Wohin rollt der letzte Gedanke?

Wohin rollt der letzte Gedanke?

Ein kleiner, neugieriger Gedanke rollt aus Leos Ohr und erlebt aufregende Abenteuer im nächtlichen Kinderzimmer, bevor er ins Traumland zurückfindet.

Leo kuschelte sich tief in seine Bettdecke.

Mama hatte ihm schon drei Geschichten vorgelesen, das Nachtlicht summte leise seine Melodie, und draußen war es dunkel wie in einer Tintenklecksdose.

Eigentlich war alles perfekt zum Einschlafen.

Eigentlich.

Aber in Leos Kopf war es noch gar nicht dunkel. Da war Kirmes!

Gedanken hüpften wie Flummis hin und her.

Der Gedanke an das leckere Eis heute Nachmittag.

Der Gedanke an das Fußballspiel morgen.

Der Gedanke an den wackeligen Zahn, der einfach nicht rausfallen wollte.

Und ein ganz komischer Gedanke: Warum haben Regenwürmer eigentlich keine Hosentaschen?

Leo kicherte leise in sein Kissen.

Er versuchte, die Gedanken einzufangen, wie Seifenblasen.

Plopp! Der Eis-Gedanke zerplatzte.

Plopp! Der Fußball-Gedanke rollte weg.

Nur ein winzig kleiner, funkelnder Gedanke war noch übrig. Er war ganz neu und neugierig.

Er dachte daran, wie es wohl wäre, auf dem Mond Fangen zu spielen.

Leo gähnte herzhaft.

Seine Augen wurden schwerer und schwerer.

Gerade als er ins Land der Träume hinüberdämmerte, machte der kleine, funkelnde Gedanke einen mutigen Sprung.

Er war so neugierig, dass er nicht länger in Leos Kopf bleiben wollte.

Mit einem leisen *Flipp* hüpfte er aus Leos Ohr heraus und landete federleicht auf dem Kopfkissen.

Wow!

Hier draußen war ja alles riesig!

Der kleine Gedanke, nennen wir ihn Fünkchen, sah sich um.

Er war nicht viel größer als ein Glühwürmchen, aber er leuchtete in allen Farben des Regenbogens, besonders wenn er aufgeregt war.

Und jetzt war er sehr aufgeregt!

Das Zimmer war ein Abenteuerspielplatz.

Die Schatten an der Wand sahen aus wie freundliche Riesen und lustige Ungeheuer.

Das Nachtlicht summte eine Einladung zum Tanzen.

Fünkchen rollte vom Kissen, über die Bettdecke und landete mit einem sanften *Puff* auf dem Teppich.

Der Teppich war wie ein dichter, weicher Wald.

Fünkchen kletterte über einen riesigen Bauklotz-Berg und rutschte auf der anderen Seite wieder hinunter.

Kikerikiii!

Naja, fast. Es war eher ein leises *Fiiiiiiiep*.

Plötzlich hörte Fünkchen ein seltsames Geräusch.

Ein leises Knistern und Rascheln kam aus der Ecke unter dem Schreibtisch.

Fünkchen rollte neugierig darauf zu.

Da saß ein Wollknäuel. Aber es war kein normales Wollknäuel.

Es war ein verschlafenes Staubmonster, grau und flauschig, mit zwei Knopfaugen, die müde blinzelten.

„Wer bist du denn, Kleines?“, murmelte das Staubmonster. „Bist du ein verirrtes Glühwürmchen? Oder ein Krümel von einem Zauberkeks?“

Fünkchen kicherte, was wie das Klingeln winziger Glöckchen klang.

„Ich bin Fünkchen! Ein Gedanke von Leo! Ich bin gerade ausgerollt.“

Das Staubmonster gähnte. „Ein Gedanke? Sowas hab ich ja noch nie gefuttert. Aber du siehst nett aus. Pass auf, dass dich der Schnarch-Sauger nicht erwischt.“

„Der Schnarch-Sauger?“, fragte Fünkchen verwirrt.

In diesem Moment hörte es ein tiefes, rhythmisches Geräusch.

*Hoooooo-chrrrrr-püüüh… Hoooooo-chrrrrr-püüüh…*

Es kam von Papas Seite des Bettes im Nebenzimmer.

Das Geräusch war so kräftig, dass Fünkchen ein bisschen hin und her geschaukelt wurde.

„Das ist er!“, flüsterte das Staubmonster. „Manchmal saugt er kleine, leichte Dinge an! Schnell weg hier!“

Fünkchen rollte so schnell es konnte unter den Schreibtischstuhl.

Gerade noch rechtzeitig! Ein starker Luftzug, der nach Papas Gute-Nacht-Tee roch, fegte über den Teppich.

Uff, das war knapp!

Fünkchen beschloss, dass der Boden vielleicht doch nicht der sicherste Ort war.

Es sah nach oben. Die Schreibtischlampe sah aus wie ein Leuchtturm.

Mit viel Mühe kletterte Fünkchen am Stuhlbein hoch, sprang auf den Schreibtisch und rollte zur Lampe.

Von hier oben hatte es einen tollen Überblick.

Es sah Leo, der friedlich schlief und leise lächelte. Wahrscheinlich träumte er gerade etwas Schönes.

Plötzlich fühlte sich Fünkchen ein bisschen einsam.

Es war zwar aufregend hier draußen, aber es gehörte doch eigentlich zu Leo.

Was machten Gedanken überhaupt, wenn sie nicht in einem Kopf waren?

In diesem Moment schwebte etwas an ihm vorbei.

Es war durchsichtig und sang leise eine Melodie, die Fünkchen bekannt vorkam.

„La la la… mein Hut, der hat… la la… Ecken…“, summte es.

„Hallo?“, rief Fünkchen.

Das singende Etwas drehte sich um. Es sah aus wie eine kleine, verwirrte Musiknote.

„Oh, hallo! Hast du vielleicht den Rest von meinem Lied gesehen? Ich bin ein Ohrwurm, aber ich habe vergessen, wie es weitergeht.“

Fünkchen schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Ich bin Fünkchen, Leos letzter Gedanke für heute Nacht.“

Der Ohrwurm seufzte. „Ach, schade. Na, vielleicht finde ich den Rest ja im Traumland. Willst du mitkommen?“

„Ins Traumland? Wie kommt man da hin?“, fragte Fünkchen neugierig.

„Man folgt einfach den Gähnern“, erklärte der Ohrwurm. „Hörst du? Da war wieder eins von Leo!“

Und tatsächlich, ein leises Gähnen schwebte wie ein unsichtbarer Weg von Leos Mund durch die Luft.

Fünkchen zögerte nicht lange. Es wollte zurück zu Leo, und wenn der Weg durchs Traumland führte, umso besser!

Es sprang von der Lampe und landete sanft auf dem Gähn-Weg.

Der Weg trug es wie eine sanfte Welle durch die Zimmerwand, direkt ins Land der Träume.

Hier war alles noch viel bunter und verrückter als in Leos Zimmer.

Wolken aus Zuckerwatte trieben vorbei, Flüsse aus Limonade plätscherten, und Bäume trugen Gummibärchen statt Blätter.

Fünkchen sah andere Gedanken umherflitzen.

Einen kleinen Sorgen-Gedanken, der sich schnell unter einem Kissen versteckte.

Einen lustigen Witz-Gedanken, der Purzelbäume schlug.

Und einen riesigen Hunger-Gedanken, der versuchte, einen Limonadenfluss leer zu trinken.

Fünkchen folgte weiter dem Gähn-Weg, der es direkt zu einem großen, gemütlichen Hügel führte, der aussah wie Leos schlafender Kopf.

Oben auf dem Hügel war ein kleiner Eingang, wie eine Höhle, aus dem ein warmes, goldenes Licht schien.

Das musste der Weg zurück sein!

Fünkchen nahm Anlauf und rollte auf den Eingang zu.

Mit einem letzten, fröhlichen *Flipp* schlüpfte es wieder hinein.

Drinnen war es warm und sicher.

Leo träumte gerade davon, auf dem Mond Fangen zu spielen.

Fünkchen kuschelte sich an die anderen Traumgedanken und fügte sein eigenes Funkeln hinzu.

Der Mond im Traum wurde plötzlich viel heller, die Sterne glitzerten bunter, und das Fangen spielen machte noch viel mehr Spaß.

Als Leo am nächsten Morgen aufwachte, reckte er sich und gähnte.

Er fühlte sich wunderbar ausgeruht und hatte das Gefühl, einen ganz besonderen Traum gehabt zu haben.

Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, worum es ging, aber er wusste, dass etwas Kleines, Funkelndes dabei gewesen war.

Er lächelte.

Irgendwo in seinem Kopf lächelte Fünkchen zurück, bereit für die neuen Gedanken und Abenteuer des Tages.