
Ein kleines Mädchen entdeckt einen mysteriösen, wandernden Punkt auf ihrem Pyjama und erlebt ein fantasievolles Abenteuer in ihrem Zimmer.
Pippa gähnte herzhaft. Ein langer Tag voller Sandburgenbauen und Seifenblasenjagen ging zu Ende.
Mama hatte ihr schon die Zähne geputzt und die Haare gekämmt, die immer in alle Richtungen abstanden, egal wie oft man sie bürstete.
Jetzt war es Zeit für den gemütlichsten Teil des Abends: den Schlafanzug anziehen!
Pippa liebte ihren Schlafanzug. Er war kuschelweich, leuchtend rot und hatte viele, viele schwarze Punkte. Genau wie ein echter Marienkäfer.
Sie schlüpfte hinein und fühlte sich sofort wie ein kleiner Glückskäfer, bereit für süße Träume.
Sie betrachtete sich im großen Spiegel an der Schranktür. Ja, sehr marienkäferig.
Sie drehte sich nach links, nach rechts. Alle Punkte waren da, wo sie hingehörten.
Auf den Armen, auf dem Bauch, auf den Beinen.
Doch halt mal! Was war das?
Direkt auf ihrem linken Knie saß ein Punkt, der irgendwie… anders war.
Er war kleiner als die anderen Punkte. Und er schien ein kleines bisschen zu glänzen.
Pippa runzelte die Stirn. War der gestern Abend auch schon da?
Sie konnte sich nicht erinnern.
Sie beugte sich näher heran, die Nasenspitze fast am Stoff.
„Komischer Punkt“, murmelte sie und versuchte, ihn mit dem Finger wegzureiben.
Aber der Punkt rührte sich nicht von der Stelle. Seltsam.
Sie versuchte es nochmal, diesmal kratzte sie ein wenig mit dem Fingernagel.
Und da passierte es!
Der Punkt zuckte!
Nicht nur ein bisschen, er machte einen richtigen kleinen Wackler, als hätte er sich erschrocken.
Pippa sprang einen Schritt zurück. „Huch!“ rief sie leise.
Ein zuckender Pyjama-Punkt? Das hatte sie ja noch nie erlebt.
Sie ging wieder ganz nah ran, die Augen zu Schlitzen verengt.
Sie stupste ihn ganz vorsichtig mit der Fingerspitze an.
Hui! Blitzschnell machte der Punkt einen winzigen Satz und landete – plopp – auf ihrer Bettdecke.
Pippa klappte der Mund auf. „Du… du kannst ja hüpfen!“, flüsterte sie erstaunt.
Der Punkt lag für einen Moment still auf der Blümchen-Bettdecke, als müsste er Luft holen.
Dann rollte er blitzschnell los, wie eine winzige schwarze Murmel, und verschwand hinter Pippas Lieblingskissen, das aussah wie ein schläfriger Mond.
„Na warte!“, kicherte Pippa. Das war ja spannender als Fangen spielen im Kindergarten!
Sie schlich auf Zehenspitzen zum Kissen.
„Ich hab dich gleich, du kleiner Ausreißer!“, flüsterte sie.
Sie lugte vorsichtig hinter das Mond-Kissen. Nichts.
Sie hob das Kissen hoch. Auch nichts.
Nur Bettdecke.
„Hm“, machte Pippa. „Wo hast du dich versteckt?“
Plötzlich spürte sie ein winziges Kitzeln an ihrem Ohrläppchen.
Sie zuckte zusammen und musste kichern.
Da saß er! Der kleine Punkt! Direkt an ihrem Ohr und wackelte frech hin und her.
„Du bist ja ein Frechdachs!“, sagte Pippa und versuchte, ihn ganz vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger zu schnappen.
Aber zisch, war er schon wieder weg.
Diesmal landete er mit einem leisen Klack auf dem Schirm ihrer Nachttischlampe.
Langsam, wie ein winziger Bergsteiger, krabbelte der Punkt den Lampenschirm hinauf.
Pippa beobachtete ihn mit großen Augen. Das Licht der Lampe ließ ihn geheimnisvoll funkeln.
War er vielleicht ein verlorener Glitzerstein von Mamas Bastelkleber? Oder ein Körnchen schwarzen Sandes vom Spielplatz?
Oder vielleicht… vielleicht war er ja doch ein echter Mini-Käfer?
Gerade als der Punkt den Gipfel des Lampenschirms erreicht hatte, rutschte er aus!
Er purzelte hinunter und landete mit einem weichen Pock direkt auf Pippas Nasenspitze.
„Iiiih!“, prustete Pippa und wedelte mit den Händen vor ihrem Gesicht.
Der Punkt kullerte von ihrer Nase auf das aufgeschlagene Buch, das auf ihrem Nachttisch lag.
Es war das Buch über den mutigen Ritter Rost.
Der Punkt rollte langsam über die Buchstaben, als würde er versuchen, die Geschichte zu lesen.
„Kannst du etwa lesen?“, fragte Pippa verblüfft und rückte näher.
Der Punkt machte einen winzigen Purzelbaum auf dem Wort „Drache“.
Pippa musste kichern. „Ein lesender Purzelbaum-Punkt! Das ist ja lustig! Ich nenne dich… Fünkchen! Weil du so schön funkelst.“
Fünkchen rollte auf dem Buch hin und her. Das sah aus wie ein zustimmendes Nicken.
„Okay, Fünkchen“, sagte Pippa. „Was hast du als Nächstes vor? Noch eine Klettertour?“
Aber Fünkchen rollte vom Buch herunter, direkt auf den dicken, flauschigen Teppich neben dem Bett.
Und schwups, war er zwischen den langen, weichen Teppichfasern verschwunden.
„Oh nein!“, rief Pippa. „Nicht im Teppich-Dschungel! Da finde ich dich ja nie wieder!“
Sie kniete sich auf den Boden und fuhr mit beiden Händen suchend durch den Teppich.
„Fünkchen? Wo bist du, kleiner Punkt? Komm wieder raus!“
Es war hoffnungslos. Der Teppich war wie ein riesiger Wald für so einen winzigen Punkt.
Pippa seufzte tief. Fünkchen war weg.
Sie setzte sich aufs Bett und betrachtete traurig ihr linkes Knie auf dem Pyjama.
Der Platz, wo Fünkchen gesessen hatte, war jetzt leer. Es sah irgendwie unvollständig aus.
Da klopfte es leise an der Tür und Mama steckte den Kopf herein.
„Na, mein kleiner Marienkäfer? Immer noch nicht im Traumland? Du bist ja noch ganz aufgeregt.“
„Mama!“, rief Pippa. „Mein Pyjama-Punkt ist abgehauen! Ein echter, hüpfender Punkt!“
Mama kam herein und setzte sich zu Pippa aufs Bett. Sie lächelte.
„Ein hüpfender Pyjama-Punkt? Erzähl mal.“
Pippa erzählte alles: vom Zucken, vom Hüpfen auf die Decke, vom Klettern auf die Lampe, vom Purzelbaum auf dem Buch und wie sie ihn Fünkchen genannt hatte.
„…und jetzt ist er im Teppich-Dschungel verschwunden!“, endete sie mit einem traurigen Schniefen.
Mama hörte aufmerksam zu und strich Pippa über die Haare.
„Das klingt ja nach einem richtigen Abenteuer mit diesem Fünkchen“, sagte sie sanft.
„Aber weißt du, manchmal, wenn man schon ganz müde ist, spielen einem die Augen lustige Streiche. Vielleicht war Fünkchen ja nur ein winzig kleiner Schlafsand-Glitzer, der im Lampenlicht gefunkelt hat?“
Pippa dachte nach. Schlafsand-Glitzer?
„Aber er ist gehüpft! Und geklettert!“, beharrte sie.
„Das glaube ich dir“, sagte Mama. „Aber schau mal hier.“ Sie zeigte auf die Stelle an Pippas Knie.
„Siehst du diesen winzigen, schwarzen Faden, der sich hier gelöst hat? Er ist ganz klein und kringelt sich ein bisschen. Vielleicht hat der nur so gewackelt, als du dich bewegt hast, und es sah aus wie ein hüpfender Punkt?“
Pippa schaute ganz genau hin. Tatsächlich. Ein winziger, dunkler Faden.
Sie stupste ihn an. Er wackelte ein bisschen hin und her.
„Vielleicht…“, murmelte Pippa. Das war nicht ganz so aufregend wie ein echtes Fünkchen, aber es erklärte das Wackeln.
„Oder aber“, flüsterte Mama und zwinkerte Pippa verschwörerisch zu, „vielleicht hat sich Fünkchen nur für die Nacht im Teppich-Dschungel versteckt, um sich auszuruhen? Und morgen früh kommt er wieder raus und ist bereit für neue Abenteuer?“
Pippas Augen wurden groß. Diese Idee gefiel ihr viel besser!
„Meinst du wirklich?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Ganz bestimmt“, sagte Mama und deckte Pippa richtig zu. „Aber jetzt müssen alle Abenteurer schlafen gehen, auch die Marienkäfer und die Fünkchen.“
Sie gab Pippa einen dicken Kuss auf die Stirn, machte das große Licht aus und ließ nur das kleine Nachtlicht an, das Sterne an die Decke warf.
Pippa kuschelte sich tief in ihre Decke.
Sie schaute auf den kleinen Faden an ihrem Knie. Dann wanderte ihr Blick zum flauschigen Teppich.
War Fünkchen da unten? Ein winzig kleiner, funkelnder Punkt, der sich zwischen den Fasern zusammengerollt hatte und schlief?
Sie lächelte in die Dunkelheit. Es war ein schönes Geheimnis.
Ob Faden oder Fünkchen – es war ein aufregender Abend gewesen.
Mit einem letzten, tiefen Gähnen schloss Pippa die Augen.
Sie war ganz müde von der Jagd nach dem wandernden Punkt.
Und während sie langsam in den Schlaf glitt, träumte sie von winzigen, lustigen Punkten, die auf Grashalmen tanzten, Purzelbäume auf ihrer Nase schlugen und leise kicherten.
„Gute Nacht, Fünkchen“, murmelte sie noch im Halbschlaf. „Bis morgen.“