
Professor Pusteblume entdeckt flüsternde Samen. Mit Hilfe von Wichtel Willi lernt er, ihren Wünschen zu lauschen und pflanzt magische Blumen.
Professor Alwin Pusteblume war kein gewöhnlicher Professor.
Er trug keine staubigen Anzüge oder dicke Brillen.
Nein, Professor Pusteblume trug meistens eine Latzhose mit vielen Taschen voller Erde, einen breitkrempigen Strohhut und jeden Tag eine andere Blume im Knopfloch.
Sein Labor war kein steriler Raum mit Reagenzgläsern, sondern ein überbordendes Gewächshaus hinter seinem kleinen, windschiefen Häuschen.
Hier duftete es nach feuchter Erde, süßen Blüten und Abenteuer.
Professor Pusteblume liebte Pflanzen mehr als alles andere auf der Welt.
Er sprach mit seinen Tomaten (sie wurden dadurch angeblich röter), summte seinen Sonnenblumen Lieder vor (sie reckten sich dann besonders hoch) und untersuchte jedes noch so kleine Samenkorn unter seinem riesigen Vergrößerungsglas.
Eines Tages brachte ihm der Postbote ein seltsames Päckchen.
Es kam aus einem fernen Land, von dem der Professor noch nie gehört hatte, und es war nur mit „Für den Pflanzenflüsterer“ beschriftet.
Neugierig öffnete Professor Pusteblume das Päckchen.
Darin lagen, eingebettet in weiches Moos, eine Handvoll Samen.
Aber was für Samen das waren!
Sie waren nicht braun oder schwarz, sondern schimmerten in allen Farben des Regenbogens, mal bläulich, mal grünlich, mal golden.
Und sie fühlten sich seltsam warm an in seiner Hand.
„Faszinierend!“, murmelte der Professor und hielt einen der Samen gegen das Licht.
Genau in diesem Moment wehte ein sanfter Windhauch durch das offene Fenster des Gewächshauses.
Und der Professor hätte schwören können, dass er ein leises Geräusch hörte.
Ein Wispern? Ein Kichern?
Er hielt sich den Samen ans Ohr.
Stille.
„Hm,“ machte der Professor. „Bild ich mir das nur ein?“
Er legte die Samen vorsichtig in eine kleine Schale auf seinem Arbeitstisch.
Immer wieder, wenn der Wind durchs Gewächshaus strich, glaubte er, dieses feine, wispernde Geräusch zu hören.
Es klang wie winzige Stimmen, die durcheinanderplapperten.
„Ich muss herausfinden, was diese Samen zu sagen haben!“, beschloss Professor Pusteblume.
Zuerst versuchte er es mit einem Hörrohr, das er geschickt aus einem großen Rhabarberblatt gerollt hatte.
Er hielt es an die Schale. Nichts.
Dann holte er das alte Stethoskop seines Großvaters, das dieser früher benutzt hatte, um das Herz von Kälbchen abzuhören.
Er legte es vorsichtig auf die Samen.
Er hörte nur sein eigenes aufgeregtes Herz pochen.
„Vielleicht verstehen sie ja Musik?“, überlegte er.
Er holte seine Ukulele und spielte den Samen ein fröhliches Lied vor.
Die Samen schimmerten ein wenig heller, aber sie schwiegen.
Er versuchte es mit ernster Miene: „Werte Samen, ich bitte höflich um eine klare Aussage!“
Stille.
Er versuchte es mit Bestechung: „Wer mir sein Geheimnis verrät, bekommt den sonnigsten Platz im ganzen Gewächshaus!“
Wieder nichts. Nur dieses leise, geheimnisvolle Wispern im Wind.
Professor Pusteblume seufzte und ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
„Ich bin wohl doch kein echter Pflanzenflüsterer.“
Er bemerkte nicht die winzige Gestalt, die hinter einem großen Blumentopf hervorgelugt hatte und ihn nun mit großen Augen beobachtete.
Es war Willi Wichtel, ein kleiner Gartenzwerg mit einem moosgrünen Hut und einem Bart, der fast bis zu seinen Füßen reichte.
Willi wohnte schon seit Ewigkeiten im Garten des Professors und fand dessen seltsame Experimente meistens sehr unterhaltsam.
Willi tippelte näher heran.
„Pssst! Herr Professor!“
Professor Pusteblume schreckte hoch. „Wer spricht da?“
Er schaute sich um, sah aber niemanden.
„Hier unten!“, piepste Willi und winkte mit seiner winzigen Hand.
Der Professor beugte sich hinunter und entdeckte den kleinen Wichtel.
„Ein Gartenzwerg? Aber… du kannst sprechen?“
Willi Wichtel kicherte. „Natürlich kann ich sprechen! Ich höre dir doch schon die ganze Zeit zu, wie du versuchst, mit den Samen zu reden.“
„Du hast das Wispern auch gehört?“, fragte der Professor aufgeregt.
„Aber ja!“, sagte Willi. „Das ist doch ganz klar. Die Samen erzählen, wo sie gerne wachsen möchten.“
Professor Pusteblume staunte. „Sie erzählen… Wünsche? Kannst du sie verstehen?“
Willi nickte stolz. „Wir Wichtel verstehen die Sprache der Pflanzen und Samen. Halt mal dein Ohr ganz nah ran, wenn der Wind weht, und ich übersetze für dich.“
Gesagt, getan. Der Professor beugte sich tief über die Schale, während Willi Wichtel daneben stand, die Augen schloss und lauschte.
Ein Windhauch. Ein leises Wispern.
„Dieser hier,“ sagte Willi und zeigte auf einen bläulich schimmernden Samen, „möchte gerne neben dem plätschernden Brunnen im Garten wachsen. Er liebt das Geräusch von Wasser.“
Ein weiterer Windhauch.
„Und der goldene da drüben,“ fuhr Willi fort, „wünscht sich einen Platz ganz nah bei Herrn Kater Kasimirs Lieblingsschlafplatz unter der alten Eiche. Er findet Kasimirs Schnarchen so beruhigend.“
Professor Pusteblume musste lachen. „Neben Kasimir? Der mag doch gar keine Blumen!“
„Tja,“ sagte Willi, „die Samen haben eben ihre eigenen Vorstellungen.“
Ein dritter Samen wisperte seinen Wunsch.
„Und der Grüne möchte auf dem Dach des Gewächshauses gepflanzt werden. Er will die Sterne sehen.“
Professor Pusteblume war begeistert. „Das ist ja wundervoll! Komm, Willi, wir erfüllen ihnen ihre Wünsche!“
Gemeinsam machten sich der große Professor und der kleine Wichtel an die Arbeit.
Sie pflanzten den blauen Samen vorsichtig neben den plätschernden Brunnen.
Sie schlichen sich zur alten Eiche und setzten den goldenen Samen ganz nah an Kasimirs Schlafmulde, während der Kater schnarchend von Mäusen träumte.
Und mit einer abenteuerlichen Kletterpartie gelang es dem Professor sogar, den grünen Samen in eine kleine Moosritze auf dem Gewächshausdach zu betten.
Die restlichen Samen hatten ebenfalls spezielle Wünsche – einer wollte neben die duftenden Rosen, ein anderer in den Schatten des Apfelbaums.
Professor Pusteblume und Willi Wichtel erfüllten jeden einzelnen Wunsch.
In den nächsten Tagen beobachteten sie gespannt, was passieren würde.
Und tatsächlich! Überall dort, wo sie die Samen gepflanzt hatten, sprossen bald zarte Pflänzchen empor.
Und diese Pflanzen waren genauso besonders wie die Samen.
Neben dem Brunnen wuchs eine Blume, deren Blüten wie kleine, glitzernde Wassertropfen aussahen und leise plätscherten.
Unter der Eiche, direkt neben dem schlafenden Kasimir, entfaltete sich eine Blume mit weichen, goldenen Blättern, die im Wind leise schnarchähnliche Geräusche machte. Kasimir schien es nicht zu stören, er schnarchte einfach mit.
Auf dem Dach des Gewächshauses erblühte eine Pflanze mit dunkelgrünen Blättern und Blüten, die nachts wie kleine Sterne leuchteten.
Auch die anderen Samen entwickelten sich zu prächtigen, ungewöhnlichen Blumen, die den Garten in ein magisches Farbenmeer verwandelten.
Professor Pusteblume war überglücklich.
Er saß oft mit Willi Wichtel im Garten, lauschte dem Plätschern der Wasserblume, dem Schnarchen der Kasimir-Blume und beobachtete die Sternenblume auf dem Dach.
„Du hattest recht, Willi,“ sagte der Professor eines Abends. „Manchmal muss man nur ganz leise sein und genau hinhören, um die wunderbarsten Geheimnisse zu entdecken.“
Willi Wichtel nickte zufrieden. „Die Natur hat viele Stimmen, Herr Professor. Man muss nur lernen, ihnen zuzuhören.“
Von diesem Tag an war Professor Pusteblume nicht nur ein Pflanzenliebhaber, sondern auch ein echter Pflanzenflüsterer.
Er wusste nun, dass die größten Wunder oft im Kleinsten verborgen liegen und dass man manchmal nur ein offenes Ohr – und vielleicht einen kleinen, sprechenden Gartenzwerg – braucht, um sie zu verstehen.
Und wenn der Wind durch seinen Garten weht, kann man manchmal immer noch ein leises Wispern hören, wie von kleinen Samen, die von ihren Träumen erzählen.
Und Professor Pusteblume lächelt dann, denn er weiß jetzt, wie man ihnen zuhört.