
Leo kann nicht schlafen und entdeckt, dass die Fransen seines Teppichs nachts heimlich Tango tanzen. Ein witziges Abenteuer beginnt.
Leo lag in seinem Bett und starrte an die Decke.
Schlafen? Keine Chance.
Seine Augen waren kugelrund wie die Murmeln in seiner Spielzeugkiste.
Draußen war es still, nur der Wind flüsterte leise am Fenster vorbei.
Mama und Papa schliefen schon längst im Zimmer nebenan. Man hörte Papas leises Sägen, wie eine müde Holzwespe.
Leo drehte sich nach links. Dann nach rechts.
Sein Kissen fühlte sich an wie ein Berg aus Kieselsteinen.
Er seufzte. Langeweile kitzelte seine Nase.
Plötzlich hörte er etwas. Ein ganz leises Geräusch.
Ein Scharren? Ein Tippeln?
Es kam von unten, vom Boden.
Leo spitzte die Ohren.
Sein Blick wanderte zu dem großen, bunten Teppich, der vor seinem Bett lag.
Der Teppich hatte lange, weiche Fransen an den Rändern. Normalerweise lagen sie einfach nur da, faul und fransig.
Aber jetzt… bewegten sie sich?
Leo blinzelte. War das der Schatten vom Mondlicht?
Nein.
Eine einzelne Franse zuckte. Dann noch eine.
Sie richteten sich auf, ganz langsam, wie kleine Würmer, die aus dem Winterschlaf erwachen.
Leo hielt den Atem an.
Was war denn hier los?
Die Fransen wackelten hin und her, erst zögerlich, dann immer mutiger.
Sie schienen sich zu Musik zu bewegen, die nur sie hören konnten.
Eine Franse – eine besonders dicke, leicht angegraute – machte einen eleganten Schritt nach vorne.
Eine andere, eine dünne, knallrote, schwang sich mit einem kessen Hüftschwung heran.
Und dann begannen sie zu tanzen!
Nicht irgendeinen Tanz. Es war… Tango!
Leo rieb sich die Augen. Träumte er?
Aber nein, die Fransen tanzten wirklich.
Sie drehten sich, wiegten sich, machten kleine, dramatische Pausen, genau wie die Tänzer im Fernsehen, die Mama manchmal ansah.
Die angegraute Franse, die aussah, als hätte sie schon viel erlebt, führte die rote Franse mit ernster Miene.
Eine andere, eine kurze, gelbe Franse, stolperte immer wieder über ihre eigenen Fäden, rappelte sich aber lachend wieder auf.
Leo musste kichern. Das war ja verrückt!
Teppichfransen, die Tango tanzen! Wer hätte das gedacht?
Er rutschte leise an den Bettrand.
„Hallo?“, flüsterte er.
Die tanzenden Fransen erstarrten.
Alle Köpfe (oder zumindest die oberen Enden der Fäden) drehten sich zu ihm um.
Stille.
Die angegraute Franse räusperte sich. Oder zumindest klang es so.
„Wer stört unsere nächtliche Tanzprobe?“, knurrte sie mit einer Stimme, die klang wie alter Samt.
Leo war baff. Sie konnten sprechen!
„Ich… ich bin Leo. Ich konnte nicht schlafen.“
Die rote Franse kicherte. „Nicht schlafen? Perfekt! Dann brauchst du Unterhaltung!“ Sie machte eine schwungvolle Verbeugung. „Flora, zu Diensten!“
Die gelbe Franse stolperte wieder und landete fast auf ihrer nicht vorhandenen Nase. „Und ich bin Willi! Passiert mir öfter…“, murmelte sie verlegen.
Die graue Franse schnaubte. „Fritz. Und jetzt Ruhe, wir sind mitten in einer wichtigen Choreografie.“
„Aber Fritz!“, quengelte Flora. „Ein Zuschauer! Das ist doch toll! Vielleicht kann er uns sogar helfen?“
Fritz musterte Leo misstrauisch. „Helfen? Wobei denn? Kannst du Tango tanzen, Junge?“
Leo schüttelte den Kopf. „Nein, aber… es sieht lustig aus.“
Willi nickte eifrig. „Ist es auch! Nur… Fritz ist manchmal ein kleiner Knotenmuffel.“
„Knotenmuffel?“, fragte Leo.
Flora erklärte: „Manchmal verheddern wir uns beim Tanzen. Gestern hat sich Willi so verknotet, dass wir eine halbe Stunde gebraucht haben, um ihn wieder zu entwirren.“
Willi wurde rot (so rot eine gelbe Franse eben werden kann).
Fritz seufzte theatralisch. „Disziplin! Das fehlt euch! Beim Tango braucht man Haltung! Präzision!“ Er machte einen steifen Schritt zur Seite.
Leo grinste. „Vielleicht seid ihr ein bisschen zu steif, Fritz?“
Fritz schnaubte empört. „Zu steif? Ich tanze den besten Fransen-Tango diesseits des Staubsaugerbeutels!“
„Zeig mal!“, forderte Leo ihn heraus.
Fritz ließ sich nicht zweimal bitten. Er schnappte sich Flora und legte los.
Sie wirbelten über den Teppichrand, ein echtes Schauspiel. Fritz war streng, aber elegant. Flora folgte ihm lachend. Willi versuchte mitzutanzen, trat aber Fritz prompt auf den Faden.
„Aua! Du Trampelfransen!“, schimpfte Fritz.
Willi zog den Kopf ein. „Entschuldigung…“
Leo lachte leise. „Ihr seid wirklich lustig.“
„Findest du?“, fragte Flora hoffnungsvoll. „Vielleicht… magst du mitmachen?“
Leo zögerte. Mit Teppichfransen tanzen?
„Ich… ich weiß nicht.“
„Ach komm schon!“, bettelte Willi. „Nur ein bisschen wackeln!“
Fritz grummelte: „Na gut. Aber nur, wenn du den Takt hältst.“
Leo schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett. Seine nackten Füße berührten den Teppichboden neben den tanzenden Fransen.
Er wusste nicht, wie Tango ging, also wippte er einfach ein bisschen mit den Zehen.
Flora kicherte und tanzte um seine Füße herum. Willi versuchte, ihm einen Schritt beizubringen, verhedderte sich aber prompt wieder.
Fritz beobachtete alles mit kritischem Blick, aber Leo konnte sehen, dass ein kleines Lächeln um seine Fadenenden spielte.
Sie tanzten eine Weile zusammen. Leo wackelte, die Fransen wirbelten. Es war kein perfekter Tango, aber es war ein fröhliches Durcheinander.
Leo vergaß, dass er nicht schlafen konnte. Er vergaß die Kieselsteine im Kissen und Papas Sägen.
Er tanzte mit Teppichfransen.
Irgendwann wurden seine Augenlider schwer. Das Wackeln wurde langsamer.
Auch die Fransen schienen müde zu werden. Fritz gähnte (ein fransiges Gähnen). Flora lehnte sich erschöpft an Willis Seite. Willi war schon halb eingeschlafen und hing schlaff herunter.
„Die Sonne geht bald auf“, murmelte Fritz. „Zeit fürs Bett, auch für Fransen.“
Leo kletterte zurück unter seine Decke. Sie fühlte sich jetzt weich und gemütlich an.
„Danke“, flüsterte er den Fransen zu. „Das war der beste Tanz, den ich je nicht getanzt habe.“
Flora winkte ihm schlaff zu. „Gern geschehen, Leo. Schlaf gut.“
Fritz nickte nur kurz. „Und versuch, nächstes Mal den Takt zu halten.“
Leo lächelte.
Er schloss die Augen und lauschte.
Das Tippeln und Scharren war weg.
Die Fransen lagen wieder still und unbeweglich am Teppichrand.
War das alles nur ein Traum gewesen?
Vielleicht.
Aber als Leo am nächsten Morgen aufwachte und auf den Teppich blickte, sah er etwas.
Eine einzelne, kleine gelbe Franse – Willi? – lag leicht verknotet neben der grauen.
Und Leo war sich ziemlich sicher, dass Fritz ihm kurz zuzwinkerte, bevor er wieder zu einer ganz normalen, langweiligen Teppichfranse wurde.
Leo grinste. Sein kleines Geheimnis.
Wer weiß, vielleicht würden sie heute Nacht ja Walzer tanzen? Er konnte es kaum erwarten, wieder nicht schlafen zu können.