Oskars Ohren fangen Sternenstaub

Oskars Ohren fangen Sternenstaub

Der kleine Dachs Oskar findet dank seiner riesigen Ohren funkelnden Sternenstaub und lernt, seine Besonderheit zu schätzen. Eine magische Nacht.

Oskar war ein kleiner Dachs mit einem großen Problem. Oder besser gesagt, mit zwei großen Problemen. Sie saßen links und rechts an seinem Kopf und hießen Ohren.

Sie waren nicht einfach nur Ohren. Nein, Oskars Ohren waren riesig. Flauschig, ja, das auch. Aber vor allem: riesig.

Wenn er durch den Wald lief, was Dachse nun mal so tun, blieben seine Ohren ständig irgendwo hängen. An niedrigen Ästen, an Dornenbüschen, manchmal sogar am Schwanz von Benni, dem Eichhörnchen, wenn der mal wieder zu schnell um die Ecke bog.

„Pass doch auf mit deinen Segeln!“, quietschte Benni dann oft, bevor er kichernd den nächsten Baum hochflitzte.

Oskar seufzte dann meistens nur. Segel. So nannten sie seine Ohren. Oder manchmal auch Lauschlappen XXL. Oder einfach nur „die Dinger“.

Es war nicht leicht, ein Dachs mit Ohren zu sein, die aussahen, als hätte er sie sich von einem Elefanten ausgeliehen. Vor allem beim Versteckspielen war er eine Niete. Sein Kopf war vielleicht hinter dem Busch, aber die Ohrenspitzen ragten immer hervor wie zwei pelzige Warnflaggen.

An diesem Abend war es besonders schlimm. Oskar wollte nur gemütlich eine Runde durch sein Revier drehen, die Sterne beobachten und vielleicht die eine oder andere saftige Wurzel ausgraben.

Doch kaum hatte er seinen Bau verlassen, Flapp!, blieb sein linkes Ohr an einem Farnwedel hängen. Er zog, zerrte, drehte sich – Ratsch! – endlich war er frei, aber der Farn sah ziemlich zerzaust aus.

Ein paar Schritte weiter, Wusch!, fegte sein rechtes Ohr eine ganze Reihe Tautropfen von einem Grashalm direkt in sein Gesicht. „Brrr!“, schüttelte sich Oskar. Nass und kalt.

Er setzte sich auf einen moosigen Stein und blickte grummelig zum Himmel. Der Mond hing rund und käsig zwischen den Baumwipfeln, und unzählige Sterne funkelten wie Diamanten auf schwarzem Samt.

„Wenigstens ihr habt keine Probleme“, murmelte Oskar zu den Sternen. „Ihr schwebt einfach da oben und habt keine riesigen Ohren, die euch im Weg sind.“

Er legte den Kopf schief und lauschte. Das tat er oft. Mit seinen großen Ohren konnte er nämlich fantastisch hören. Er hörte das Rascheln einer Maus im Laub, das leise Knacken eines Zweiges unter dem Huf eines Rehs und sogar das Gähnen von Hubert, der Eule, in seiner Baumhöhle.

Plötzlich spürte Oskar ein seltsames Kitzeln. Tief in seinem rechten Ohr. Es war kein Käfer und auch keine Mücke. Es fühlte sich… funkelnd an.

Er rüttelte vorsichtig am Kopf. Das Kitzeln blieb. Er versuchte, mit seiner Pfote hineinzukommen, aber seine Dachspfoten waren viel zu plump für so eine feine Angelegenheit.

„Was ist denn das?“, brummte er und schüttelte den Kopf heftiger.

Da rieselte etwas heraus. Etwas Glitzerndes, Schimmerndes fiel auf den moosigen Stein vor ihm. Es war wie feiner Sand, aber es leuchtete sanft im Mondlicht. Golden, silbern und ein bisschen bläulich.

Oskar blinzelte. Er stupste den glitzernden Haufen vorsichtig mit der Nase an. Es roch nach… nichts. Aber es fühlte sich warm an. Und irgendwie… magisch.

„Hallo? Oskar? Alles in Ordnung?“ Eine piepsige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Frieda, die Feldmaus, stand vor ihm und knabberte an einem Grashalm.

„Frieda! Schau mal!“, rief Oskar aufgeregt. „Ich hatte das im Ohr!“

Frieda trippelte näher und beäugte den schimmernden Staub. Ihre kleinen Knopfaugen wurden groß. „Was ist das denn? Sieht aus wie… Glitzerpuder für Feen?“

Oskar schüttelte den Kopf. „Nein, Feenstaub ist doch rosa, oder? Das hier ist anders. Es hat gekitzelt.“

„Vielleicht hast du beim Laufen Staub aufgewirbelt?“, überlegte Frieda.

„Normaler Staub glitzert nicht so“, meinte Oskar. „Und er fällt auch nicht vom Himmel direkt in mein Ohr.“

Sie saßen eine Weile da und starrten auf den geheimnisvollen Glitzer. Ein kleines bisschen davon landete auf Friedas Schnurrhaarspitze und brachte sie zum Leuchten.

„Huch!“, machte Frieda und wischte es schnell weg. „Es ist ein bisschen warm.“

Oskar nahm vorsichtig eine winzige Prise zwischen seine Krallen. Es funkelte und schimmerte. Er hielt es hoch ins Mondlicht.

„Es sieht aus wie…“, begann Oskar langsam, „…wie zerbröselte Sterne.“

Frieda schnupperte. „Sternenstaub? Meinst du wirklich?“

„Warum nicht?“, sagte Oskar. „Ich hab doch vorhin noch mit den Sternen geredet. Vielleicht hat mir einer zugehört und ein bisschen was runterfallen lassen?“

Frieda kicherte. „Direkt in dein Ohr? Das wäre ja typisch für dich und deine Riesenlauscher!“

Oskar musste auch grinsen. „Vielleicht sind sie ja doch für etwas gut?“

Er schaute wieder zu dem glitzernden Haufen. „Was machen wir jetzt damit?“

„Aufheben!“, piepste Frieda. „Vielleicht bringt es Glück? Oder man kann damit Wünsche erfüllen?“

Oskar überlegte. „Wünsche erfüllen? Ich wünsche mir, dass meine Ohren nicht mehr überall hängenbleiben!“ Er schloss die Augen ganz fest. Nichts passierte. Seine Ohren fühlten sich genauso groß an wie immer.

„Schade“, sagte er enttäuscht.

„Vielleicht funktioniert es anders“, meinte Frieda. „Lass uns Igor fragen. Der ist alt und weiß viel.“

Igor war ein Igel, der meistens schlief, aber wenn er wach war, wusste er erstaunlich viele Dinge.

Sie fanden Igor unter einem Laubhaufen schnarchend. Oskar stupste ihn sanft mit der Nase an.

„Mmmph… fünf Minuten noch…“, murmelte Igor.

„Igor, wach auf! Wir haben was gefunden!“, drängelte Frieda.

Igor blinzelte verschlafen. „Was gibt’s denn Wichtiges? Ist der Winter schon da?“

Oskar hielt ihm vorsichtig den glitzernden Staub unter die Nase.

Igor schnupperte. Seine Stacheln stellten sich ein wenig auf. „Potzblitz! Wo habt ihr das denn her?“

„Aus meinem Ohr!“, erklärte Oskar stolz.

„Aus deinem Ohr?“, wiederholte Igor ungläubig. „Nun, das ist… ungewöhnlich. Das ist Sternenstaub, junger Dachs. Ganz klar. Wahrscheinlich von einer Sternschnuppe.

„Wow!“, machten Oskar und Frieda gleichzeitig.

„Ist er gefährlich?“, fragte Frieda besorgt.

„Nein, nein“, beruhigte Igor sie. „Er ist nur… besonders. Er bringt die Dinge ein bisschen zum Leuchten. Und manchmal, ganz manchmal, lässt er kleine Wunder geschehen. Aber nichts Großes. Nur so kleine, feine Sachen.“

„Kleine Wunder?“, fragte Oskar neugierig.

„Ja“, gähnte Igor. „Eine Blume, die im Dunkeln singt. Ein Tautropfen, der nach Honig schmeckt. Solche Dinge eben. Nichts, was die Welt verändert, aber den Tag ein bisschen schöner macht.“ Er kuschelte sich wieder in sein Laub. „Und jetzt lasst mich weiterschlafen.“

Oskar und Frieda schauten sich an. Sternenstaub! Aus Oskars Ohr! Gefangen von seinen riesigen Lauschlappen!

Oskar sammelte den Staub vorsichtig in einem großen Ahornblatt auf. Es war nicht viel, nur eine kleine Prise Magie.

„Was machen wir damit?“, flüsterte Frieda.

Oskar dachte nach. Er schaute zu seinen großen Ohren, die im Mondlicht silbern schimmerten. Sie waren immer noch riesig. Aber vielleicht war das gar nicht so schlimm.

„Ich glaube“, sagte Oskar leise, „wir behalten ihn. Als Erinnerung daran, dass auch große Ohren manchmal Glück bringen können.“

Er nahm eine winzige Prise Sternenstaub und pustete sie sanft auf eine kleine Waldbeere, die an einem Strauch hing. Die Beere begann sofort, sanft zu leuchten, wie ein winziges rotes Lämpchen.

„Oh, wie schön!“, piepste Frieda begeistert.

Oskar lächelte. Er fühlte sich auf einmal gar nicht mehr so grummelig wegen seiner Ohren. Sie waren vielleicht manchmal unpraktisch, aber sie hatten ihm heute Sternenstaub gebracht.

Er faltete das Ahornblatt sorgfältig zusammen und trug es vorsichtig zu seinem Bau.

Frieda hüpfte neben ihm her. „Du bist jetzt ein Sternenfänger-Dachs, Oskar!“

Oskar brummte zufrieden. Das klang gut. Sternenfänger-Dachs.

Als er später in seinem gemütlichen Bau lag, das Ahornblatt mit dem Sternenstaub sicher verstaut, lauschte er noch einmal in die Nacht hinaus. Er hörte das Zirpen der Grillen, das Rauschen der Blätter und ganz weit entfernt vielleicht sogar das Flüstern der Sterne.

Seine Ohren fühlten sich immer noch riesig an. Aber jetzt wusste er: Manchmal fangen die größten Ohren die schönsten Geheimnisse.

Und mit einem leisen Schimmern in seinem rechten Ohr schlief der kleine Sternenfänger-Dachs Oskar zufrieden ein. Gute Nacht.