
Der neugierige Dachs Bruno hört ein geheimnisvolles Flüstern im Wald und entdeckt auf humorvolle Weise, wer da wirklich spricht. Schlaf schön!
Bruno, der kleine Dachs, hatte Ohren wie zwei besonders neugierige Pilze. Sie wackelten und zuckten bei jedem Geräusch im Wald.
An diesem Abend aber, als die Sonne wie eine müde Orange hinter den Hügeln verschwand, hörte Bruno etwas ganz Neues.
Es war kein Rascheln von Mäusen im Laub.
Es war kein Klopfen des Spechts am alten Baumstamm.
Es war… ein Flüstern.
Ein leises, geheimnisvolles Flüstern, das von hoch oben aus den Baumkronen zu kommen schien.
„Huch?“, murmelte Bruno und spitzte seine Pilzohren noch mehr. „Wer redet denn da oben?“
Er tapste aus seinem gemütlichen Bau unter der dicken Wurzel und blickte nach oben. Die Blätter der großen Eiche über ihm bewegten sich sanft im Abendwind.
„Hallo?“, rief Bruno leise. „Ist da jemand?“
Das Flüstern antwortete nicht direkt, aber es war immer noch da, wie ein kitzelndes Geheimnis in der Luft.
Plötzlich sauste etwas an ihm vorbei und kletterte blitzschnell die Eiche hinauf. Es war Fips, das Eichhörnchen, mit einem buschigen Schwanz, der aussah wie ein explodierter Pinsel.
„Fips!“, rief Bruno. „Hast du das auch gehört? Dieses Flüstern?“
Fips hielt inne und lauschte, die Nase zuckend. „Flüstern? Ach, das!“, kicherte er. „Das sind bestimmt die Eicheln, die sich Witze erzählen, bevor sie einschlafen.“
Bruno runzelte die Stirn. „Eicheln erzählen Witze?“
„Na klar!“, sagte Fips überzeugt. „Sie fragen sich, wer wohl am rundesten ist oder wer den lustigsten Hut trägt. Das machen die jeden Abend.“ Er kicherte wieder und sprang zum nächsten Ast.
Bruno war nicht überzeugt. Das Flüstern klang nicht nach Witzen. Es klang… anders. Älter. Weiser.
Er trottete weiter am Waldrand entlang, die Ohren immer nach oben gerichtet.
Da hörte er ein tiefes „Huuu-huuu“ aus einer Astgabel der alten Buche.
Professor Uhu, die weiseste Eule des Waldes, blinzelte ihm mit großen, gelben Augen entgegen.
„Guten Abend, Professor“, sagte Bruno höflich. „Entschuldigen Sie die Störung, aber hören Sie auch dieses seltsame Flüstern aus den Bäumen?“
Professor Uhu putzte bedächtig eine Feder an seinem Flügel. „Flüstern, junger Dachs?“, brummte er. „Das ist lediglich der Wind, der sich über sein Abendessen beschwert. Wahrscheinlich hat er zu viele Wolken verschluckt. Reine Luft-Verdauungsgeräusche, mein Lieber. Völlig normal.“
Bruno blinzelte. Wind mit Bauchschmerzen? Das klang auch nicht richtig.
„Aber es klingt so… als würde jemand etwas erzählen“, beharrte Bruno.
Professor Uhu gähnte herzhaft. „Unsinn. Der Wind ist nur Luft in Bewegung. Er hat nichts zu erzählen. Geh lieber schlafen, Bruno. Die Nacht ist zum Träumen da, nicht zum Lauschen auf Windgeräusche.“ Und damit schloss er wieder seine großen Augen.
Bruno seufzte. Niemand schien das Flüstern so zu hören wie er. War er vielleicht der Einzige, der es bemerkte?
Er setzte sich auf einen Mooshügel und lauschte angestrengt. Das Flüstern war immer noch da, es tanzte zwischen den Blättern, mal lauter, mal leiser.
Plötzlich wackelte der Mooshügel unter ihm ein wenig, und eine kleine, samtige Schnauze schob sich ans Licht, gefolgt von Moritz Maulwurf, der heftig blinzelte.
„Donnerwetter, Bruno!“, quiekte Moritz. „Fast hättest du meinen neuen Gang eingedrückt! Was sitzt du denn hier so spät noch herum?“
„Ich höre ein Flüstern, Moritz“, erklärte Bruno. „Aus den Bäumen. Aber niemand weiß, was es ist.“
Moritz rieb sich die winzigen Augen. „Flüstern aus den Bäumen? Tss. Das sind bestimmt die Wurzeln, die sich beschweren! Den ganzen Tag unter der Erde stecken, das ist doch langweilig! Die flüstern bestimmt davon, wie gern sie mal die Sonne sehen würden.“
Bruno schüttelte den Kopf. „Nein, es kommt von oben, aus den Blättern.“
Moritz zuckte mit den Schultern. „Oben, unten, ist doch egal. Wahrscheinlich sind es die Blätter, die Angst haben, im Herbst herunterzufallen. Ja, das wird’s sein! Zukunftsangst-Geflüster!“ Er nickte zufrieden und verschwand wieder in seinem Loch.
Bruno war nun ganz allein mit dem geheimnisvollen Geräusch. Eicheln, die Witze erzählen? Wind mit Bauchschmerzen? Wurzeln, die sich beschweren? Blätter mit Zukunftsangst?
Das klang alles sehr lustig, aber nicht richtig.
Entschlossen stand Bruno auf. „Ich finde das jetzt selbst heraus!“, murmelte er.
Er ging zur größten und ältesten Eiche zurück, deren Blätter besonders laut zu flüstern schienen.
Er war kein guter Kletterer wie Fips, aber er war ein sturer Dachs.
Mit viel Mühe und einigen Rutschern krallte er sich an der Rinde fest und zog sich langsam Ast für Ast nach oben.
Je höher er kam, desto deutlicher wurde das Flüstern. Es war kein einzelnes Wort, sondern ein sanftes Rauschen, ein Säuseln, ein Wispern vieler Stimmen gleichzeitig.
Endlich erreichte er einen dicken Ast, hoch oben im Blätterdach. Hier war er dem Himmel ganz nah.
Der Wind wehte ihm sanft durchs Fell.
Und jetzt verstand Bruno.
Es waren die Blätter selbst! Tausende und abertausende Blätter, die im Wind tanzten.
Jedes Blatt, das vom Wind bewegt wurde, raschelte und rauschte auf seine eigene Weise.
Zusammen klang es wie ein großes, sanftes Flüstern.
Der Wind spielte mit den Blättern wie ein Musiker auf einem riesigen Instrument.
Und das Flüstern? Es waren die Geschichten, die der Wind den Blättern erzählte.
Geschichten von fernen Ländern, über die er geweht war.
Geschichten von den Wolken, mit denen er getanzt hatte.
Geschichten von den Sternen, die bald am Himmel leuchten würden.
Es waren die Einschlafgeschichten des Waldes.
Bruno lauschte fasziniert. Es war viel schöner und geheimnisvoller als Witze von Eicheln oder Bauchweh vom Wind.
Der Wind strich über ein Blatt direkt neben Brunos Nase, und es raschelte besonders leise, als würde es ihm ein Geheimnis zuflüstern: „Schlaf gut, kleiner Dachs. Träum was Schönes.“
Bruno lächelte. Er fühlte sich gar nicht mehr allein.
Er kuschelte sich auf dem breiten Ast zusammen, lauschte dem Flüstern des Windes in den Blättern und spürte, wie ihm langsam die Augen zufielen.
Er wusste jetzt, wer da flüsterte.
Es war der Wind, der dem Wald und all seinen Bewohnern süße Träume wünschte.
Und während Bruno einschlief, hörte er noch ganz leise, wie der Wind ihm eine letzte Geschichte von den funkelnden Sternen ins Ohr säuselte.