück, einen kleinen Felsen, von dem aus man weit über die Wüste blicken konnte.
Er fühlte sich so stachelig und allein.
War er dazu verdammt, niemals eine Umarmung zu bekommen?
Eine kleine Kaktusträne, die eher wie ein winziger Tropfen Wasser aussah, kullerte langsam an ihm herunter.
Plötzlich hörte er ein rumpelndes Geräusch.
Ein seltsames, rundes Ding rollte auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen.
Es klappte sich auf und zum Vorschein kam ein freundliches Gesicht mit kleinen Knopfaugen.
Es war Gustav Gürteltier.
Gustav war bekannt dafür, sich bei Gefahr oder einfach zum Spaß blitzschnell zu einer gepanzerten Kugel zusammenzurollen.
„Hallo Kalle!“, sagte Gustav fröhlich. „Warum schaust du denn so traurig drein? Ist dein Schatten zu kurz geraten?“
Kalle schniefte leise. „Nein, Gustav. Ich wünsche mir so sehr eine Umarmung, aber niemand will mich umarmen, weil ich so stachelig bin.“
Gustav Gürteltier schaute Kalle nachdenklich an. Er tippte sich mit einer Kralle an den Kopf.
„Eine Umarmung… mit Stacheln… Hmm…“
Gustav ging um Kalle herum. Betrachtete ihn von allen Seiten.
Dann schien ihm eine Idee zu kommen.
„Pass auf, Kalle“, sagte Gustav. „Eine normale Umarmung mit Armen geht bei dir schlecht, das stimmt. Aber ich bin ja nicht normal, ich bin ein Gürteltier!“
Gustav rollte sich wieder zu seiner festen Kugel zusammen.
Und dann, ganz vorsichtig, rollte er gegen Kalles Seite.
Nicht fest, nicht stoßend, sondern mit einem sanften, aber bestimmten Druck.
Kalle zuckte erst zusammen, doch dann spürte er es.
Es war keine weiche, flauschige Umarmung.
Es war eine feste, stabile, beruhigende Präsenz.
Gustavs harter Panzer drückte gegen seine Seite, und es fühlte sich… gut an!
Es fühlte sich an wie eine Umarmung, eine Gürteltier-Kaktus-Umarumg!
„Oh!“, machte Kalle überrascht. „Das… das ist ja toll!“
Gustav rollte ein kleines Stück zurück und klappte sich wieder auf.
„Siehst du?“, grinste er. „Eine Roll-Umarmung! Geht doch!“
Kalle war überglücklich. Seine Stacheln kribbelten vor Freude.
„Danke, Gustav! Das ist die beste Umarmung, die ich je hatte!“
Von diesem Tag an waren Kalle Kaktus und Gustav Gürteltier die besten Freunde.
Oft saßen sie zusammen am Felsen. Kalle erzählte Geschichten von den Wolken, und Gustav erzählte vom Rollen.
Und immer wieder, wenn Kalle sich nach Nähe sehnte, rollte Gustav sich zusammen und schenkte ihm eine feste, freundschaftliche Roll-Umarmung.
Kalle lernte, dass Freundschaft und Zuneigung viele Formen haben können – manchmal sogar eine runde, gepanzerte.
Und er wusste nun: Auch wenn man außen stachelig ist, kann man im Herzen ganz weich sein und Freunde finden, die einen verstehen.
Mit diesem warmen Gefühl schlief Kalle an diesem Abend besonders gut ein, während der Mond über der stillen Wüste wachte.