
Die neugierige Kakerlake Klara folgt nachts einer mysteriösen Krümelspur durch die Küche und entdeckt einen vergessenen Schatz. Ein humorvolles Abenteuer.
Tief versteckt hinter dem großen Küchenschrank, wo die Wand ein bisschen bröckelte und es immer angenehm muffig roch, wachte Klara Kakerlake auf.
Es war mitten in der Nacht. Die beste Zeit!
Die Riesen – die Menschen, wie sie sich nannten – schliefen tief und fest in ihren Betten. Kein Stampfen, kein lautes Reden, keine Gefahr, unter einer plötzlichen Schuhsohle zu landen.
Nur das leise Brummen des großen, kalten Kastens (Klara nannte ihn den „Eisriesen“) erfüllte die Stille.
Klaras Magen knurrte leise. Ein winziges, aber bestimmtes Knurren.
„Zeit für ein Abenteuer“, flüsterte sie ihren Fühlern zu und reckte alle sechs Beinchen.
Sie krabbelte vorsichtig aus ihrem gemütlichen Spalt hervor und spähte in die riesige Welt der Küche.
Die Fliesen auf dem Boden glänzten im fahlen Mondlicht, das durch das Fenster fiel. Sie sahen aus wie ein endloses Schachbrett für Giganten.
Normalerweise kannte Klara ihre Wege. Ein kleiner Zickzackkurs zum Brotkasten, ein kurzer Abstecher unter den Tisch, vielleicht ein waghalsiger Sprint zur Obstschale.
Aber heute Abend war etwas anders.
Direkt vor ihrem Versteck begann eine Spur. Nicht nur ein paar mickrige Krümel, wie sonst.
Nein, das hier war eine richtige Krümel-Autobahn! Dicke, goldbraune Brocken, die verführerisch nach Zucker und Butter rochen.
„Huch!“, machte Klara. Ihre Fühler zitterten vor Aufregung.
Wo führte diese Spur nur hin? Das musste sie herausfinden!
Mutig setzte sie ein Beinchen vor das andere und folgte der verlockenden Fährte.
Der erste Krümel war fast so groß wie ihr Kopf. Ein Festmahl! Aber Klara war zu neugierig. Sie knabberte nur ein winziges Stückchen ab und lief weiter.
Der Weg führte sie quer über das kalte Fliesen-Schachbrett.
Plötzlich – zisch! – sauste etwas Langes, Silbriges an ihr vorbei.
„Pass doch auf!“, rief Klara erschrocken.
Das silberne Etwas bremste abrupt und drehte sich um. Es war Sigi Silberfischchen, bekannt für seine Hektik.
„Klara! Was machst du denn hier draußen auf freier Fläche? Hast du keine Angst vor dem Schattenmonster?“, zischte Sigi und seine Fühler zuckten nervös.
Das Schattenmonster war Sigis Name für die Katze der Riesen. Klara hatte sie noch nie ganz gesehen, nur manchmal einen riesigen, felligen Schwanz oder eine gigantische Pfote.
„Keine Zeit für Angst, Sigi! Schau mal!“, sagte Klara und zeigte mit einem Fühler auf die Krümelspur.
Sigi beäugte die Krümel misstrauisch. „Komisch. Hab ich noch nie gesehen. Führt bestimmt in eine Falle! Ich bleibe lieber auf meinen sicheren Glitzerpfaden.“
Damit meinte Sigi die feuchten Stellen unter den Rohren, wo er sich am wohlsten fühlte.
„Ich muss aber wissen, wo das hingeht!“, sagte Klara entschlossen.
Sigi zuckte mit seinen vielen Beinchen. „Na, dann viel Glück, du mutige Kakerlake! Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“
Und zisch, war er wieder verschwunden.
Klara schluckte kurz. Das Schattenmonster… daran wollte sie lieber nicht denken.
Sie folgte der Krümelspur weiter, die nun unter einen der riesigen Stuhltürme führte.
Es war dunkel hier unten. Ein bisschen unheimlich.
Plötzlich blieb sie an etwas Klebigem hängen. Igitt! Wahrscheinlich verschütteter Saft von den kleinen Riesen.
Mit einiger Mühe zog sie ihre Beinchen wieder frei und putzte sie sorgfältig.
Als sie weiterkrabbeln wollte, bemerkte sie in einer Ecke ein feines, silbrig schimmerndes Gebilde.
Und darin saß jemand.
Es war Agathe, die alte, weise Spinne. Sie saß ganz ruhig in ihrem Netz und schien auf etwas zu warten.
„Guten Abend, Agathe“, piepste Klara höflich.
Agathe bewegte langsam eines ihrer langen Beine. „Guten Abend, kleine Klara. Was führt dich denn in diese dunkle Ecke des Reiches?“
Ihre Stimme klang leise und knisternd, wie trockenes Laub.
„Ich folge einer Spur“, erklärte Klara und zeigte auf die Krümel, die auch hier lagen. „Hast du vielleicht gesehen, wo sie hinführt?“
Agathe schien zu lächeln, soweit man das bei einer Spinne erkennen konnte.
„Spuren sind interessant“, sagte sie geheimnisvoll. „Manchmal führen sie zu dem, was man sucht. Und manchmal findet man etwas ganz anderes.“
Klara wurde daraus nicht ganz schlau.
„Aber… wohin führt sie denn nun?“, fragte sie nochmal.
Agathe machte eine kaum merkliche Bewegung mit ihrem Kopf in Richtung des großen, brummenden Eisriesen.
„Die größten Schätze“, flüsterte sie, „verstecken sich oft dort, wo es dunkel ist und wo die Riesen nie hinschauen. Unter dem Bauch des Eisriesen, zum Beispiel.“
Unter dem Eisriesen? Da war Klara noch nie gewesen! Das klang gefährlich und aufregend zugleich.
„Danke, Agathe!“, rief Klara und machte sich schnell wieder auf den Weg.
Die Krümelspur führte tatsächlich direkt auf den großen, kalten Kasten zu.
Je näher sie kam, desto lauter wurde das Brummen. Und es war… staubig hier.
Klara musste niesen. Ein winziges „Hatschi!“, das in der Stille der Küche fast laut klang.
Sie schlüpfte unter den Eisriesen. Es war eng und dunkel hier. Spinnweben hingen wie alte Gardinen von der Unterseite des Kastens.
Und da! Am Ende des dunklen Ganges, direkt an der Wand, sah sie es.
Die Krümelspur endete an einem seltsamen, bunten Ding mit vier runden Füßen. Es sah aus wie ein winziges Gefährt der Riesen, nur viel kleiner.
Und dieses Ding… war bis obenhin gefüllt mit den herrlichsten, duftendsten Krümeln, die Klara je gesehen hatte!
Es war ein vergessenes Spielzeugauto, in das wohl mal ein ganzer Keks gefallen und zerbröselt war.
Ein wahrer Schatz!
„Juhu!“, flüsterte Klara überglücklich.
Sie kletterte vorsichtig in das Auto und nahm einen riesigen Bissen von einem Krümel.
Es schmeckte himmlisch! Süß, buttrig, knusprig.
Das war der beste Fund ihres Lebens!
Sie futterte und futterte, bis ihr kleiner Kakerlakenbauch ganz rund und zufrieden war.
Eine kleine Ameise kam zufällig vorbei und staunte nicht schlecht über Klaras Schatzkammer.
Klara, nun satt und glücklich, schob ihr großzügig einen kleinen Krümel hin.
Teilen macht Freude, das wusste sie.
Erschöpft, aber sehr zufrieden, kuschelte sich Klara direkt neben das Krümelauto.
Das Brummen des Eisriesen war wie ein Schlaflied.
Sie hatte die geheimnisvolle Spur verfolgt, war mutig gewesen und hatte einen unglaublichen Schatz gefunden.
Was für eine aufregende Nacht!
Mit einem Lächeln auf ihrem kleinen Kakerlakengesicht schlief Klara Kakerlake ein, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen durch das Küchenfenster fielen.