
Warum ist Konrad Kieselstein immer so müde? Entdecke seine geheimen, nächtlichen Abenteuer als winziger Held im großen Garten-Dschungel!
Konrad Kieselstein war kein gewöhnlicher Stein.
Tagsüber lag er zwar meistens still und unauffällig auf dem Gartenweg, genau zwischen dem großen Gänseblümchen und dem moosigen Randstein.
Er sah aus wie jeder andere Kieselstein: grau, rundlich, ein bisschen glatt von Regen und Wind.
Aber Konrad hatte ein Geheimnis.
Wenn die Sonne unterging und die Menschen im Haus die Lichter anknipsten, dann wurde Konrad Kieselstein… munter!
„Gähn!“, machte Berta, die dicke Weinbergschnecke, als sie langsam an Konrad vorbeikroch. „Du siehst schon wieder so müde aus, Konrad. Hast du etwa die ganze Nacht Steine gezählt?“
Konrad blinzelte nur mit einer imaginären Wimper, die er nicht hatte. „So ähnlich, Berta, so ähnlich.“
Emil, der emsige Ameise, rannte vorbei, eine riesige Brotkrume schleppend. „Keine Zeit für Müdigkeit, Konrad! Die Krume trägt sich nicht von allein!“
Konrad seufzte leise. Wenn die wüssten!
Sobald der letzte Sonnenstrahl hinter dem Apfelbaum verschwand und der Mond wie eine silberne Scheibe am Himmel hing, spürte Konrad dieses Kribbeln.
Ein Kribbeln, das ihn zum Rollen brachte.
„So, die Luft ist rein“, murmelte er in seinen nicht vorhandenen Bart.
Mit einer kleinen, konzentrierten Bewegung kippte er zur Seite und rollte – plumps! – vom sicheren Gartenweg hinunter ins hohe Gras.
Für Konrad war das Gras kein Gras. Es war ein Dschungel!
Die Halme ragten auf wie riesige, grüne Türme. Ein Tautropfen, der an einem Blatt hing, glitzerte wie ein Diamant von der Größe eines Vogel-Eis.
„Abenteuer, ich komme!“, flüsterte Konrad und rollte los.
Sein erstes Ziel war der große Teich. Also, für die Menschen war es nur eine Pfütze, die der letzte Regen hinterlassen hatte. Für Konrad war es der Ozean.
Er rollte vorsichtig an den Rand. Das Wasser glitzerte im Mondlicht.
Plötzlich tauchte etwas auf. Glitschig und mit großen Augen.
„Quak? Wer stört meine Abendruhe?“, fragte Fridolin Frosch, der gerade aus dem Wasser lugte.
„Ich bin’s nur, Konrad Kieselstein“, sagte Konrad. „Ich wollte nur mal schauen, ob die Sterne sich heute Nacht im Wasser spiegeln.“
Fridolin quakte belustigt. „Sterne? Ach, du meinst die Glühwürmchen-Party drüben bei der Pusteblume! Die leuchten heute wieder besonders schön.“
Konrad bedankte sich und rollte weiter. Der Dschungel war voller Geräusche.
Ein Rascheln hier, ein Zirpen dort.
Er musste aufpassen. Einmal übersah er eine kleine Wurzel und machte einen ungewollten Purzelbaum.
„Hoppla!“, kicherte er, als er wieder auf seiner runden Seite landete.
Dann sah er das Leuchten. Eine ganze Familie Glühwürmchen saß auf den Blättern einer Margerite und ließ ihre kleinen Lichter an- und ausgehen.
Es sah aus wie ein funkelnder Weihnachtsbaum mitten im Sommer.
„Guten Abend“, sagte Konrad höflich.
Das älteste Glühwürmchen, Gustav, nickte ihm zu. „Abend, kleiner Roller. Wieder unterwegs?“
„Immer!“, sagte Konrad stolz. „Die Nacht ist viel zu aufregend zum Schlafen.“
Er rollte ein Stück weiter und traf auf Reginald Regenwurm, der gerade seinen Kopf aus der Erde streckte.
„Na, Konrad? Entdeckst du wieder die Welt?“, fragte Reginald weise.
„Ich versuche es“, sagte Konrad. „Sag mal, Reginald, was ist eigentlich das tiefste Geheimnis unter der Erde?“
Reginald dachte kurz nach. „Dass es dort unten ganz schön dunkel ist. Und dass die Wurzeln kitzeln, wenn sie wachsen.“
Konrad fand das sehr spannend. Er liebte es, neue Dinge zu lernen.
Sein größtes Abenteuer für diese Nacht stand ihm aber noch bevor: die Besteigung des Großen Hügels!
Für die Menschen war es nur ein kleiner Maulwurfshügel. Für Konrad war es der Mount Everest.
Der Anstieg war mühsam. Er musste sich an kleinen Erdklumpen hochdrücken und aufpassen, nicht wieder herunterzurollen.
Jeder Millimeter war ein Kampf.
„Puh… fast… geschafft…“, keuchte er, als er endlich den Gipfel erreichte.
Die Aussicht war atemberaubend!
Er konnte den ganzen Garten überblicken. Den glitzernden „Ozean“, den „Dschungel“, sogar das ferne Haus mit den schlafenden Menschen.
Der Mond schien ihm direkt ins nicht vorhandene Gesicht.
Eine Nachtfalter-Dame mit samtigen Flügeln landete elegant neben ihm.
„Ein seltener Gast hier oben“, säuselte sie. „Genießt du die Stille, kleiner Stein?“
„Oh ja“, sagte Konrad glücklich. „Von hier oben sieht alles so friedlich aus.“
Sie schwiegen eine Weile und schauten einfach nur in die Nacht.
Aber langsam spürte Konrad die Müdigkeit. Seine Abenteuer waren anstrengend.
„Ich muss zurück“, sagte er zum Nachtfalter. „Sonst wundern sich die anderen morgen wieder, warum ich so gähne.“
Der Abstieg war einfacher, aber er musste trotzdem vorsichtig sein.
Er rollte zurück durch den Gras-Dschungel, vorbei an den schlafenden Glühwürmchen, winkte Reginald Regenwurm kurz zu, der schon wieder halb in der Erde verschwunden war.
Er erreichte den Rand des Gartenwegs.
Mit letzter Kraft schob er sich wieder an seinen Platz, genau zwischen das Gänseblümchen und den moosigen Randstein.
Gerade rechtzeitig. Am Horizont wurde der Himmel schon heller.
Konrad Kieselstein schloss seine imaginären Augen.
Als die ersten Sonnenstrahlen den Garten erreichten und Berta Schnecke wieder langsam vorbeikroch, sah Konrad genauso aus wie immer.
Grau, rundlich und sehr, sehr müde.
„Na, Konrad?“, gähnte Berta. „Schon wieder so fertig? Was machst du nur immer die ganze Nacht?“
Konrad Kieselstein lächelte innerlich.
„Ach, Berta“, murmelte er schläfrig. „Ich träume nur… von großen Abenteuern.“
Und während er langsam einschlief, wusste nur er allein, dass seine Träume Wirklichkeit waren.
Und vielleicht, wenn du das nächste Mal einen müden Kieselstein siehst, hat er ja auch gerade eine aufregende Nacht hinter sich. Man kann nie wissen!