
Der kleine Regenwurm Richard friert nachts beim Sterne gucken. Seine Freunde helfen ihm, einen kuscheligen Pyjama zu basteln. Eine warme Geschichte.
Richard war kein gewöhnlicher Regenwurm.
Natürlich, er liebte es, sich durch die kühle, feuchte Erde zu schlängeln, Tunnel zu graben und dabei zu helfen, den Gartenboden schön locker zu halten. Das tun alle Regenwürmer gerne.
Aber Richard hatte ein Geheimnis, eine Leidenschaft, die seine Regenwurm-Kollegen nicht ganz verstanden.
Er liebte die Nacht.
Nicht tief unten in der Erde, wo es immer dunkel und gleichmäßig temperiert war.
Nein, Richard liebte es, sich kurz unter die Oberfläche zu wagen, seinen Kopf vorsichtig aus der Erde zu strecken und in den riesigen Nachthimmel zu blicken.
Er staunte über den Mond, der mal rund und voll wie ein Käselaib war, mal nur eine schmale Sichel wie ein Lächeln am Himmel.
Und die Sterne! Oh, die Sterne waren sein Allerliebstes.
Für Richard sahen sie aus wie winzige, glitzernde Kieselsteine, die jemand hoch oben verstreut hatte.
Er fragte sich oft, wie sie dorthin gekommen waren und ob man sie vielleicht einsammeln könnte.
Das Problem war nur: Wenn Richard so dalag und die Sterne beobachtete, wurde ihm kalt.
Sehr kalt sogar.
Die Nachtluft konnte manchmal richtig frisch sein, besonders wenn ein kleiner Wind durch die Grashalme wehte.
Richard bekam dann eine Gänsehaut – na ja, so etwas Ähnliches wie eine Gänsehaut, nur eben bei einem Regenwurm. Er fing an zu bibbern und zu zittern, von der Nasenspitze bis zum Schwanzende.
Seine Freunde, Karl der Käfer und Mathilda die Maus, machten sich Sorgen.
„Richard, was machst du denn hier oben?“, brummte Karl eines Abends, als er Richard wieder einmal zitternd unter einem Löwenzahnblatt fand.
„Du holst dir noch den Regenwurm-Schnupfen! Komm lieber mit uns tief in die Erde, da ist es muckelig warm.“
Mathilda nickte eifrig. „Ja, Richard! Tief unten ist es viel gemütlicher. Hier oben ist es unheimlich und… kalt! Brrr!“
Richard seufzte. „Aber ihr versteht das nicht! Hier oben kann man die Sterne sehen! Sie funkeln so schön. Tief unten ist es immer nur… dunkel.“
Karl krabbelte näher. „Sterne? Was sind Sterne? Sind die lecker?“
Richard kicherte. „Nein, Karl, die kann man nicht essen. Sie sind Lichter am Himmel. Ganz weit weg.“
Mathilda spitzte ihre Ohren. „Lichter? Wie meine kleine Laterne, die ich aus einem Glühwürmchen gebastelt habe?“
„Viel, viel heller! Und viel, viel mehr!“, erklärte Richard begeistert, vergaß für einen Moment das Frieren und wedelte aufgeregt mit dem Vorderteil.
Doch dann kam wieder ein kühler Lufthauch und Richard zitterte erneut.
„Siehst du?“, sagte Karl besorgt. „Du frierst ja wie Espenlaub! Oder wie ein Regenwurm im Kühlschrank!“
Da hatte Mathilda eine Idee. Ihre kleinen Knopfaugen blitzten.
„Wenn du frierst, Richard, brauchst du vielleicht etwas zum Anziehen! So wie ich meinen kleinen Schal aus Grashalmen habe, wenn der Herbstwind weht.“
Karl der Käfer rieb sich nachdenklich die Fühler. „Etwas zum Anziehen? Für einen Regenwurm? Aber was denn? Ein Mantel? Der würde ja im Dreck schleifen.“
„Eine Mütze?“, piepste Mathilda. „Aber die wärmt ja nur den Kopf!“
Richard überlegte. Etwas zum Anziehen… Das klang interessant.
„Vielleicht… vielleicht brauche ich einen Pyjama!“, rutschte es ihm heraus.
Karl und Mathilda schauten sich an. Dann prusteten sie los.
„Einen Pyjama? Für einen Regenwurm? Hahaha!“, lachte Karl so sehr, dass er fast von seinem Blatt fiel.
„Wie soll das denn gehen?“, kicherte Mathilda. „Regenwürmer haben doch keine Arme und Beine! Wo sollen denn da die Ärmel und Hosenbeine hin?“
Richard wurde ein bisschen rot, was bei Regenwürmern bedeutet, dass er etwas dunkler wurde.
„Na ja, vielleicht keinen normalen Pyjama“, murmelte er. „Vielleicht eher wie… wie ein langer Schlauch. Ein warmer Schlauch zum Reinkriechen.“
Jetzt hörten Karl und Mathilda auf zu lachen. Das klang gar nicht mehr so dumm.
„Ein warmer Schlauch…“, murmelte Karl. „Aus was könnte man den machen?“
„Aus Moos!“, rief Mathilda. „Moos ist schön weich und warm!“
„Und vielleicht ein paar Fäden von der Pusteblume? Die sind so flauschig!“, schlug Richard vor.
„Gute Idee!“, sagte Karl. „Aber wer soll das zusammennähen? Oder… äh… zusammenkleben?“
In diesem Moment seilte sich eine elegante Spinne von einem Grashalm ab. Es war Thekla, die Weberin.
Sie hatte das Gespräch mit angehört.
„Guten Abend“, sagte sie mit ihrer feinen Stimme. „Ich habe gehört, ihr braucht Hilfe beim Anfertigen eines… äh… Regenwurm-Pyjamas?“
Richard, Karl und Mathilda staunten.
„Oh, Frau Thekla! Können Sie das?“, fragte Richard hoffnungsvoll.
„Nun“, sagte Thekla und betrachtete Richard von allen Seiten. „Ich habe schon Netze gewebt, die Tau fangen und in der Sonne glitzern. Ich habe schon Hängematten für müde Marienkäfer gemacht. Ein Pyjama für einen Regenwurm sollte doch machbar sein.“
Und so machten sich die Freunde an die Arbeit.
Mathilda sammelte das weichste Moos, das sie finden konnte.
Karl zupfte vorsichtig die flauschigen weißen Fäden von Pusteblumen.
Richard stand Modell – was gar nicht so einfach war, denn er zappelte vor Aufregung und Kälte.
Und Thekla? Thekla setzte sich auf einen Stein, spuckte einen langen, feinen Faden aus und begann, mit ihren acht Beinen geschickt das Moos und die Pusteblumenflocken zu einem langen, dehnbaren Schlauch zu verweben.
Es sah sehr lustig aus, wie sie da saß und webte, ihre Beine bewegten sich wie flinke Stricknadeln.
Karl und Mathilda kicherten leise, als Thekla versuchte, Richard zu vermessen und er dabei kitzelig war und sich kringelte.
„Stillhalten, junger Mann!“, ermahnte Thekla streng, aber ihre Augen funkelten belustigt.
Es dauerte eine ganze Weile, aber schließlich war er fertig: Richards Pyjama.
Er war moosgrün mit weißen, flauschigen Pusteblumen-Punkten. Er war weich, dehnbar und sah unglaublich gemütlich aus.
„Wow!“, hauchte Richard.
„Probier ihn an!“, drängelte Mathilda.
Vorsichtig kroch Richard in seinen neuen Pyjama.
Er passte perfekt! Er schmiegte sich an seinen ganzen Körper und hielt ihn wunderbar warm.
„Oh, das ist toll!“, jubelte Richard und machte einen kleinen Freudentanz, soweit das in einem Pyjama eben ging.
„Er steht dir ausgezeichnet!“, sagte Thekla zufrieden.
„Jetzt kannst du die Sterne anschauen, ohne zu frieren!“, freute sich Karl.
In dieser Nacht streckte Richard wieder seinen Kopf aus der Erde. Er trug seinen neuen, kuscheligen Pyjama.
Der Wind wehte sanft, aber Richard fror nicht.
Er blickte zu den Sternen hinauf, die funkelten wie immer.
Er fühlte sich warm, sicher und unendlich glücklich.
Er kuschelte sich in seinen Pyjama und dachte, dass es manchmal die verrücktesten Ideen sind, die am besten helfen.
Und dass Freunde, die einem helfen, einen Regenwurm-Pyjama zu basteln, die allerbesten Freunde der Welt sind.
Mit einem Lächeln auf seinem Regenwurm-Gesicht schaute er noch eine Weile in den Himmel, bis ihm die Augen zufielen und er, warm eingepackt, unter den Sternen einschlief.
Und wenn ihr nachts ganz leise seid und in den Garten schaut, seht ihr vielleicht einen kleinen, moosgrünen Wurm mit weißen Punkten, der zufrieden zu den Sternen blinzelt.