
Hubert Heftpflaster, ein Pflaster mit Heldenträumen, ist verwirrt: Ein Aua schläft ein, bevor er helfen kann! Eine humorvolle Geschichte.
Hubert Heftpflaster war kein gewöhnliches Pflaster. Oh nein, Hubert hatte Träume. Große Träume! Er träumte davon, auf aufgeschürften Knien zu kleben, kleine Schnitte an Fingern zu beschützen und tapfere Ellbogen nach einem Sturz zu trösten. Hubert lebte in einer roten Blechdose, zusammen mit vielen anderen wichtigen Dingen. Da gab es Bauschbert Wattekugel, der immer ein bisschen fusselig war, aber ein großes Herz hatte. Und Klebi Klebeband, die immer alles zusammenhalten wollte, manchmal auch Dinge, die gar nicht zusammengehörten. Und natürlich die glänzende Schere, die aber meistens schlief und nur schnarchte, wenn man die Dose schüttelte. Es war gemütlich in der Dose, aber auch ein bisschen… langweilig. Schon seit Tagen, ach was, seit Wochen!, hatte niemand mehr ein richtiges, saftiges „Aua“ gehabt. Kein Kind war vom Fahrrad gefallen, niemand hatte sich am Papier geschnitten, nicht einmal ein winziger Splitter hatte sich verirrt. Hubert seufzte. Ein leises, raschelndes Geräusch in seiner sterilen Verpackung. Seine Klebeflächen kribbelten vor ungenutzter Energie. „Wann ist es endlich so weit?“, murmelte er in seine Papierhülle hinein. „Ich will helfen! Ich will kleben! Ich will ein Held sein! Ich will auf ein Aua!“ Bauschbert Wattekugel rollte gemütlich näher. „Geduld, kleiner Hubert. Ein gutes Aua kommt, wenn man es am wenigsten erwartet. Sie sind wie scheue Rehe, die Auas.“ Klebi Klebeband stimmte surrend zu. „Genau! Und dann musst du bereit sein, blitzschnell und superklebrig! Zack! Drauf da!“ Hubert richtete sich auf, soweit das in der Verpackung ging. „Ich bin bereit! Immer! Meine Klebekraft ist legendär!“ Und dann, an einem sonnigen Nachmittag, als die Vögel zwitscherten und die Blumen im Garten dufteten, geschah es. Ein kleiner Junge namens Finn rannte durch den Garten, lachte laut und jagte einen Schmetterling mit knallblauen Flügeln, die aussahen wie gemalt. Plötzlich – Ratsch! – streifte sein Knie an einem widerspenstigen Rosenbusch, der dachte, er wäre ein Raubritter. „Aua!“, rief Finn, aber nur ganz kurz, eher wie ein kleines „Upsa“. Huberts nicht vorhandenes Herz machte einen Hüpfer. Oder war das nur ein Knick in der Verpackung? „Das ist es! Mein Einsatz! Alarmstufe Rot! Pflaster-Power!“, flüsterte er aufgeregt. Er spürte, wie die große, warme Hand von Finns Mama die rote Blechdose öffnete. Licht flutete herein. So hell! Hubert blinzelte mit seinen aufgemalten Augen (die hatte er sich in seiner Fantasie dazugedacht). Die Hand griff nach ihm, riss seine schützende Verpackung auf. Freiheit! Abenteuer! Klebrigkeit! Gleich würde er auf Finns Knie landen, direkt auf dem tapfer verteidigten Aua. Er konnte es schon sehen, ein winziger roter Kratzer, kaum größer als ein Marienkäferpunkt. Nicht sehr groß, vielleicht eher ein Mini-Aua oder ein Auachen, aber definitiv ein Grund für einen Helden. Hubert spannte seine Klebeflächen an. Bereit zum Andocken! Countdown: Drei, Zwei, Eins… Doch dann passierte etwas Unerwartetes. Etwas, das in keinem Pflaster-Handbuch stand. Finn, der eben noch „Aua“ oder „Upsa“ gerufen hatte, zeigte plötzlich lachend auf den blauen Schmetterling, der sich elegant auf einer Pusteblume niedergelassen hatte. „Schau mal, Mama! Wie schön der ist! Der glitzert ja!“, rief er begeistert. Er hatte den kleinen Kratzer am Knie völlig vergessen. Einfach so. Puff. Weg. Und das Aua? Das kleine, rote Auachen auf Finns Knie schien… einzunicken? Ja, tatsächlich! Hubert traute seinen aufgemalten Augen nicht. Das Rot wurde blasser, das leichte Ziepen, das nur Hubert in seiner Fantasie gehört hatte, hörte auf. Es machte einfach die Augen zu und… schlief ein. Eingeschlafen! Noch bevor Hubert überhaupt in seine Nähe kam! Eine Unverschämtheit! Finns Mama lächelte. „Siehst du? Gar nicht schlimm. Der Schmetterling hat das Aua weggepustet, mit Feenstaub von seinen Flügeln.“ Sie legte Hubert vorsichtig zurück in die rote Dose. Wie ein unbenutztes Taschentuch. Klack. Der Deckel schloss sich. Feierabend, bevor die Arbeit angefangen hatte. Stockdunkel. Hubert war… verwirrt. Perplex. Ein bisschen beleidigt. Ein Aua, das einschlief? Einfach so? Mitten am Tag? Ohne Pflaster? „Habt ihr das gesehen?“, fragte er fassungslos in die dunkle Runde. Seine Stimme zitterte leicht. Bauschbert Wattekugel kuschelte sich zusammen. „Sehr merkwürdig. Sehr ungewöhnlich. Normalerweise sind Auas doch hellwach und schreien förmlich nach einem Pflaster. Sie rufen: ‚Hubert! Hubert! Rette mich!’“ Klebi Klebeband rollte ein Stück hin und her, was ein leises Surren verursachte. „Vielleicht war es ein besonders müdes Aua? Oder der Schmetterling hatte Schlafpulver auf den Flügeln? Oder es war gar kein echtes Aua, sondern ein… ein Tarn-Aua?“ Hubert dachte nach. Das klang alles ziemlich verrückt. Aber was war die Alternative? „Können Auas überhaupt schlafen?“, fragte er zweifelnd. „Ich dachte, die sind immer… aua-mäßig drauf?“ „Ich glaube, das war ein Nickerchen-Aua“, meinte Bauschbert nachdenklich. „Ein ganz kurzes Schläfchen, weil es so abgelenkt war von dem schönen Schmetterling. Schönheitsschlaf für Auas sozusagen.“ Hubert war nicht zufrieden. Das konnte doch nicht alles sein. Er wollte doch kleben! Er wollte trösten! Er hatte sich schon vorgestellt, wie er tapfer Wache hält! Ein schlafendes Aua brauchte doch keinen Trost. Oder? Schlafende soll man nicht wecken, auch keine Auas. Er beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen. Ein Pflaster-Detektiv! Vorsichtig schob er sich unter einer Mullbinde hervor und spähte durch einen der winzigen Lüftungsschlitze der Dose. Draußen sah er Finn, wie er jetzt ganz vorsichtig Pusteblumen pflückte und die kleinen Schirmchen in den Wind blies. Von dem Aua war fast nichts mehr zu sehen. Nur ein Hauch von Rosa. „Vielleicht“, flüsterte Klebi hinter ihm, „wollte das Aua nur kurz kuscheln, aber der Schmetterling war aufregender. Manche sind eben flatterhaft.“ Hubert seufzte wieder. Das war ja noch trauriger. Er, Hubert Heftpflaster, der Superkleber, von einem einfachen Schmetterling ausgestochen! Eine Schmach für die gesamte Pflasterzunft! Die Stunden vergingen langsam in der roten Blechdose. Hubert döste ein wenig vor sich hin und träumte von riesigen Auas, groß wie Tomaten, die laut nach ihm riefen: „Hubert! Nur du kannst uns helfen!“ Plötzlich wurde die Dose wieder geöffnet. Nicht von Mama, nein, von kleinen Fingern. Es war Finn. Er hatte die rote Dose heimlich aus dem Badezimmerschrank gemopst. Finn spähte hinein, seine Nase fast in der Dose. Seine Augen fielen auf Hubert. Er nahm Hubert vorsichtig heraus, als wäre er ein kleiner Schatz. „Du bist doch das Pflaster von vorhin“, murmelte Finn leise. „Das Schmetterlings-Pflaster.“ Hubert hielt den Atem an. Was hatte Finn vor? Würde er ihn wegwerfen? Ihn als Lesezeichen benutzen? Finn betrachtete sein Knie. Der kleine Kratzer war nur noch ein winziger rosa Strich. Das Aua schlief tief und fest, träumte wahrscheinlich von Pusteblumen und Schmetterlingen. Aber Finn lächelte verschmitzt, ein kleines bisschen wie ein Pirat, der eine Idee hat. „Weißt du was, Pflaster?“, flüsterte er Hubert verschwörerisch zu. „Auch schlafende Auas brauchen manchmal einen Freund. Damit sie nicht alleine träumen.“ Und dann, ganz sanft, viel sanfter als Mama vorhin, klebte Finn Hubert Heftpflaster auf sein Knie, direkt über den winzigen, schlafenden Kratzer. Es war nicht das dramatische Heldenkleben, von dem Hubert geträumt hatte. Es gab kein Blut zu stillen, keine Tränen zu trocknen, kein lautes „Danke, Hubert, du Held!“. Aber es war… schön. Unerwartet schön. Hubert fühlte sich gebraucht. Er spürte die Wärme von Finns Haut. Er lag auf Finns Knie, spürte den leichten Stoff der Hose darüber und lauschte Finns leisem Summen, während er weiter Pusteblumen betrachtete. Das schlafende Aua unter ihm rührte sich nicht. Es träumte wahrscheinlich gerade den allerschönsten Schmetterlingstraum. Hubert lächelte unter seiner Klebefläche. Ein breites Pflasterlächeln. Vielleicht war es gar nicht so wichtig, ob ein Aua wach war oder schlief, schrie oder flüsterte. Vielleicht war es das Wichtigste, einfach da zu sein. Ein kleiner, tapferer Held, auch für die leisesten und schläfrigsten Abenteuer. Er kuschelte sich an Finns Knie. Das war doch ein ziemlich guter Traum, der hier wahr wurde. Viel besser als erwartet. Auch ohne großes Drama. Einfach nur kleben und da sein. Für Finn. Und für das Aua, das lieber von Schmetterlingen träumte als weh zu tun. Hubert Heftpflaster schloss seine nicht vorhandenen Augen und war vollkommen zufrieden. Das war der beste Job der Welt. Sogar bei schlafenden Auas.