Wo schläft Papas Brille in der Nacht?

Wo schläft Papas Brille in der Nacht?

Ein kleiner Junge fragt sich, was Papas Brille nachts macht. Erfindet lustige, geheime Abenteuer für die Brille, bevor er einschläft.

Leo kuschelte sich tief in seine Decke.

Nebenan im Schlafzimmer machte Papa sich bettfertig.

Leo hörte das leise Klicken, als Papa seine Brille abnahm und auf den Nachttisch legte.

Jeden Abend das Gleiche.

Aber heute Abend dachte Leo: „Moment mal… liegt die Brille wirklich die ganze Nacht nur da?

Das kam ihm plötzlich furchtbar langweilig vor für so eine wichtige Brille, die Papa doch den ganzen Tag half, alles zu sehen.

Sie half ihm, die kleinen Buchstaben in der Zeitung zu entziffern, die lustigen Grimassen von Leo zu erkennen und den Weg zu finden, ohne über Spielzeugautos zu stolpern.

So eine Brille musste doch mehr können, als nur herumzuliegen!

Was, wenn Papas Brille nachts heimlich aufwacht?

Wenn sie, sobald Papa leise schnarchte, ganz, ganz leise vom Nachttisch hüpfte?

Plumps! Ein kleiner, gedämpfter Plumps auf den weichen Teppich.

Leo kicherte leise in sein Kissen bei dem Gedanken.

Er stellte sich vor, wie die Brille sich kurz schüttelte, um den Schlaf aus den Gläsern zu wischen.

Dann trippelte sie auf ihren kleinen, dünnen Bügel-Beinchen los.

Wohin würde sie wohl zuerst gehen?

Leo überlegte.

Vielleicht war die Brille eine kleine Leseratte? Schließlich half sie Papa ja auch beim Lesen.

Also schlich sie sich bestimmt ins Wohnzimmer.

Auf Zehenspitzen, äh, Bügelspitzen, tapste sie durch den dunklen Flur.

Sie musste aufpassen, nicht auf das knarrende Dielenbrett zu treten oder den schlafenden Kater Muffin zu wecken, der zusammengerollt auf dem Teppich lag und leise schnurrte.

Geschafft! Im Wohnzimmer war es dunkel, nur der silberne Mond schien durch das große Fenster und malte lange Schatten auf den Boden.

Die Brille spähte zum riesigen Bücherregal hinüber.

„Da oben muss es sein!“, dachte sie bestimmt.

Mit viel Mühe und Geschick kletterte sie das Regal hoch. Ein Bein, äh, Bügel nach dem anderen. Puh, das war anstrengender als es aussah!

Oben angekommen, suchte sie zwischen all den dicken Büchern nach etwas Besonderem.

Ah, da! Ein winziges, kleines Buch, nicht größer als Leos Daumennagel. Vielleicht ein Buch, das für die Wichtel oder die Mäuse geschrieben wurde, die manchmal hinter den Büchern wohnten?

Die Brille putzte sorgfältig ihre Gläser mit einem Zipfel vom Vorhang, damit sie auch die winzige Schrift lesen konnte.

Sie setzte sich auf einen dicken Geschichtswälzer, schlug das Mini-Buch auf und begann zu lesen.

Natürlich im magischen Schein des Mondlichts!

Was sie wohl las? Vielleicht spannende Abenteuer von mutigen Brillengestellen, die die Welt retteten? Oder lustige Gedichte über kurzsichtige Eulen, die ständig gegen Bäume flogen?

Und während sie las, kamen vielleicht die kleinen, flauschigen Staubmäuse, die unter dem Regal wohnten, leise hervor.

Sie setzten sich im Kreis um die Brille und lauschten mit großen Ohren.

„Pst“, flüsterte die Brille dann vielleicht, „dieses Kapitel ist besonders aufregend! Der Held muss über die gefährliche Teppichfransen-Schlucht springen!“

Die Staubmäuse nickten eifrig mit ihren staubigen Köpfen und hielten den Atem an.

Oder… vielleicht war die Brille gar keine Leseratte.

Vielleicht war sie viel abenteuerlustiger und wollte die Sterne erforschen?

Dann würde sie natürlich zum Fenster gehen!

Leo stellte sich vor, wie sie zum Vorhang tapste.

Sie kletterte den schweren Stoff hoch, immer höher und höher, wie eine kleine Bergsteigerin, bis sie ganz oben auf der glänzenden Gardinenstange saß.

Von dort oben hatte sie einen fantastischen Ausblick in den weiten, dunklen Nachthimmel, der mit tausend Sternen übersät war.

Sie benutzte ihre eigenen Gläser wie ein Super-Spezial-Teleskop.

Sie kniff die Bügel zusammen und konzentrierte sich.

„Aha!“, murmelte sie leise und beeindruckt. „Da ist ja der Große Wagen! Sieht heute aus wie Papas Suppenkelle. Und da drüben… dieser helle Stern… das ist doch bestimmt der ‚Verlorene Socken‘-Stern!“

Vielleicht benannte die Brille die Sternbilder jede Nacht neu? Nach Dingen, die Papa tagsüber gesehen oder verloren hatte?

Der „Kleine Kaffeefleck am Hemd“, die „Leuchtende Fahrradklingel vom Nachbarn“ oder das „Funkelnde Butterbrot vom Frühstück“.

Sie winkte den fernen Sternen zu und fühlte sich ganz klein und gleichzeitig riesengroß, da oben über der schlafenden Welt.

Aber was, wenn die Brille nach all dem Lesen oder Sterne gucken hungrig wurde?

Klar, dann musste sie in die Küche!

Leo grinste breit. Er sah die Brille schon vor sich, wie sie eine Abkürzung nahm und elegant das glatte Treppengeländer hinunterrutschte. Hui! Das kitzelte bestimmt an den Bügeln!

In der Küche war es kühl und still. Nur der große Kühlschrank brummte leise eine Melodie vor sich hin.

Die Brille sprang mit einem Satz auf die Arbeitsplatte.

Ihre Gläser suchten die Oberfläche ab. Wo gab es etwas Leckeres?

Oh, Glück gehabt! Da lagen ja noch ein paar winzige Krümel vom Abendessen!

Ein wahres Festmahl für eine kleine Brille!

Sie knabberte genüsslich an einem Brotkrümel. „Hmm, lecker Rosinenbrot“, murmelte sie zufrieden und wischte sich imaginäre Krümel vom Glas.

Danach hatte sie vielleicht Durst?

Vorsichtig spähte sie in die glänzende Spüle. Ein paar Wassertropfen glitzerten verlockend am Rand.

Sie tauchte einen Bügel vorsichtig hinein und schlürfte einen kühlen Tropfen. Erfrischend!

Aber bloß nicht ausrutschen und in den Abfluss fallen! Das wäre eine Katastrophe!

Nach dem Essen plauderte sie vielleicht noch kurz mit dem müden Kühlschrankmagneten, der aussah wie ein kleiner, rot-weiß gestreifter Leuchtturm.

„Na, Leuchtturm? Alles ruhig auf dem Küchenmeer?“, fragte die Brille fröhlich.

„Joa“, brummte der Magnet schläfrig. „Keine Piraten-Gurken in Sicht. Nur die Milch schläft tief und fest.“

Die Brille kicherte leise vor sich hin.

Oder… vielleicht war das alles Quatsch. Vielleicht blieb die Brille ja doch die ganze Nacht brav auf dem Nachttisch liegen.

Aber nur äußerlich!

Vielleicht reiste sie stattdessen heimlich in Papas Träume?

Sobald Papa tief und fest schlief und leise schnarchte, schwebte die Brille quasi unsichtbar über seinem Kopf und tauchte wie ein kleiner Geist in seine Traumwelt ein.

In Papas Träumen war manchmal alles etwas verschwommen und unklar.

Da kam die Brille genau richtig! Sie setzte sich Papa im Traum auf die Nase und half ihm, alles klar zu sehen.

Wenn Papa von nebligen Monstern träumte, die unheimlich aussahen, machte die Brille sie scharf – und Papa erkannte erleichtert: „Ach was, das ist ja nur der alte Wischmopp aus der Besenkammer!“

Oder wenn Papa im Traum verzweifelt seinen Haustürschlüssel suchte, leuchtete die Brille mit ihren Gläsern wie eine Taschenlampe den Weg: „Da lang, Papa! Schau mal hinter dem singenden Blumentopf nach!“

Sie war Papas geheime Traum-Assistentin, sein persönlicher Klarseher im Schlummerland!

Leo gähnte herzhaft. So viele aufregende Abenteuer für eine kleine, unscheinbare Brille.

Er stellte sich vor, wie die Brille, egal wo sie ihre nächtliche Reise hingeführt hatte – ob ins Bücherregal, zum Sternenhimmel, in die Küche oder durch Papas Träume – langsam müde wurde.

Die Bügel wurden schwer, die Gläser wollten zufallen.

Ganz leise und vorsichtig schlich sie zurück ins Schlafzimmer.

Vielleicht mit einem kleinen Staubfussel vom Wohnzimmerteppich am Bügel oder einem winzigen Zuckerkrümel vom Küchenboden am Glas.

Sie kletterte geschwind zurück auf den Nachttisch, genau an ihren angestammten Platz neben Papas Wecker.

Sie gähnte einmal herzhaft (konnten Brillen gähnen? Leo war sich sicher, das konnten sie!) und kuschelte sich auf dem kühlen Holz des Nachttisches zurecht.

Gerade noch rechtzeitig, bevor die ersten zarten Sonnenstrahlen durchs Fenster fielen und Papa sich im Bett räkelte und langsam wach wurde.

Wenn Papa dann verschlafen nach seiner Brille griff, würde er nichts von ihren nächtlichen Eskapaden bemerken.

Er würde sie aufsetzen, blinzeln und sagen: „Guten Morgen, Welt! Mal sehen, was der Tag so bringt.“

Aber Leo wusste es jetzt besser. Diese Brille war nicht nur eine Sehhilfe.

Sie war eine heimliche Lese-Expertin, eine neugierige Sternenguckerin, eine mutige Küchen-Entdeckerin und eine unentbehrliche Traum-Helferin.

Ein echter kleiner Superheld auf zwei Bügeln, der nachts, wenn alle schliefen, seine ganz eigenen Abenteuer erlebte.

Leo lächelte schläfrig und zog die Decke bis zur Nase.

Vielleicht würde er morgen früh mal ganz genau hinschauen. Ob er nicht doch einen winzigen Krümel oder ein bisschen Sternenstaub auf Papas Brille entdecken konnte?

Das wäre ein Beweis!

Aber jetzt… jetzt war es wirklich Zeit zu schlafen.

Mit einem letzten, liebevollen Gedanken an die mutige, abenteuerlustige kleine Brille schlief Leo tief und fest ein.

Und wer weiß, vielleicht traf er Papas Brille ja sogar in seinen eigenen Träumen, wie sie gerade von einem aufregenden Einsatz in Papas Traumwelt zurückkehrte?

Gute Nacht, kleine Brille. Schlaf gut und träum was Schönes!